• Klinikgeschichten
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  • Annika Simon
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  • 19.09.2016

Alarm in der Notaufnahme: Erst Synkope, dann Blut erbrechen

Es ist der Alptraum eines jeden Berufsanfängers: Man schiebt alleine Dienst in der Notaufnahme, die Patienten stapeln sich auf den Gängen und plötzlich fängt eine mutmaßliche Simulantin an, heftig Blut zu spucken. Was dann?

Zwischen Alkis und Simulanten

Ich stehe als noch recht unerfahrene Medizinstudentin in Mitten einer internistischen Notaufnahme und schaue einer ähnlich unerfahrenen Assistenzärztin über die Schulter. Es ist Freitagabend und das Thermometer zeigte 28°C Außentemperatur, ganz zu schweigen von der dicken Luft in den nicht klimatisierten Untersuchungsräumen. Ein ebenfalls für den heutigen Dienst eingeteilter Kollege mit Facharztstatus und Erfahrung hatte sich kurzfristig krank gemeldet und so sind die Ärztin und ich die einzigen Vertreter des medizinischen Lagers. Während die Schwestern für jeden Neuzugang eine Akte anlegen und die Vitalparameter dokumentieren, mache ich fleißig Anamnesen und einige Voruntersuchungen. Im Hintergrund brüllt ein dementer Patient aus dem Pflegeheim in Dauerschleife um Hilfe und zwei kräftige Pfleger versuchen mit Fixierungsgurten einen randalierenden Alkoholiker im Zaum zu halten. Unsere Patienten kommen meist mit unklaren Infekten oder exsikkiert aus Nachbarkliniken und Heimen oder spazieren ohne akute Beschwerden durch das Eingangstor, um Untersuchungen machen zu lassen, für die man im ambulanten Bereich lange auf einen Termin hätte warten müssen. Ich nenne sie dann „Fußgänger“ oder Simulanten.

 

Harmloser Kollaps

Auch meine nächste Patientin ist vermutlich eine dieser Simulanten. Sie erzählt im Anamnesegespräch von einem kleinen Schwächeanfall am Vormittag, Ohrensausen und einer Leistungsminderung seit einigen Wochen. Ich fragt weiter nach und werde dann doch etwas hellhöriger. Vor 2 Monaten hatte sie wohl einen Herzinfarkt und bekam in der Klinik Katheter und Stent. Seitdem nehme sie ein neues orales Antikoagulanz ein, das einen Reinfark verhindern soll. Ok, alles klar: Abklärung Kollaps, Ausschluss Reinfarkt! Ich lege ihr einen intravenösen Zugang, nehme Blut für ein Herzlabor mit Troponin und CK ab, veranlasse ein 12-Kanal-EKG und hänge noch einen Liter Ringer an. Die Patientin wird dann zur Überwachung aufgenommen und vom Flur auf eine nahe gelegene Normalstation verlegt. Soweit, so gut. Auf zum nächsten!

 

Alles andere als harmlos

Etwa 2 Stunden später – ich suche gerade eine flüchtige demente Patientin – bekommt die Assistenzärztin einen Anruf von der Station, wird bleich um die Nase und rennt los. Fünf Minuten später schiebt sie gemeinsam mit zwei Schwestern rennend das Bett meiner Kollaps-Patientin in Richtung Notfallraum. Ich renne hinterher und versuche natürlich zu helfen. Meine Patientin ist käsig-weiß und hat nur noch einen Blutdruck von systolisch 60 mmHg. Natürlich viel zu wenig! Der Puls ist auch nicht wesentlich schicker und so legen wir zwei weitere Zugänge und geben der Patientin zwei Liter Infusion im Schuss. Das scheint zu helfen und während die Schwestern ein neues EKG ableiten machen wir erstmal mit einem der anderen tausend Patienten weiter.

Doch plötzlich ruft die Schwester„Hilfe!“ aus dem Notfallraum und so legen die Ärztin und ich den nächsten Sprint ein. Diesmal ist es ein wirklich waschechter Totalnotfall: Die Patientin spuckt schwallartig hellrotes Blut – eine gastrointestinale arterielle Blutung. Die Assistenzärztin dreht nochmal die Infusionen auf, versucht, die Patientin zu beruhigen und holt schnell den Oberarzt in Rufbereitschaft ans Telefon. „Jürgen, du musst kommen!“, sagt sie mit aufgeregter Stimme, „Meine Patientin hier braucht ganz dringend eine Gastroskopie zur Blutstillung. Sie hatte vor zwei Monaten einen Herzinfarkt und nimmt seitdem Antikoagulanzien ein. Sie blutet wie Sau, ich brauch deine Hilfe!“

 

Der Teufel ist ein Eichhörnchen!

Der besagte Oberarzt ist schnell vor Ort und kann die Blutung durch eine Ligatur und durch das Unterspritzen des ursächlichen Gefäßstumpfes mit Adrenalin zur Vasokonstriktion stoppen. Aus einem auffälligen riesigen Ulkus nimmt er weiterhin eine Probe für die Pathologie. Die Patientin stabilisiert sich zunächst, muss aber bei erheblicher Verschlechterung ihrer Kreislaufsituation schließlich auf die Intensivstation verlegt werden. Eine Computertomographie des Abdomens ergibt einen ausgedehnten gastrointestinalen Stromatumor (GIST), der wohl die Blutung verursacht hatte und auch der inzwischen eingetroffene Patho-Befund bestätigt diese Arbeitsdiagnose. Glücklicherweise konnte der Tumor durch eine Magenteilresektion entfernt werden und als ich die Patientin drei Wochen später in der Krankenhaus-Kantine sehe, kann sie schon wieder im Rollstuhl sitzen und mit ihren Angehörigen einen Tee trinken. Für mich ist dieser Fall eine echte Lehre: Denn auch vermeintlich harmlose Schwächeanfälle können sich als medizinische Katastrophen entpuppen.

 

Weiterführende Links

- Vortrag über gastrointestinale Blutungen der Uni Regensburg

- Notfall gastrointestinale Blutung

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