- Fachgebietsreportage
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- Mona Herz
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- 23.03.2009
Tiefenhirnstimulation mit Neuroimplantat
Parkinsonpatienten kann mit einem Neuroimplantat geholfen werden. Ziel der Therapie ist, alle drei Hauptsymptome des Parkinsons, Tremor, Rigor und Akinese, mittels Stromimpulsen positiv zu beeinflussen. Dafür muss eine Elektrode ins Gehirn gepflanzt werden. Die Patienten erleben den ersten Teil der OP bei klarem Bewusstsein, denn ihre Mithilfe wird intraoperativ gebraucht. Medizinstudentin Mona Herz hat in der Neurochirurgie in Frankfurt den siebenstündigen Eingriff mitverfolgt.
Die Vorbereitungen
Als ich gegen 8:30 Uhr im CT-Raum eintreffe, kann ich mir noch nicht vorstellen, was mich erwarten wird. Das Team um PD Dr. med. Thomas Gasser, Neurochirurg an der Uniklinik Frankfurt, steckt schon mitten in den Vorbereitungen für den heutigen Eingriff:
Der Patientin wurde unter Lokalanästhesie ein Stereotaktischer Rahmen mit vier Schrauben an der Schädeldecke angebracht. Dieser Rahmen soll später die fixen Achsen für ein kartesisches Koordinatensystem liefern, damit jeder Punkt im Gehirn eindeutig zuzuordnen ist.
Auch ein Kontrastmittel hat die Patientin schon bekommen, damit bei der letzten CT-Aufnahme vor der Operation die Blutgefäße bildlich dargestellt werden können. Das stellt sicher, dass der Operateur während des Eingriffs keine Blutgefäße verletzt.
Mittels Neuronavigation zum Nucleus Subthalamicus
Im OP sieht es technischer aus als sonst, mehrere Rechner, Displays und Notebooks werden von Ärzten bedient. In den vergangen Tagen hat sich Gasser mit Hilfe der Computertomografie (CT)- und Magnetresonanztomografie (MRT) auf die Suche nach dem Nucleus Subthalamicus seiner Parkinson-Patientin gemacht. Denn in den Nucleus sollen die Elektroden gepflanzt werden, die der Neurochirurg heute implantieren wird. Um den Nucleus während der Operation auch sicher zu finden, wird das Verfahren der Stereotaxie, der Neuronavigation verwendet. Damit kann der Operateur das Gehirn nicht nur millimetergenau darstellen, sondern es auch exakt vermessen.
Ein buntes Computerprogramm, das ein bisschen aussieht wie ein PC-Spiel, legt nun die Bilder, die in den letzten Tagen vom Gehirn der Patientin entstanden sind, übereinander und errechnet aus einer Komposition von Einzelbildern virtuell die besten Wege von der Schädeldecke in den Nucleus Subthalamicus. Das Ganze sieht einem Navigationssystem im Auto sehr ähnlich, nur wird hier nicht vor Staus und Blitzern, sondern vor Blutgefäßen und Kapseln gewarnt. Durch den Stereotaktischen Rahmen sind die äußeren Fixpunkte gegeben. So weiß Gasser genau, wo er das Loch in die Schädeldecke bohren und die Elektroden einführen muss.
Ungewöhnlich viele Leute im OP
Der OP-Saal ist ungewöhnlich voll. Neben dem regulären OP-Personal sind noch Neurologen, Neurophysiologen, Physiotherapeuten und Mitarbeiter der Firma anwesend, die die technischen Materialien für die Tiefenhirnstimulation herstellt. Auch einige Krankenhausmitarbeiter und Medizinstudenten haben sich versammelt, um den ungewöhnlichen Eingriff zu verfolgen.
Die Patientin selbst ist beim ersten Teil der OP wach, weil sie später noch mithelfen muss. Mit der klassischen Musik im Hintergrund scheint es ein bisschen wie eine Filminszenierung. Die Hälfte der Anwesenden sieht aus, als könne sie sich nicht vorstellen, was hier gleich passieren wird. Alle schauen mit gespannten, erwartungsvollen Gesichtern auf den rasierten Schädel der Frau, dem sich jetzt der Bohrer in Gassers Hand nähert. Musikalisch begleitet von "Allegro ma non troppo, un poco maestoso" bohrt Gasser ein 14 Millimeter großes Loch in die Schädeldecke der Patientin. Durch dieses Loch werden die fünf Testelektroden, die in einem Stereoenzephalotom eingespannt sind, eingeführt.
Das Stereoenzephalotom muss man sich als eine Art Halterung vorstellen, die wiederum am stereotaktischen Rahmen fest angeschraubt ist. Auf einer Skala in Millimetern kann der Operateur ablesen, wie weit die fünf Elektroden schon ins Gehirn der Patientin vorgedrungen sind und wie weit er noch schieben muss. Am oberen Ende des Stereoenzephalotoms werden die Elektroden mit Kabeln verbunden, über die Strom abgeleitet oder zugeführt werden kann.
Über die Testelektroden wird regelmäßig Strom aus dem Gehirn abgeleitet, um die typischen Arbeitsfrequenzen der einzelnen Gehirnareale abzulesen. So weiß Gasser immer, wo sich seine Elektroden gerade befinden. Die Zona Interna ist stumm, hat also gar keine Frequenz. Da die Zona Interna oberhalb des Nucleus Subthalamicus liegt, ist das ein Hinweis darauf, dass der Zielpunkt bald erreicht ist. Der Nucleus Subthalamicus wiederum hat eine Frequenz von circa 35-45 Hertz.
Millimeterweise schiebt Gasser die Elektroden ins Gehirn
Auf ihrem Weg in Richtung Nucleus Subthalamicus sind die Elektroden mit dem Computer und Schaltbrett einer Neurophysiologin verbunden, die die Arbeitsfrequenzen überprüft. Sie gibt Gasser "argentinische Militär-Befehle", wie er die Anweisungen lachend nennt, zwischen einem halben und dreieinhalb Millimeter. So weit darf er sein Rädchen an dem Stereoenzephalotom drehen und so die Elektroden weiter vordringen lassen. Da das "Computer-Navigations-System" die genaue Entfernung mit 13 mm bereits ausgerechnet hat, dient die Navigationshilfe der Neurophysiologin zusätzlich der Sicherheit.
Gasser fordert mich immer wieder auf, ihn alles zu fragen, was ich wissen will. Doch das, was er im Gehirn seiner Patientin vornimmt, sieht zwar unglaublich sicher und gekonnt aus, doch gleichzeitig auch so kompliziert, dass ich mich nicht traue, ihm auch nur einen Bruchteil seiner Konzentration zu stehlen.
Aus Gassers MacBook ertönt immer noch klassische Musik, als er tief durchatmet und das erlösende "okay" gibt. Der Zielpunkt ist erreicht! Erleichterung macht sich bei den Zuschauern breit, die Anspannung fällt ab. Nun sind erst einmal die Neurophysiologen dran.
Geschafft - die erste Testelektrode sitzt
Jetzt wird immer eine der fünf Testelektroden an 1 bis 4 Milliampere Strom angeschlossen und die Neurologin Dr. Carola Seifried nimmt sich der Patientin an. "Das schöne bei der Tiefenhirnstimulation ist," findet Seifried, "dass sie so interdisziplinär ist und man schon intraoperativ den therapeutischen Effekt und Erfolg sehen kann."
Als Neurologin wird sie jetzt herausfinden, bei welcher Elektrode und unter welcher Spannung der therapeutische Effekt am besten und die Nebenwirkungen am geringsten sind. Am linken Arm der Patientin ist noch ein deutlicher Ruhetremor* zu sehen. Auf der rechten Seite hingegen verbessern sich die Bewegungsstörungen schlagartig, wenn der Strom eingeschaltet wird.
Tests mit der wachen Patientin
Seifried beugt und streckt den Arm der Patientin, um herauszufinden, wann sich der Rigor* öffnet. Daraufhin muss die Patientin die Pronations- und Supinationsbewegung* abwechselnd ausführen, ob sich auch die Bradydiadochokinese* bessert.
"Sagen Sie mal: Liebe Lilli Lehmann!" fordert Seifried die Patientin jetzt auf. "... und die Wochentage der Reihe nach!" Selbst wenn die Elektrode korrekt sitzt, die Stromamplitude aber zu hoch ist, können Sprachstörungen auftreten. Außerdem muss die Patientin versichern, dass sie keine Doppelbilder sieht und mit den Augen dem Zeigefinger der Neurologin folgen kann. Die häufigsten Nebenwirkungen sind ein verwaschenes Sprachbild, Doppelbilder, Taubheitsgefühle und Kontrakturen, wenn die Kapsula Interna gereizt wird. Die Patientin kann alle Übungen vorbildlich erfüllen.
Ein Erinnerungsfoto für die Patientin
"Für mich ist bei jedem Patienten interessant zu wissen, wie hoch denn überhaupt die Amplituden bei korrekter Lokalisation sind, bis es zu einer Sprachstörung oder zu Doppelbildern kommt. Bei 4 Milliampere ist das in Ordnung, aber bei nur einem Milliampere würden wir den Kontakt ein wenig anders wählen", erzählt Gasser. Deshalb ist es so wichtig, dass die Patientin wach ist, weder ihre Medikamente eingenommen hat, noch sediert ist. Nur so können diese Tests ein unverfälschtes Ergebnis liefern. Die Frau ist gefasst, lässt alles über sich ergehen und sagt auch zum zehnten Mal die Monate der Reihe nach auf. Als ich in ihr Blickfeld komme, das aufgrund des fixierten Kopfes deutlich eingeschränkt ist, bittet sie mich, ein Erinnerungsfoto für sie zu schießen.
Ein gewöhnungsbedürftiges Bild, doch ist die Patientin sehr ruhig.
Ich kann gleichzeitig den aufgebohrten, leicht blutenden Kopf der Frau sehen, sie dabei sprechen hören und ihr in die Augen schauen. Ein gewöhnungsbedürftiges Bild. Doch da die Stimmung im OP ruhig und angenehm ist und alles selbstverständlich und alltäglich erscheint, bleibt der erwartete Science-Fiction-Grusel aus.
Die Elektrode mit den besten klinischen Ergebnissen bleibt liegen, die anderen vier werden entfernt. An die Stelle der auserwählten Elektrode wird nun die endgültige Elektrode eingesetzt. Ihre Spitze misst nur 14 Mikrometer und ist damit feiner als ein Haar. Dann wird noch der "Deckel", die Bohrlochkappe, aufgesetzt. Hier wird die Elektrode mit einem Kabel verbunden und die spätere Stromzufuhr gesichert.
Anschließend führt Gasser den gleichen Eingriff auf der rechten Seite durch, um auch die Symptomatik der linken Körperhälfte zu verbessern. Damit ist der erste Teil der Operation abgeschlossen.
Alle brauchen eine Pause
Das sichtbare Resultat sind die Nähte der beiden Löcher, durch welche die Elektroden eingeführt worden sind und eine dritte Wunde, eine subgaleale Tasche, in der die übrigen Kabel der Elektroden liegen.
Die Patientin ist erschöpft und fragt, ob die Ärzte bald fertig wären. Sie würde gerne ein wenig schlafen, es sei sehr anstrengend für sie gewesen. Auch Gasser träumt laut von einer Pause mit einer Cola und einem Kaffee, während er die Wunde verschließt. Nach sechs Stunden höchster Konzentration haben sich jetzt alle Beteiligten eine Pause verdient. Ich hätte schon vor zwei Stunden nicht einmal mehr einen Haken halten können, obwohl ich zwischendurch einen Kaffee getrunken habe! Als ich mich völlig fertig auf ein Treppchen in der Ecke setze, grinst mich Gasser an: "Ich geh mal schnell einen Kaffee trinken, bin in zehn Minuten wieder da. Sie sind doch nicht etwa müde, oder?!" Mit letzter Kraft schüttle ich den Kopf.
Zweiter Teil der OP
Während das Operationsteam beim Kaffeetrinken ist, darf die Patientin endlich schlafen und wird intubiert. Im zweiten Teil der OP wird ein Generator unter dem Rippenbogen eingesetzt. Er wird die Elektroden mit Strom versorgen. Die Patientin wird den Generator mittels eines Steuermagnets ein und ausschalten können. Starke elektromagnetische Quellen wird sie in Zukunft vermeiden müssen, sonst könnte sich der Neurostimulator selbstständig machen. Seine Batterie hält circa zwei Jahre. Mit 30.000 Euro ist der heutige Eingriff zwar nicht ganz billig, doch dafür lohnt er sich schon nach zwei Jahren, weil meist 60 Prozent der Parkinson-Medikamente abgesetzt werden können. Die Kosten für die Operation übernimmt die Krankenkasse.
Um die Elektroden über das Verlängerungskabel mit dem Generator zu verbinden, werden die Kabel subkutan vom Kopf hinter dem Ohr vorbei nach vorne laufend zum Bauch geführt und dort verbunden.
"Auch die schönste OP hat einmal ein Ende." Mit diesen Worten übergibt Gasser Nadel und Faden an seinen Assistenzarzt, der die letzte Wunde für heute verschließt.
So geht die äußerst spannende OP nach über sieben Stunden zu Ende.
Mehrere Wochen später
Einige Wochen später erfahre ich noch von Dr. Carola Seifried: "Der Patientin, geht es gut. Sie kann wieder laufen. Auch diese Fluktationen, das Hin- und Herwechseln zwischen den On- und Off-Phasen, die sie vorher hatte, treten nicht mehr auf."
Kurzportrait des Operateurs
Priv. Doz. Dr. med. habil. Thomas Gasser ist 1969 in Teheran im Iran geboren und studierte in Budapest/Ungarn und Essen Humanmedizin. Der Facharzt für Neurochirurgie leitet die Sektion Intraoperative Bildgebung und die Sektion für Stereotaxie und funktionelle Neurochirurgie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, und seit 01.11.08 nun auch die Funktionelle Neurochirurgie am Universitätsklinikum Essen. Einer seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte liegt auf der Tiefenhirnstimulation.
Glossar
- Tremor: Zittern
- Akinese: Bewegungslosigkeit
- Rigor: Steifigkeit der Muskulatur, die während der gesamten Bewegung bestehen bleibt, wenn der Arm oder das Bein passiv bewegt wird. Dabei lässt der Widerstand immer wieder nach, was zu einem ruckartigen Bewegungsablauf führt (= Zahnradphänomen). Ursache ist eine erhöhte Muskelgrundspannung bei Erkrankungen des extrapyramidalen Systems, z.B. Parkinson.
- Pronations- und Supinationsbewegung: Drehen der Hand im Handgelenk - Handfläche abwechselnd nach oben und unten drehen
- Bradydiadochokinese: Für Morbus Parkinson typisches Symptom. Es handelt sich um eine feinmotorische Störung, bei der die antagonistischen (gegensätzlichen) Handbewegungen verlangsamt sind.
Neue Erkenntnisse zur Tiefenhirnstimulation
"Die Tiefenhirnstimulation beim Morbus Parkinson hat einen anderen Wirkungsmechanismus als bisher angenommen. Dies zeigen tierexperimentelle Untersuchungen", meldet am 20. März 2009 Ärzteblatt online und bezieht sich auf einen Artikel in der Fachzeitschrift "Science".
Alternativen zum Hirnschrittmacher beim Morbus Parkinson
Die Autorin studiert Medizin in Mailand und ist freie Mitarbeiterin von Via medici. Alle hier abgebildeten Fotos stammen von Mona Herz.