• Interview
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  • Christina Liebermann
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  • 14.10.2014

Lawine im Gehirn - Ist Alzheimer ansteckend?

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse haben eine Diskussion entfacht, ob Alzheimer und Parkinson übertragbare Krankheiten sein könnten. Prof. Dr. med. Armin Giese, Neuropathologe am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung in München, erklärt warum und berichtet über neue Forschungsergebnisse.

Gehirn, Quelle: Fotolia 

 

> Worauf gründet sich die Vermutung, dass Alzheimer und Parkinson ansteckend sein könnten?

Alzheimer und Parkinson sind neurodegenerative Krankheiten, bei denen sich verklumpte Eiweiße im Gehirn ablagern. Bei Alzheimer ist das das A-beta und das Tau-Protein, bei Parkinson das Alpha-Synuclein. Aktuelle Untersuchungen haben jetzt gezeigt, dass diese Ablagerungen nicht nur Folge bzw. Kennzeichen der Erkrankung sind, sondern eine zentrale Rolle im Krankheitsprozess spielen. Sie schädigen Nervenzellen und verursachen dadurch eine Funktionsstörung.

 

Offensichtlich sind sie aber auch an der Dynamik der Erkrankung beteiligt, also dem Übergreifen auf andere Hirnbereiche. Ähnlich wie bei der Prionkrankheit Creutzfeldt-Jakob (CJD) breiten sich die Ablagerungen und die damit auftretende Fehlfaltung der Eiweißmoleküle wie ein Domino-Effekt aus. Kommt ein fehlgefaltetes aggregiertes Protein in Kontakt mit einem passenden gesunden Protein, wird dieses ebenfalls in die fehlgefaltete aggregierte Form überführt – in einer Art Schneeballeffekt.

 

 

> Das heißt, die Krankheiten breiten sich unaufhaltsam im Gehirn aus, wenn sie erstmal ins Rollen gebracht wurden?

Ein Aggregat kann nicht nur ein Eiweißmolekül umfalten, sondern mehrere. Es wird also eine Art Lawine im Gehirn ausgelöst. Neben dieser molekularen Betrachtung gibt es auch Hinweise auf höherer Ebene: also z. B. in Zellkulturen und in Tierexperimenten. Der erste Hinweis kommt sogar direkt aus der Beobachtung von menschlichen Patienten. Eine experimentelle Behandlungsstrategie beim Parkinson ist, dass man Nervenzellen in eine bestimmte Hirnregion, das Striatum, implantiert. Das hat man mit embryonalen Zellen gemacht, die man aus Embryonen von Schwangerschaftsabbrüchen gewonnen hat. Die Zellen wachsen dort an und produzieren die Überträgersubstanz Dopamin.

 

Ob das eine Therapieoption ist, ist noch unklar. Man hat aber bei Patienten, die dann irgendwann nach dieser Operation verstorben sind, auch teilweise solche Proteinablagerungen in den transplantierten Zellen gefunden, obwohl es sich um Zellen kindlichen Alters handelt, bei denen man eigentlich keine Parkinsonveränderung finden sollte. Hier scheint also der Krankheitsprozess tatsächlich vom erkrankten umgebenden älteren Gehirn auf diese jungen Zellen übergesprungen zu sein.

 

 

> Welche Tierversuche wurden durchgeführt und welche Erkenntnisse konnte man daraus gewinnen?

In vielen Tierexperimenten wurde gezeigt, dass die Krankheit bei Tieren, denen solche Aggregate gespritzt wurden, früher und schneller ausbricht. Man hat z.B. aggregiertes Alpha-Synuclein in Mäuse gespritzt und damit eine Verklumpung und Ablagerung von Alpha-Synuclein im Maushirn auslösen können. Diese Beobachtung konnte man in transgenen Mäusen, aber auch in nicht genetisch veränderten Mäusen machen.

 

In einer anderen Studie wurden Synuclein-Aggregate aus dem Hirn verstorbener Parkinsonpatienten gewonnen und anschließend Affen ins Gehirn gespritzt. Auch dort konnte man eine parkinsonartige Pathologie beobachten. Dasselbe gibt es auch für Alzheimer. Bei diesen Experimenten spritzt man meistens direkt ins Gehirn. In den Alzheimermodellen konnte man die Krankheit aber auch durch Spritzen in die Bauchhöhle auslösen.

 

 

> Angenommen es würde sich tatsächlich um übertragbare Infektionskrankheiten handeln, müsste man denn dann bei der Pflege von Alzheimer- und Parkinsonpatienten besonders aufpassen?

Auf dem jetzigen Stand der Wissenschaft gibt es keinen Hinweis, dass durch Kontakt zwischen Menschen oder bei der Pflege von Patienten ein Übertragungsrisiko besteht. Das betrifft sowohl den sozialen als auch intimen Kontakt.

 

 

> Gab es denn Studien, die den Verdacht aufkeimen lassen haben, dass eine Ansteckungsgefahr bestehen könnte?

Anlass sind vor allem tierexperimentelle Studien, wo man die Erkrankungen von Tier auf Tier übertragen konnte. Beim Eingeborenenstamm der „Fore“ in Papua Neuguinea wurde eine Übertragung der CJD-ähnlichen Prionenkrankheit Kuru auch beim Menschen beobachtet. Die stand allerdings in Zusammenhang mit speziellen Bestattungsriten, dem Verzehr und Einschmieren mit dem Gehirn von Verstorbenen. Das spielt natürlich für die Praxis keine Rolle. Diskutieren muss man mögliche Risiken aber bei speziellen medizinischen Eingriffen, wo Gewebe von Mensch auf Mensch übertragen wird, also bei Transplantationen oder auch Bluttransfusionen.

 

 

> Muss man jetzt bei Operationen speziell aufpassen und wenn ja, bei welchen?

Theoretisch könnte man natürlich eine Risikoabstufung machen. Neurochirurgische Eingriffe am Gehirn würden dann sicherlich das höchste Risiko darstellen. Epidemiologisch gibt es aber keine belegten Fälle, dass auf diesem Weg eine Übertragung von Alzheimer oder Parkinson stattgefunden hat. Für die CJD gibt es Einzelberichte. Bei häufig vorkommenden Krankheiten ist es epidemiologisch schwer, solche Einzelfälle zu detektieren.

 

Vordringlich ist zu überlegen, ob die derzeitigen Verfahren zur Sterilisierung von Operationsbestecken verbessert werden können. Zusätzliche Sicherheit geben die in übliche Aufbereitungsprogramme eingebauten alkalischen Waschschritte. Dann gilt es, die zurzeit rein theoretischen Risiken zu quantifizieren. Dafür wäre natürlich ein empfindlicher Nachweis der Aggregationskeime extrem nützlich.

 

 

> Was bedeutet das für die Früherkennung?

In Zukunft hofft man, Krankheitsprozesse spezifisch und früh vor Ausbruch größerer Krankheitssymptome in Körperflüssigkeiten nachweisen zu können. Ideal wäre der Nachweis im Blut oder zumindest im Liquor. Auch bildgebende Verfahren wie das MRT oder PET könnten künftig bei der Früherkennung eine Rolle spielen.

 

 

> Ist die Krankheit nicht meist schon relativ fortgeschritten ist, wenn die ersten Symptome auftreten?

Treten bei Parkinson erste Bewegungsstörungen wie Zittern und Muskelsteifigkeit auf, sind oft schon zwei Drittel der Dopamin produzierenden Nervenzellen in der Substantia nigra zerstört. Vermutlich gibt es auch frühere Anzeichen, wie z.B. Riechstörungen oder eine Obstipation. Solche Symptome könnten helfen, um ggf. eine Diagnostik und Therapie frühzeitig beginnen zu können, sind aber natürlich nicht spezifisch. Parkinson lässt sich symptomatisch durch dopaminerg wirksame Substanzen gut behandeln.

 

Das Problem ist aber, dass die Nervenzellen im Verlauf weiter untergehen und damit auch die entsprechenden Synapsen, an denen diese Medikamente wirken können. Nach 10-15 Jahren verliert die symptomatische Therapie zunehmend ihre Wirkung. Daher hofft man auf die Entwicklung einer kausalen Therapie, die das Fortschreiten der Erkrankung und auch das Entstehen einer Demenz im Spätstadium verhindern kann.

 

 

> Wie würden zukünftige Therapiewege aussehen?

Da sehr viel dafür spricht, dass Aggregationsprozesse zentral für die Entstehung und das Ausbreiten der Erkrankung im Gehirn sind, ist hier ein guter Ansatzpunkt für eine kausale Therapie. Momentan stehen immunologische Ansätze, also die Gabe von Antikörpern, die pathologische Aggregate beseitigen, im Fokus der Forschung. Problematisch ist das Risiko von Autoimmunreaktionen – bei den A-Beta-Antikörpern bei Alzheimer eine große Hürde. Man versucht jetzt, noch spezifischer bindende Antikörper zu entwickeln, die nur die pathologisch verklumpten Proteine binden, nicht das körpereigene normale Eiweiß. Ein weiteres Problem ist, dass sich Antikörper nicht besonders gut ins Gehirn einbringen lassen.

 

 

> Forscht man denn auch an einer Impfung als Prävention oder steht die kausale Therapie im Vordergrund?

Ja, auch an einer Impfung wird gearbeitet. Prinzipiell kann man fertige Antikörper verabreichen. Sie haben den Vorteil spezifischer Bindungseigenschaften für pathologische Ablagerungen. Nachteilig sind die hohen Kosten, die Gabe von Fremdeiweiß und das Restrisiko von Kontaminationen. Die kostengünstigere Variante wäre die Gabe eines Antigens. Eine solche aktive Impfung hätte auch den Vorteil, dass man geringere Dosen bräuchte, um eine langfristige Wirkung zu erzielen. Nachteil wäre die unterschiedliche Immunreaktion bei jedem Menschen. Es ist unkalkulierbar, ob man auch ungünstige und überschießende Immunreaktionen auslösen kann.

 

Bis jetzt wurde noch kein belegt wirksamer Impfstoff entwickelt, aber es wird viel daran geforscht. Persönlich denke ich, dass die Entwicklung von sogenannten „small molecules“ erfolgversprechender sein könnte. Diese kleinen Substanzen verteilen sich gut im Körper und verhindern den Aggregationsprozess. Wir haben solche „small molecules“ entwickelt, die in Reagenzglas, Zellkultur und Tierversuch sehr wirksam sind. Jetzt bleibt abzuwarten, ob sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen. Die Substanz muss natürlich nicht nur wirken, sondern auch in ausreichender Menge bioverfügbar und nebenwirkungsarm sein.

 

 

> Wie verhält es sich denn bisher mit den Nebenwirkungen?

Für die bisher am Tier getesteten Substanzen sieht es sehr gut aus. Man muss natürlich die entsprechenden Studien beim Menschen durchführen. Ich denke, dass sich die Therapie beim Menschen langfristig als Kombinationstherapie entwickeln wird.

 

 

> Wie würde so eine Kombinationstherapie bei Alzheimer/Parkinson aussehen?

Man würde ähnlich wie bei der Behandlung von HIV mehrere wirksame Ansätze kombinieren, die dann gemeinsam einen stärkeren Effekt erzielen. Zentral wäre eine antiaggregative Therapie in Kombination zum Beispiel mit Antikörpern, die das Abräumen von bestehenden Aggregaten fördern, mit Wirkstoffen, die die Clearance – das Abräumen bestehender Ablagerungen – verbessern, und mit Wirkstoffen, die die verbliebenen Nervenzellen stärken.

 

 

> Wie würde denn so ein therapeutischer Wirkstoff verabreicht werden?

Der von uns entwickelte Wirkstoff „anle138b“ ist im Tierexperiment sehr gut oral bioverfügbar. Man könnte ihn also als Tablette oder in anderer oraler Darreichungsform geben. Dass sich das Medikament praktikabel anwenden lässt, ist für die Langzeittherapie ein wesentlicher Punkt.

 

 

> Wie geht es in Zukunft weiter mit diesem Wirkstoff?

Wir werden die Wirksamkeit in verschiedenen Experimenten detaillierter untersuchen und dabei auch andere Aggregationskrankheiten betrachten. Bevor man Wirkstoffe in klinischen Studien einsetzen kann, benötigt man neben Daten zur Wirksamkeit auch Daten zum Nebenwirkungsprofil. Im Vorfeld werden Untersuchungen zur Toxizität und Pharmakokinetik durchgeführt, damit die Studie nächstes Jahr in die klinische Phase starten kann. Ansonsten haben wir kleinere Mengen des Wirkstoffs auch schon einmal selbst geschluckt.

 

 

> Mit dem Ergebnis?

Es schmeckt neutral (lacht). Aber das war ja auch keine kontrollierte Studie, sondern die pure Neugier. Man muss so etwas unter standardisierten Bedingungen durchführen und dokumentieren. Die entsprechenden Behörden müssen die Studie nach geltender Gesetzeslage seriös zulassen können. Wichtig ist das bessere molekulare Verständnis dieser Krankheiten auf verschiedenen Ebenen. Es zeigt Risiken auf, an die man vielleicht vorher nicht gedacht hat, aber natürlich auch Chancen, was Frühdiagnose und Behandlung angeht.

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