- Praxisanleitung
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- Dr. Martin Baier
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- 08.10.2014
OP-Techniken: Malleolarfraktur - Feinhandwerk am Sprunggelenk
Menschliche Sprunggelenke müssen ganz schön was aushalten – als Zweibeiner belasten wir sie mit einem enormen Gewicht. Deshalb muss nach einer Fraktur die Anatomie der Knöchelgabel sorgfältig rekonstruiert werden. Sonst ist eine Arthrose in diesem für unsere Mobilität sehr wichtigen Gelenk vorprogrammiert. Dr. med. Martin Baier, Orthopäde und Unfallchirurg an der Uniklinik Heidelberg, erklärt, wie eine Malleolarfraktur operativ versorgt wird.
In der Klinik-Cafeteria ist Hochbetrieb: Patienten, Besucher und Mitarbeiter drängen sich an der Theke. Dahinter bedient Frau Maric in atemberaubender Geschwindigkeit. Die 50-Jährige ist in ihrem Element: hier ein Brötchen, da ein Kaffee, dort ein Nachtisch. „Moment!“, ruft sie einem Kunden zu. „Den Obstsalat muss ich hinten holen!“ Und schon ist sie in die Küche geeilt. Gerade will sie sich das Schüsselchen schnappen, da flutscht ihr plötzlich der Boden unter den Beinen weg. Dabei verdreht sie ihren Fuß und hört ein merkwürdiges Krachen im Sprungelenk. Dann fällt sie hart auf den Küchenboden. Jetzt erst bemerkt sie, dass die Fliesen klatschnass sind. Hat sie nicht ihrer Kollegin hundert Mal gesagt, dass sie nach dem Putzen trocken wischen muss?
Doch sofort dominiert Schmerz den aufkeimenden Ärger. Frau Maric ist klar, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen kann. Ihr linker Fuß steht schief. Der Knöchel tut weh und wird schnell dicker. Kunden helfen ihr auf einen Stuhl und rufen den klinikinternen Krankentransport. Wenig später sitzt Frau Maric in der chirurgischen Ambulanz und schildert einem Assistenzarzt den Unfallhergang. Dem jungen Arzt fällt auf, dass das Gewebe über dem Außen- und Innenknöchel geschwollen ist. Außerdem besteht eine leichte Valgusfehlstellung im Sprunggelenk. Durchblutung, Motorik und Sensibilität („DMS“) sind intakt. Die Haut ist unverletzt.
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Natürlich vermutet der Arzt eine Fraktur. Doch das ganze Ausmaß der Verletzung zeigt erst die Röntgenaufnahme in zwei Ebenen: Eine Bruchlinie läuft durch die distale Fibula auf Höhe der Syndesmose von vorne unten nach hinten oben. Eine weitere Bruchlinie geht durch den Innenknöchel. Der Talus ist innerhalb der gebrochenen Malleolengabel nach lateral versetzt. Das passt zur Valgusfehlstellung. Manchmal bricht bei solchen Verletzungen ein Fragment an der Stelle aus der Tibia, wo die hintere Syndesmose ansetzt. Man spricht dann von einem „Volkmann-Dreieck“. Dieses Knochenstück kann man meist in der Seitaufnahme gut erkennen. Bei der Patientin ergibt sich darauf aber kein Hinweis. Sie leidet also an einer dislozierten Sprunggelenkfraktur Typ Weber B mit Innenknöchelfraktur (Abb. 1). An Begleiterkrankungen bestehen bei Frau Maric ein mit Betablocker behandelter Bluthochdruck und eine Adipositas. Ansonsten ist sie gesund.
OP – nur auf nüchternen Magen!
Frau Maric ist nicht überrascht, als sie erfährt, dass das Sprunggelenk gebrochen ist. Aber dass man operieren muss, schockiert sie. „Tut es da nicht auch ein Gips?“, fragt sie skeptisch Dr. Schwab, den Unfallchirurgen, der mit ihr die Befunde bespricht. Der schüttelt den Kopf: „Ihre Knöchelgabel umgreift das Sprungbein auf der Innen- und Außenseite und führt die Sprungbeinrolle beim Heben und Senken des Fußes“, erklärt er. „Ist diese Funktion gestört, kann sich der Knorpelüberzug der Gelenkflächen vorzeitig abnutzen. Folge wäre eine Arthrose im oberen Sprunggelenk. Um das zu vermeiden, müssen wir die Strukturen unbedingt in ihrer ursprünglichen Form wiederherstellen.“
Das leuchtet Frau Maric ein. Schließlich soll das Gelenk auch in 20 Jahren noch funktionieren! Deswegen akzeptiert sie auch den Teil der Operationsaufklärung, in dem ihr Dr. Schwab alle unerwünschten Verläufe auflistet: Thrombose, Embolie, Blutung, Transfusion, Wundheilungsstörung, Infektion, Verletzung von Knochen, Weichteilen, Gefäßen oder Nerven, verzögerte oder mangelnde Knochenheilung, Verheilen in Fehlstellung, erneute Fraktur und Restbeschwerden. Außerdem weist der Chirurg seine Patientin darauf hin, dass sie eventuell nochmals operiert werden muss, wenn das Metall entfernt wird.
Auf die Frage, wann sie das letzte Mal gegessen hat, muss Frau Maric nicht lang nachdenken: Vor einer Stunde. Schließlich sitze sie an der Quelle! Das hört Dr. Schwab gar nicht gern. Am liebsten würde er sie gleich operieren. Aber er weiß: Bei nicht nüchternen Patienten muss man vorsichtig sein. Deswegen fragt er noch eine Anästhesistin um Rat. Diese bestätigt: Das Risiko, dass die Patientin bei der Narkoseeinleitung Mageninhalt aspiriert, ist zu groß. Deswegen rät sie, die Nüchternzeit von sechs Stunden abzuwarten.
„Sechs Stunden?“, grummelt der Unfallchirurg. „Danach ist der Knöchel so dick, dass ich bei OP-Ende die Haut nicht mehr zunähen kann!“ Aber natürlich sieht er ein, dass das Risiko einer Narkose bei vollem Magen nur vertretbar wäre, wenn der Patientin durch den OP-Aufschub ernsthafte Gefahr drohen würde. Also stimmt er einer Verschiebung zu – sofern die Fehlstellung geschlossen reponiert werden kann. Das ist wichtig, damit die Weichteile keinen Schaden nehmen.
Bevor Dr. Schwab den Bruch reponiert, spritzt er Frau Maric Analgetika i. v. Dann korrigiert er unter Bildwandlerkontrolle durch vorsichtigen Längszug die Fehlstellung. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden. Also legt er einen zirkulären Unterschenkelgips an, den er auf ganzer Länge spaltet. Der Erfolg dieser Aktion wird mit Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen dokumentiert (Abb. 2).´
Warten, bis die Schwellung schwindet
Damit ist die Gefahr für das Gelenk gebannt. Jetzt muss nur noch der Weichteilmantel ausreichend abschwellen. In der Regel dauert das vier bis sechs Tage. Frau Maric kommt auf Station, und ihr Bein wird im gespaltenen Gips hochgelagert. Zur Thromboseprophylaxe bekommt sie einmal täglich ein niedermolekulares Heparin. Außerdem erhält sie zweimal täglich Diclofenac 75 mg in retardierter Form gegen die Schmerzen und einen Protonenpumpeninhibitor als Magenschutz. Der Stationsarzt kümmert sich darum, dass ein Durchgangsarztbericht erstellt und an die Berufsgenossenschaft geschickt wird. Schließlich handelt es sich um einen Arbeitsunfall, für dessen Behandlungskosten die gesetzliche Unfallversicherung aufkommt.
Doch leider schwillt das Bein von Frau Maric – obwohl sie es konsequent hochlagert – nur sehr zögerlich ab. Als sie am fünften Tag noch immer nicht operiert werden kann, scheint ihre Geduld erschöpft. Mit Mühe gelingt es Dr. Schwab, die Patientin zu beruhigen: „Die Haut ist noch deutlich gespannt, die Hautoberfläche glänzt“, erklärt er ihr die Entscheidung. „Schauen Sie sich Ihren anderen Fuß zum Vergleich an. Hier sehen Sie die normalen Fältchen. Die Hautoberfläche lässt sich verschieben. Erst wenn am verletzten Bein die Schwellung so weit zurückgegangen ist, dass die Haut nicht mehr glänzt und sich wieder Fältchen zeigen, kann ich die Wunde am Ende der Operation spannungsfrei verschließen. Operieren wir zu früh, so ist das Risiko einer Wundheilungsstörung groß.“
Da die Ärzte für ihre Misere also offensichtlich nichts können, richtet Frau Maric ihren Ärger in eine andere Richtung. Lautstark schimpft sie über ihre Kollegin in der Cafeteria, die in ihren Augen für das Malheur verantwortlich ist. Endlich, am siebten Tag, bessert sich die Stimmung der Patientin schlagartig: Die Weichteile sind abgeschwollen, die Hautfältelung ist wieder sichtbar. Grünes Licht für die OP!
OP-Puzzle mit den Knöchelknochen
Am nächsten Morgen liegt die Patientin im Operationssaal. Etwa 30 Minuten vor dem Hautschnitt – also noch bevor die Narkose eingeleitet wird – erhält sie zur Infektprophylaxe intravenös 1,5 g Cefuroxim. Der Eingriff wird in Intubationsnarkose in Rückenlage durchgeführt. Damit sich das linke Bein im Hüftgelenk nicht nach außen dreht und den Außenknöchel auf die Unterlage drückt, wird die linke Gesäßhälfte auf gefalteten Tüchern erhöht gelagert. Das rechte Bein wird leicht abgesenkt, damit man mit dem Röntgenbildverstärker auch im seitlichen Strahlengang arbeiten kann.
Der gesamte Unterschenkel mit Fuß wird chirurgisch desinfiziert und steril abgedeckt. Dann wird das linke Bein angehoben, um die venöse Füllung zu verringern, und die vorbereitete Oberschenkelblutsperre wird auf 350 mmHg aufgepumpt. Hier verfährt man nach der Faustregel, dass der Druck der Sperre 200 mmHg über dem systolischen Blutdruck liegen sollte und maximal zwei Stunden bestehen bleiben darf.
Dann geht’s los. Erst wird der Außenknöchel reponiert und mit Zugschraube und Platte stabilisiert, anschließend wird der Innenknöchel mit einer Zugschraube fixiert (Abb. 3 bis 18). Zum Schluss legt Dr. Schwab Redondrainagen ein und verschließt die Wunden spannungsfrei. Ein steriler Verband wird angelegt, das Bein locker elastisch gewickelt und in einer Unterschenkelgipsschiene in Neutral-Null-Stellung hochgelagert. Sobald die Patientin wach ist, prüft Dr. Schwab Durchblutung, Motorik und Sensibilität am Bein. Am zweiten postoperativen Tag werden die Drainagen entfernt. Anschließend wird das Sprunggelenk – ohne Gipsschiene! – in zwei Ebenen geröntgt.
Knochen heilen, Wunden bleiben
Jetzt – nach der gelungenen OP – möchte Frau Maric natürlich schnell wieder auf die Beine. Doch Dr. Schwab bremst ihren Enthusiasmus: „Während der Wundheilung – also zwölf Tage lang – dürfen Sie das Bein nicht belasten“, erklärt er der Patientin. „Sie sollten es aber regelmäßig aus der Schiene nehmen, um den Fuß auf und ab zu bewegen. Dabei können Sie nichts kaputt machen. Kaputt gehen kann nur etwas, wenn Sie wieder umknicken. Damit Sie trotzdem das Bett verlassen können, bekommen Sie Gehstützen.
Zu Ihrer Sicherheit empfehle ich Ihnen nach Entfernung der Fäden einen Cast. Das ist ein geschlossener Gips aus leichtem Kunststoffmaterial. Auf dessen Gehstollen dürfen Sie zunächst mit halbem, später mit vollem Gewicht auftreten. Nach sechs Wochen nehmen wir den Cast dann ab und machen eine Röntgenkontrolle.“ PJler Moritz, der Dr. Schwab bei der Visite begleitet, wundert sich über diese Vorgehensweise. Kaum haben die beiden das Zimmer von Frau Maric verlassen, fragt er, warum die Patientin eigentlich keine frühfunktionelle Nachbehandlung ohne Ruhigstellung bekomme. Schließlich habe sie doch eine stabile Osteosynthese.
„Bei dir würde ich das machen“, erklärt Dr. Schwab dem jungen Kollegen. „Du bist schlank, sportlich und hast genügend Bewegungsgefühl, um den operierten Fuß immer gerade und kontrolliert auf den Boden setzen zu können. Bei Frau Maric gehen wir lieber auf Nummer sicher. Ich kenne sie aus der Cafeteria. Sie ist mir einfach zu hibbelig!“
Tatsächlich fährt Frau Maric mit dieser sicheren Variante sehr gut. Als sie am sechsten Tag nach OP entlassen wird, ist sie bestens aufgelegt. Mit den Gehstützen kommt sie gut zurecht, und einen Termin zur Entfernung der Fäden und Anlage des Gehgipses hat sie in der Tasche.
Und doch bleibt da ein wunder Punkt: Als ihr Dr. Schwab zum Abschied alles Gute wünscht und Sie daran erinnert, dass ihre Kunden in der Cafeteria jetzt ja noch etwa fünf Wochen auf sie warten müssten, kühlt ihre Stimmung schlagartig ab: „Bis dahin muss meine Kollegin eben alleine rennen“, zischt sie. „Das soll ihr eine Lehre sein!“ Für ihn als Unfallchirurg keine neue Erfahrung: Gebrochene Knochen lassen sich meistens ganz gut verschrauben. Andere Wunden brauchen deutlich länger, bis sie heilen …
Der Autor Dr. med. Martin Baier ist Oberarzt der Sektion Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg (Sektionsleiter: Prof. Dr. med. P.-J. Meeder)