• Tipp
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  • Dr. Julia Jacobs
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  • 17.02.2012

Tipps für Ersthelfer: Krampfanfall

Wenn ein Patient mit einer Grand-Mal-Epilepsie einen Initialschrei ausstößt, wie ein Stein zu Boden fällt und sich mit Schaum vor dem Mund in Krämpfen windet, geraten unvorbereitete Begleiter leicht in Panik. Nichts ist falscher, als jetzt in einem Anfall von blindem Aktionismus die Zuckungen des Patienten gewaltsam unterbinden zu wollen oder zu versuchen, das Anfallopfer durch exzessives Schütteln "aufzuwecken". Die Kunst ist, wenig zu tun - aber dafür das Richtige.

 

Moin, Mama …" Es ist Samstag, kurz nach zwölf Uhr mittags, als Frau Schneider ihrem Sohn Matti begegnet, der sich gerade aus dem Bett gewälzt hat. Wie üblich fürs Wochenende ist er am Abend zuvor spät nach Hause gekommen. Schlaftrunken schleicht er Richtung Dusche. Eine Minute später hört Frau Schneider ein seltsames Poltern aus dem Bad. Sofort rennt sie nach oben.

Matti liegt mit unnatürlich gestreckten Armen auf dem Boden des Badezimmers, längs ausgestreckt, die Augen aufgerissen und mit Schaum vor dem Mund. Seine Beine zucken wild auf und ab. Reflexartig zieht sie ihren Sohn zu sich, denn sein Kopf liegt gefährlich nah an der Ecke der Badewanne. "Matti, Matti, kannst du mich hören?", schreit sie ihn an. Keine Reaktion!

Rasch rennt sie zurück in den Flur und ruft den Notarzt. Als sie zurückkommt, zuckt Mattis ganzer Körper. Sie bleibt bei ihm, bis das Zucken weniger wird. Er atmet schwer. Offenbar ist der Anfall fast vorüber. Der Körper entspannt sich. Matti schlägt die Augen auf. Als die Sanitäter eintreffen, ist er noch sehr müde, verlangsamt und desorientiert.

Therapie: Abwarten und Aufpassen

Knapp 5% aller Menschen erleiden während ihres Lebens einen Krampfanfall. Meistens handelt es sich um einen Gelegenheitsanfall, der quasi aus "heiterem Himmel" auftritt und sich nicht wiederholt. Typische Triggerfaktoren bei Jugendlichen sind Alkohol und Schlafentzug. So ein getriggerter Anfall kann auch ein erster Hinweis auf eine zugrunde liegende Epilepsie sein. Hiervon spricht man aber nur dann, wenn sich die Anfälle wiederholen und auch ohne erkennbare auslösende Faktoren auftreten. An einer "echten" Epilepsie leiden in Deutschland ungefähr 0,5% aller Menschen.

Generalisiert tonisch-klonische Anfälle beginnen meistens mit einem plötzlichen Sturz ("Fallsucht"), gefolgt von der tonischen Phase, in der der Körper versteift. Dann kommt es zur klonischen Phase mit rhythmischen Zuckungen der Extremitäten. Die meisten generalisierten Anfälle sistieren spontan nach weniger als zwei Minuten. Für die Anwesenden sind diese Ereignisse dabei oft erschreckender und unerträglicher als für die Betroffenen selber. Begleitsymptome, wie die tiefe Zyanose, das starke Speicheln und aufgerissene Augen, vermitteln den Eindruck, es bestünde Lebensgefahr.

Tatsächlich schädigen die Anfälle per se die Betroffenen aber nicht - solange sie nicht länger als zehn Minuten dauern. Gefahr resultiert eher aus Begleitumständen. Die wichtigste Aufgabe eines Ersthelfers ist deshalb, den Betroffenen davor zu schützen, dass er sich mit seinen Krampfbewegungen irgendwo verletzt. Insofern hat Mattis Mutter instinktiv völlig richtig gehandelt, als sie den Kopf ihres Sohnes von der Badewanne weggezogen hat. Zudem sollten Helfer spitze und harte Gegenstände aus der Umgebung entfernen und enge Kleidungsstücke um den Hals etwas lockern.

Wenn die Stärke des Anfalls nachlässt, kann man den Betroffenen auf die Seite drehen. So kann er leichter atmen. Zwei Dinge darf man auf keinen Fall: dem Patienten am Mund manipulieren und gewaltsam gegen die unwillkürlichen Bewegungen arbeiten. Manche beißen sich im Anfall auf die Zunge. Deshalb galt früher die Empfehlung, einen "Beißkeil" in den Mund zu schieben. Heute weiß man, dass die Verspannung der Mundmuskeln im Anfall so gewaltig ist, dass ein erzwungenes Mundöffnen bei Patienten und Helfern zu Verletzungen führen kann. Gleiches gilt für die Extremitäten.

Hält man die Betroffenen hier fest, kann dies zu Brüchen und Luxationen führen. Muss der Krampfende aus einer Gefahrenzone gezogen werden, packt man ihn am besten am Rumpf. Ist der Anfall vorbei, müssen die Anwesenden entscheiden, ob eine Vorstellung im Krankenhaus notwendig ist. Ein erster Krampfanfall sollte auf jeden Fall abgeklärt werden. Bei Patienten mit einer bekannten Epilepsie ist das dagegen nicht bei jedem Anfall erforderlich. Eine Arztvorstellung ist nur dann indiziert, wenn es zu Verletzungen gekommen ist, sich Anfälle plötzlich häufen oder ungewöhnlich lange dauern.

Zeit stoppen, Notfallmedikation bereithalten!

Matti hat zuvor nie einen Anfall gehabt. Deshalb und wegen einer großen Beule am Hinterkopf weist ihn der Notarzt in die Klinik ein. Dort wird er eine Nacht lang überwacht. Offenbar ist der Sturz außer einer leichten Gehirnerschütterung folgenlos geblieben. Weil sich im EEG epilepsietypische Veränderungen zeigen, lässt sich eine Epilepsie allerdings nicht sicher ausschließen. Der Neurologe erklärt Frau Schneider deshalb nochmals ganz genau, wie sie sich verhalten muss, wenn wieder ein Anfall auftritt. Im Prinzip hat sie damit, dass sie ihren Sohn passiv vor Verletzungen geschützt hat, genau richtig gehandelt.

"Gucken Sie das nächste Mal aber unbedingt auf die Uhr!", fordert sie der Arzt auf. Dauert ein Anfall länger als drei Minuten, könne es nämlich sinnvoll sein, ein Notfallmedikament zu verabreichen. Dafür bekommt sie spezielle kleine Tablettchen mit dem Wirkstoff Lorazepam mit. Diese solle sie ihrem Sohn im Anfall in den Mund schieben, wo das Medikament dann resorbiert wird. Eine Dauermedikation bekommt Matti nicht. Sie wäre nur indiziert, wenn starker Verdacht auf eine Epilepsie bestünde.

Schließlich weist der Neurologe Frau Schneider und ihren Sohn darauf hin, dass er bei bestimmten Aktivitäten sehr vorsichtig sein müsse - zumindest mittelfristig, da seine Erkrankung noch schwer einzuschätzen ist. Das gelte vor allem für die Teilnahme am Straßenverkehr, Schwimmen und Sportarten mit Sturzgefahr. Aber auch nächtliche Ausflüge unter Alkoholeinfluss solle er in Zukunft vielleicht doch besser sein lassen - und zwar ruhig langfristig.

 


Dies ist ein Artikel aus Via medici 4.11. Mehr Artikel aus Via medici finden Sie hier.

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