- Kasuistik
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- Dr. med. Thomas Ziegenfuß
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- 22.09.2005
Notfall Hitzschlag
Warme Sonnenstrahlen auf der Haut vermitteln den meisten Menschen ein gutes Gefühl. Die wenigsten denken daran, dass diese Strahlen auch töten können. Im letzten Sommer starben Tausende an hitzeassoziierten Erkrankungen. Dr. med. Thomas Ziegenfuß, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am St. Josef Krankenhaus in Moers, berichtet Ihnen von einem solchen Fall.
An einem Augustnachmittag des Jahres 2003 beschloss Herr Kolb*, dem Grab seiner Mutter einen Besuch abzustatten. Wie immer fuhr er mit dem Fahrrad zum Friedhof. Und wie immer trug er dazu seinen Anorak, ohne den er eigentlich nie aus dem Haus ging. Leider war es an diesem Tag sehr heiß – so heiß, dass die Tropfen, die der Rasensprenger der Friedhofsgärtnerei bis zur Straße spritzte, auf dem kochend heißen Asphalt binnen Sekunden verdampften. Als Herr Kolb am Friedhof ankam, fiel Spaziergängern auf, dass er vor dem Eingangstor Schlangenlinien fuhr. Von fern konnten sie sehen, wie er langsam abstieg, das Fahrrad zu Boden gleiten ließ und kurz darauf selbst daneben zu Boden sank. Als die Passanten nach dem Zusammengebrochenen sahen, fanden sie ihn kaum ansprechbar und riefen deswegen über Handy den Notarzt. Wenig später lag der somnolente Patient in der Notaufnahme des nächsten Krankenhauses.
Überhitzt ins Leberversagen
Der diensthabende Arzt maß bei dem desorientierten und verlangsamten 40-Jährigen einen Blutdruck von 100/70 mmHg. Die Herzfrequenz lag bei 130/min und die Atemfrequenz bei 40/min. Sofort fiel dem Arzt die heiße, trockene Haut auf. Die axilläre Temperaturmessung ergab unglaubliche 41,6°C. Im Labor zeigte sich eine Hämoglobinkonzentration von 19,6 g/dl und bei normalem Sauerstoffpartialdruck eine arterielle Kohlendioxidkonzentration von 27 mmHg. Das Basendefizit lag bei 5 mmol/l, der Blut-pH bei 7,45. Die Gerinnungswerte entsprachen zwar der Norm, aber die Transaminasen mit einer AST von 510 U/l und einer ALT von 730 U/l waren stark erhöht. KeineFrage, der Patient litt an einem schweren Hitzschlag.
Während der Arzt den Notaufnahmebogen ausfüllte, ging ihm immer wieder ein Gedanke durch den Kopf: Warum nur war der Kerl bei dieser Affenhitze mit so einem warmen Anorak herumgeradelt? Die Antwort erhält er wenig später von einem Angehörigen des Patienten. Herr Kolb litt an einer chronischen Schizophrenie und lebte seit dem Tod seiner Mutter allein in der früher gemeinsamen Wohnung. Wahrscheinlich war diese psychische Erkrankung dafür verantwortlich, dass er die Überhitzungssignale seines Körpers ignoriert hatte.
Auf der Intensivstation erhielt Herr Kolb eine Infusion mit zunächst mehreren Litern Vollelektrolytlösung und zur Temperatursenkung Antipyretika. Außerdem legte man ihm Kühlaggregate auf die Haut. Zunächst blieb sein Zustand unverändert. Im Laufe des Abends trübte er jedoch zunehmend ein und wurde daher – einige Stunden nachdem er in die Intensivstation aufgenommen worden war – intubiert und beatmet. Trotz aller Kühlungsmaßnahmen gelang es erst nach fünf Stunden, seine Körpertemperatur unter 40°C zu senken. Am nächsten Tag entwickelte er ein rasch progredientes Leberversagen mit ausgeprägter Hyperbilirubinämie. Seine Transaminasen stiegen auf über 10.000 U/l, begleitet von einem Anstieg der Kreatininkonzentration, was auf ein beginnendes Nierenversagen hinwies. Zwei Tage später zeigten sich im CT Hirnstammhypodensitäten und nach einem weiteren Tag starb Herr Kolb im Multiorganversagen.
Opfer des Jahrhundertsommers
Der Sommer des Jahres 2003 gehörte in Europa zu den heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Die meisten von uns erinnern sich gern daran und hoffen wahrscheinlich, dass dieser Sommer genauso wird. Viele Menschen wie Herr Kolb mussten den „Jahrhundertsommer“ jedoch mit dem Leben bezahlen. Vor allem in Frankreich sollen über 10.000 Menschen an den Folgen der August-Hitzewelle gestorben sein. Die meisten Opfer waren Alte, Behinderte, Geschwächte oder Einsame. In einer Klinik in Lyon sind in der Phase der größten Hitze vom 8.–19. August mehr als dreimal so viele Menschen gestorben wie im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. In fast der Hälfte der Fälle handelte es sich dabei um hitzeassoziierte Todesfälle. Diese „heat related deaths“ sind definiert als Todesfälle nach Entwicklung einer ausgeprägten Hyperthermie mit über 40,6 °C bei heißem Wetter und ohne andere erkennbare Gründe.
US-amerikanische Forscher vermuten, dass während Hitzeperioden pro 100.000 Einwohnern etwa 10 Menschen an einer hitzeassoziierten Krankheit sterben. Da die meisten Meteorologen erwarten, dass solche Hitzeperioden in den kommenden Jahren häufiger und ausgeprägter werden, muss man davon ausgehen, dass wohl auch die hitzeassoziierten Erkrankungen und Todesfälle zunehmen werden.
Kernproblem: gestörte Wärmeabgabe
Hitzeassoziierte Erkrankungen können sich sehr unterschiedlich ausprägen. Ihre Erscheinungsformen reichen von einfachen Befindlichkeitsstörungen, die sich durch Ausruhen im Schatten und Trinken von Mineralwasser beheben lassen, bis hin zu lebensbedrohlichen Störungen von Vitalfunktionen. Man unterscheidet Hitzschlag, Hitzeerschöpfung, Sonnenstich, Hitzekrämpfe und Hitzeohnmacht (a Tab. 2).
Auslösendes Moment dieser Erkrankungen ist – jeweils unterschiedlich akzentuiert – ein Missverhältnis zwischen Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe. Diese gestörte Temperaturregulation ist verbunden mit Volumenmangel, Elektrolytverschiebungen und gestörter Vasomotorik.
Die Wärmeabgabe erfolgt beim Menschen durch Konduktion, Konvektion, Wärmeabstrahlung und Verdunstung. Durch Konduktion und Konvektion wird Wärme direkt an ein Umgebungsmedium abgegeben. Meistens ist das Luft oder – beim Schwimmen – Wasser. Aber auch der Kontakt kühler Gegenstände mit der Haut führt zur konduktiven Wärmeabgabe. Durch bewegte, kühle Luft wird die konvektive Wärmeabgabe gefördert. Wärmeabstrahlung erfolgt – unabhängig von der Temperatur des Umgebungsmediums – an Gegenstände in der Umgebung, wenn diese eine niedrigere Temperatur als der Körper aufweisen. Wärmeabgabe durch Konduktion, Konvektion oder Wärmeabstrahlung ist somit bei normaler Körpertemperatur nur möglich, wenn Umgebungsmedium oder Umgebungsgegenstände kälter als 37 °C sind. Die einzige Möglichkeit der Wärmeabgabe bei Umgebungstemperaturen über 37 °C ist, an der Körperoberfläche Wasser zu verdunsten. Dieses Wasser wird vom Körper in Form von Diffusionswasser über Häute und Schleimhäute (Perspiratio insensibilis) und vor allem Schweiß (Perspiratio sensibilis) erzeugt. Wenn die Umgebungsluft maximal trocken ist, können durch Schwitzen pro Stunde etwa 2.500 kJ abgegeben werden. Damit bei Hitze eine normale Körpertemperatur gehalten werden kann, ist es also wichtig, dass ausreichend Schweiß produziert wird.
Bei Menschen, die sich gut an heiße Regionen akklimatisiert haben, steigt deswegen auch die Schweißproduktionsrate. Je mehr Schweiß fließt, desto mehr wird eine adäquate Wasser- und Elektrolytaufnahme überlebenswichtig. Wird zu wenig getrunken und besteht eine kardiozirkulatorische Insuffizienz – was vor allem bei älteren Menschen häufig vorkommt – ist die Schweißproduktion vermindert. Außerdem muss gewährleistet sein, dass der produzierte Schweiß auch verdunsten kann. Dafür sollte die Bekleidung angemessen leicht sein.
Hitzschlag: die „Sonnen-Sepsis“
Der Hitzschlag ist die gefürchtetste hitzeassoziierte Erkrankung mit einer Letalität von etwa 50%. Durch gestörte Wärmeabgabe entwickelt sich eine Hyperthermie. Dabei sind Körpertemperaturen von 43 °C und mehr möglich. Neben dem „klassischen“ Hitzschlag, der typischerweise in körperlicher Ruhe vorkommt, kann sich ein „Anstrengungshitzschlag“ entwickeln, der mit erhöhter Muskelarbeit und Wärmeproduktion einhergeht und in Ausnahmefällen sogar ohne erhöhte Umgebungstemperatur auftreten kann.
Die Hyperthermie geht meist mit Hypovolämie, Hämokonzentration und Elektrolytstörungen einher. Der Patient erleidet zerebrale Funktionsstörungen wie Desorientiertheit oder Bewusstlosigkeit bis hin zum Koma, oft begleitet von Krampfanfällen. Die Haut ist warm, der Blutdruck erniedrigt und das Herz tachykard. Durch die Hyperthermie wird offenbar eine generalisierte Entzündung ausgelöst, die in ihrem klinischen und laborchemischen Erscheinungsbild der schweren Sepsis oder dem septischen Schock ähnelt. Und wie die Sepsis führt auch der Hitzschlag oft zum Multiorganversagen. Pathogenetisch entscheidend für den häufig fatalen Verlauf des Hitzschlags ist wahrscheinlich eine gestörte Produktion oder Funktion so genannter Hitzeschockproteine, die normalerweise eine protektive Funktion innerhalb der Zellen ausüben.
Therapie
Kühlen und Infusionen: Therapeutisch stehen zunächst – neben der Sicherung der Vitalfunktionen – die Temperatursenkung und eine adäquate Infusionstherapie im Mittelpunkt. Die Temperatur muss aggressiv bis zu einer Körpertemperatur von weniger als 39 °C abgesenkt werden, indem der Patient schnell in einen kühlen Raum gebracht und aktiv gekühlt wird. Dies kann man durch ständiges Auflegen von Kühlelementen oder Eis erreichen, was die konduktive Wärmeabgabe fördert. Die konvektive Wärmeabgabe wird durch den Einsatz von Ventilatoren erhöht. Gleichzeitige Hautmassagen sollen die reaktive Vasokonstriktion verhindern. Durch eine adäquate Infusionstherapie kann das in der Regel verminderte intravasale Volumen wieder normalisiert, die Hämokonzentration beseitigt und die Kreislaufinsuffizienz behoben werden. Dies erfolgt vorwiegend mit Vollelektrolytlösungen, denen je nach den laborchemischen Blutbefunden weitere Elektrolyte beigemengt werden.
Die Normalisierung der Temperatur kann zusätzlich unterstützt werden, indem man gekühlte Infusionslösungen verwendet. Spezifische medikamentöse Maßnahmen zur Temperatursenkung wie das antipyretische Paracetamol oder Ibuprofen sind beim Hitzschlag in ihrer Effektivität nicht belegt. Auch das zur Therapie der so genannten malignen Hyperthermie verwendete Dantrolene ist beim Hitzschlag offenbar ineffektiv. Bei zerebralen Krampfanfällen verabreicht man symptomatisch antikonvulsiv wirkende Medikamente wie Diazepam.
Beste Therapie: Prophylaxe
Da die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt sind, kommt der Prophylaxe des Hitzschlags besondere Bedeutung zu. Vor allem adäquates Verhalten ist wichtig. Dazu gehört, dass man sich angemessen leicht kleidet, bei großer Hitze keinen anstrengenden Tätigkeiten nachgeht, sich eher in kühlen, klimatisierten Räumen aufhält und ausreichend elektrolythaltige Flüssigkeit zu sich nimmt.
Besonders ältere und psychisch gestörte Menschen verhalten sich oft falsch, ziehen auch bei hohen Temperaturen aus Gewohnheit einen Mantel an und trinken viel zu wenig. Ein weiteres Problem dieser Bevölkerungsgruppe ist, dass häufig die kardiovaskuläre Reserve nicht ausreicht, um das Herzzeitvolumen so stark zu steigern, wie es notwendig wäre. Dies erklärt den hohen Anteil älterer Menschen an den Todesopfern von Hitzewellen. Auch Kleinkinder handeln oft unbesonnen und sind auf vernünftige Verhaltensvorgaben der Eltern angewiesen. Leider bleiben diese aber nicht selten aus. Und manchmal sind es sogar die Eltern selbst, die ihre Kinder oder Babies bei größter Hitze warm anziehen, ihnen nicht genug zu trinken geben oder sie gar im geschlossenen Auto in der prallen Sonne lassen. So sterben immer wieder Kleinkinder am Hitzschlag.