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  • 20.01.2016

Schlaganfall oder nicht Schlaganfall?

Bewusstlosigkeit kann viele Gründe haben. Den Auslösern auf die Spur zu kommen, ist nicht ganz einfach.

Thomas Möller Thieme Verlagsgruppe

 

Um 9:53 Uhr wählt Frau Meyer mit zitternden Fingern die Notrufnummer: „Mein Mann reagiert nicht mehr. Er atmet ganz normal aber wenn ich ihn aufwecken will und schüttele, kommen nur unverständliche Laute hervor.“

Als die Rettungskräfte eintreffen, liegt der 73-jährige Herr Meyer im Bett, der Notarzt stellt einen GCS-Wert von 9 fest (GCS=Glasgow Come Score, Werte von 9 bis 12 entsprechen einer mittelschweren Bewusstseinsstörung). Dabei ist die gezielte Schmerzreaktion rechts besser als links, auf Schmerzreiz reagiert Herr Meyer mit Stöhnen und öffnet die Augen. Die Vitalparameter Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz sowie periphere Sauerstoffsättigung stellen sich als unauffällig heraus, die Haut dagegen ist feucht-kalt und auf der Stirn zeigen sich Schweißperlen.


Der Notarzt denkt zunächst an einen akuten Schlaganfall und fragt Frau Meyer was vorher geschah: „Mein Mann war zum Frühstück noch erschienen und hat über Fieber und Halsschmerzen geklagt. Nach einem spärlichen Frühstück hat er seine Medikamente genommen und sich wieder ins Bett gelegt. Gestern fühlte er sich auch schon schlapp und klagte über Halsschmerzen und hustete.“
Aus der Vorgeschichte gehen eine arterielle Hypertonie, ein insulinpflichtiger Diabetes Mellitus Typ II und eine koronare Herzerkrankung nach einem Herzinfarkt vor einigen Jahren hervor. Die aktuelle Medikation besteht aus dem Blutdrucksenker Ramipril, ASS (Acetylsalicylsäure) und Insulin nach Schema.


Herr Meyers Körpertemperatur liegt axillär bei 38,7 Grad und die Blutzuckermessung ergibt einen zu niedrigen Serumglukosewert von 46 mg/dl. Sofort wird dem Patienten ein peripher venöser Zugang gelegt worüber die rasche Gabe von 20 ml 40%iger Glukose erfolgt. Zudem werden weitere 8 mg einer 500 ml kristallinen Lösung beigefügt, die der ältere Herr angehängt bekommt.


Unter der Infusion der Zuckerlösung zeigt Herr Meyer zunehmend Spontanbewegungen der Arme sowie Beine und kann innerhalb weniger Minuten einfache Fragen beantworten. Die erneute Blutzuckermessung zeigt einen Wert von 96 mg/dl. Auf Anraten des Notarztes bietet Frau Meyer ihrem Mann etwas gesüßten Tee zum Trinken an. Eine erneute neurologische Untersuchung ergibt kein sensomotorisches Defizit. Auch Vigilanz und Sprache verbessern sich zunehmend, sodass kein weiterer Verdacht auf einen Schlaganfall besteht.


„Was ist denn nun mit meinem Mann? Hat er einen Schlaganfall?“ fragt Frau Meyer den Notarzt besorgt. „Durch den grippalen Infekt Ihres Mannes hat sich der Stoffwechsel erhöht, was zu einem gesteigerten Verbrauch von Glukose führte. Zudem hatte Ihr Mann kaum Appetit und nahm nur wenig Nahrung zu sich. Bei gleicher morgendlicher Insulindosis führten diese Umstände zu einer Hypoglykämie, sozusagen zu einer Unterzuckerung.“ Frau Meyer fragt noch einmal nach: „Aber einen Schlaganfall hatte er nicht?“ Der Notarzt beruhigt sie: „Nachdem sich kurzfristig die Blutzuckerwerte und die klinischen Ausfallserscheinungen normalisierten, konnte der Verdacht eines Schlaganfalls ausgeräumt werden.“


Dennoch wird Herr Meyer mit Verdacht auf eine Hypoglykämie und respiratorischen Infekt bei einem GCS-Wert von 14 (Werte von 12 bis 15 entsprechen einer leichten Bewusstseinsstörung, Herr Meyer ist nicht vollständig orientiert) mit dem Rettungswagen ins nächstgelegene Krankenhaus transportiert.


Prinzipiell ist es nicht zwingend notwendig, Patienten mit einer Hypoglykämie in eine Klinik zu bringen, obwohl es sich dabei um einen lebensbedrohlichen Zustand handelt. Entscheidend sind die anschließende Zufuhr länger wirksamer Kohlenhydrate, wie zum Beispiel Vollkornbrot, um einen Rebound-Effekt zu vermeiden, denn Insulin hat eine längere Halbwertszeit als Glukose. Zudem ist die Beobachtung des Patienten sehr wichtig, die aber auch ein Angehöriger übernehmen könnte.

Den Patienten, die nicht in die Klinik eingeliefert werden, wird empfohlen sich bei ihrem Hausarzt vorzustellen, damit er die Insulindosierung bezüglich der aktuellen Nahrungsgewohnheiten und der Co-Medikation überprüft.


Bei Herrn Meyer veranlasste der Notarzt zur Beobachtung eine internistische Aufnahme, weil er nicht vollständig orientiert war und unter einem Infekt litt. Aber schon drei Tage später konnte Herr Meyer das Krankenhaus wieder verlassen und eine Woche darauf war er auch seine grippalen Symptome los.

 


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