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  • Dr. med. Yvonne Kollrack
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  • 11.03.2011

Keep surfing: Verletzungsmuster beim Wellenreiten

Wer in München die Prinzregentenstrasse in der Nähe der Nobeldisko P1 entlanggeht, sieht sofort: Surfen ist cool. Das zeigte 2010 auch der Film "Keep surfing", der von den Münchner Eisbachsurfern handelt. Zur kalten Jahreszeit sind die Surfer immer noch unterwegs und können sich somit einer Erkältung fast sicher sein. Doch welche Erkrankungsgefahren und Verletzungsrisiken birgt das Surfen noch?

Gefahren in der stehenden Welle

Im winterlichen München ist nur eines cooler als die Jungs und Mädels im Neoprenanzug: Das Wasser. Denn der Eisbach hat seinen Namen nicht von ungefähr. Wer als Mediziner dem eleganten, aber durchaus waghalsigen Treiben im eisigen Nass zuschaut, dem kommen zwangsläufig Gedanken an die Erkrankungsgefahren und Verletzungsrisiken beim Surfen und speziell beim Riversurfen am Eisbach.

Denn in der stehenden Welle lauern ein fieser Sog, ein steinerner Untergrund und eine Begrenzungsmauer, ganz zu schweigen von den üblichen Unannehmlichkeiten wie kalten Füssen, Wasser in den Ohren und nassen Haaren, die auch jeder Meer-Surfer kennt.

Für Via medici online stellte sich Quirin Rohleder, einer der besten Surfer am Eisbach und Mit-Protagonist des Filmes "Keep surfing", als Experte im Gespräch zur Verfügung.

 

November 2010: Quirin Rohleder am Eisbach

Surfen als verletzungsarme Sportart

In der Sportmedizin gibt es mittlerweile einige Studien zum Thema Verletzungsmuster beim Wellenreiten. Hier gilt Surfen als relativ verletzungsarme Sportart mit einer Inzidenz von 0,4 bis 3,5 Verletzungen pro 1.000 Surfstunden. Die meisten Verletzungen stellen Bagatellverletzungen wie Schnittwunden oder Prellungen dar.

Quirin Rohleder kann das nur bestätigen. Auch er hat sich beim Surfen schon oft verletzt, aber selten war eine medizinische Behandlung oder eine längere Sportpause notwendig.

Die unangenehmste Verletzung in Form einer massiven Prellung am Oberschenkel hat er sich am Münchner Eisbach zugezogen. "Das Hämatom im Muskel hat mich vier Monate lang beeinträchtigt", erinnert er sich.

Entstanden ist die Verletzung durch einen Aufprall auf die Steine am Boden des Eisbachs. Auch im freien Meer sind Steine bei 17% der Verletzungen die Ursache. Je flacher der Untergrund, wie am Eisbach oder über Korallenriffen, desto höher das Risiko. Auch am Eisbach sei es eher der Untergrund als die Begrenzungsmauer, der manche Surfer beim unfreiwilligen Abgang vom Brett zu nahe kommt und somit zu Verletzungen führt, so Quirin.

Der häufigste Urheber einer Verletzung ist allerdings das Board selbst. In 67% aller Fälle handelt es sich um ein direktes Trauma durch das Brett, dabei in 82% durch das eigene Brett und in 18% der Fälle durch das Brett eines Surfkollegen.

 

Vor- und Nachteile von Sicherheitsdevices

Quirin erzählt, dass es beim Surfen am Meer häufig zu Platzwunden am Kopf durch die scharfen Finnen oder die Nase des Boards komme. In Studien beträgt die Anzahl der finnenbedingten Verletzungen bis zu 30%.

Die leash, also die Fußleine, die das Surfbrett am Surfer sichert, spielt hier eine zwiespältige Rolle. Zum einen kommt es seit der Einführung dieser Sicherheitsleine zu deutlich weniger Verletzungen (von 23% zu 12%) durch treibende fremde Boards, und im Falle einer schwereren Verletzung bietet die Leine den sicheren Kontakt zum Board als Schwimmhilfe. Zum anderen erhöht die Fußleine aber durch ein elastisches Zurückschnellen des Boards die Verletzungsgefahr durch das eigene Board.

Quirin weist noch auf eine weitere Gefahr der Fußleine hin, speziell auf den Eisbach bezogen: Er hat einmal einen Surfer aus dem Wasser gerettet, dessen Leine sich in den Steinen am Untergrund verfangen hatte. "Mittlerweile sind die Leinen aber anders konzipiert und schwimmen auf der Oberfläche", fügt er hinzu.

Quirin selbst ist meistens ohne leash unterwegs, am Eisbach und auch im Meer, weil er die Leine als bremsend empfindet. "Es sei denn, die Wellen sind sehr heftig!".

Auch Sicherheitsfinnen und sogenannte nose guards, Schutzkappen aus Gummi, die die Inzidenz von Schnittwunden herabsetzten sollen, verwendet Quirin nicht: "Die benutzt eigentlich keiner, weil sie das Wasserverhalten des Surfboards stören. Auch wenn sie "Seh-rettend" sein können".

Die zweithäufigste Verletzungslokalisation beim Wellenreiten ist der Kopf, mit 27% bis 37% aller Verletzungen. Überdurchschnittlich häufig kommt es hier zu Platzwunden im Augenbereich. Wer im Film "Keep Surfing" genau aufpasst, entdeckt auch bei Quirin eine kleine Kruste an der Augenbraue. "Von der Brett-Kante", bestätigt er.

Die größte Gefahr birgt vor allem die Spitze von Shortboards. Wie für den Gebrauch von Sicherheitsfinnen plädiert wird, so gilt das in gleichem Maße für den Gebrauch von nose guards. Im Gegensatz zu Quirin vertreten Sportmediziner die Meinung, dass das Fahrverhalten durch diese Sicherheitsdevices nicht verändert werde.

Im gleichen Atemzug fordern einschlägige Studien das Tragen von Helmen und appellieren an die Vorbildfunktion von Profi-Surfen, um, wie auch im Skisport, dem Helm ein "cooleres" Image zu verleihen.

Wenn Quirin an seine Oberschenkelprellung zurückdenkt und sich vorstellt, er sei damals mit dem Kopf aufgeschlagen, kommen ihm schon Bedenken. Trotzdem trägt er selbst keinen Helm. "Irgendwie nimmt mir ein Helm das Freiheitsgefühl. Aber das soll jeder machen, wie er mag. Beim Fahrradfahren hat ja heute auch jedes Kind einen Helm auf, was früher gar nicht üblich war."

 

Verletzungen der unteren Extremität

An erster Stelle der Surfing-Verletzungslokalisationen steht die untere Extremität, am häufigsten der Fuß. Auch hier stehen Schnittwunden, Prellungen und Schürfungen im Vordergrund. Neben den akuten Traumata entstehen vor allem beim Kniegelenk chronische Überlastungsschäden, die 9% aller chronischen Probleme bedingen.

"Mein Meniskus ist noch ganz in Ordnung. Naja, vielleicht etwas angeschlagen", lächelt Quirin. Er führt die Probleme auf die Rotations-Flexions-Bewegungsmuster beim Landen von "airs" zurück und erklärt: "Wenn das Brett nach dem Sprung nicht richtig aufkommt und die Landung härter als geplant ausfällt, verletzt man sich oft an Sprunggelenk oder Knie".

Profis wie Quirin sind für Verletzungen beim Surfen besonders prädestiniert. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Je älter und erfahrener ein Surfer ist, desto höher ist sein Verletzungsrisiko. Je geübter ein Surfer, desto höhere und herausforderndere Wellen werden gesurft und desto schwierigere Manöver ausgeführt.

 

Surfen im Winter

Neben Verletzungen muss die Gesundheit der Surfer auch auf anderen Gebieten geschützt werden. Quirin war zum Zeitpunkt des Gesprächs Ende November selbst noch am Eisbach unterwegs. Aber auch bei Schnee und Eis kann man einzelnen Riversurfern in München zuschauen.

"Der limitierende Faktor sind wirklich die nassen Haare, weil ja ein großer Wärmeverlust über den Kopf stattfindet. Eigentlich friert man nur deshalb. Der Rest ist ja durch den Neoprenanzug und -schuhe geschützt", erläutert Quirin, und es schüttelt ihn allein beim Erzählen ein bisschen.

Einen Anzug mit Haube mag er aber nicht tragen. "Das behindert meine Atmung durch den Mund, ich kann schlecht durch die Nase allein atmen." Sein Trick, um trotzdem nicht auszukühlen: in der Warteschlange am Eisbach vordrängeln und nachher ein warmes Kirschkernkissen.

Bei diesem Thema erwähnt Quirin auch noch die Surfschuhe, die nicht nur die Füße warm halten. "Die Schuhe sind sehr wichtig, um die Füsse vor Schnittverletzungen zu schützen. Wenn ich mir anschaue, wie viele Schnitte nach einem Surf im Gummi zu sehen sind, bin ich sehr froh, dass die nicht alle an meinen Füssen sind." Zudem gäben die Schuhe Halt auf dem Brett, besonders am Eisbach - und ein weiterer Vorteil sei, dass man nicht dauernd nachwachsen müsse.

 

Ohne haltgebende Surfschuhe ist häufiges Nachwachsen und Aufrauhen angesagt.

 

Bakterien und andere unangenehme Zeitgenossen

Während Sportmediziner bezüglich offener Wunden im Meerwasser durchaus eine erhöhte Infektionsgefahr durch Streptokokken-Spezies, E. coli, Pseudomonas und Vibrio-Arten sehen und vor Wundheilungsstörungen warnen, kann Quirin letztere nur bedingt bestätigen. "Wunden heilen halt schlechter, weil ich gleich wieder aufs Surfbrett gehe. Es stimmt aber, dass man in tropischen Gefilden gut aufpassen muss, da sich Wunden dort schon sehr schnell entzünden können. Am besten reinigt man diese immer gleich nach dem Surfen mit Limetten. Das schmerzt zwar ein bisschen, desinfiziert aber gut."

Neben Bakterien aller Art, kreuchen und fleuchen im Meer noch andere, unangenehme Zeitgenossen. "Der Eisbach hat den Vorteil, dass es keine Haie oder Jellyfish gibt", sagt Quirin lachend. Die letzte Begegnung mit Feuerquallen hatte Quirin Rohleder in Australien, wo sie ihn an Arm und Bein erwischt haben. Als Behandlungsmethode hat er sich für das Abspülen mit heissen Wasser entschieden. Aber auch Abspülen mit Essig, Ethanol oder gar Urin werden zur Inaktivierung der Nematocysten und Schmerzreduktion in Studien erwähnt. Einen Konsens scheint es hier nicht zu geben. Heftiges Abrubbeln und Spülung mit Süsswasser sind allerdings kontraindiziert, da dadurch die bisher inaktiven Zysten auch noch aufplatzen.

Und Haie? "Die bösen Haie zeigen sich meist nicht, das macht sie ja so heimtückisch", gibt Quirin zu bedenken. "Meine Begegnung mit einem kleineren Hai in Indonesien war da harmlos".

 

Quirin Rohleder bei einem eleganten Manöver am Eisbach

 

Das surfer's ear

Es gibt sogar eine Erkrankung, die direkt nach dem Surfen benannt ist: Das surfer´s ear, chronische Exostosen des äusseren Gehörganges, mit einen Anteil von immerhin 14% aller chronischen Surfverletzungen. Diese Exostosen führen oft zu Hörverlust und der Notwendigkeit einer chirurgischen Sanierung. Andere HNO-Erkrankungen beim Surfen sind Trommelfellrupturen durch Wellenschlag oder Aufprall auf die Wasseroberfläche sowie die Otitis externa (7%). Quirin kennt viele Surfer, die daher prophylaktisch Ohrstöpsel benutzen. "Zum Glück habe ich bisher keine Probleme mit meine Ohren gehabt", berichtet Quirin und weist zum Ende des Gespräches noch auf ein anderes Expositionsproblem beim Surfen hin: die UV-Strahlung. "Ich habe noch nie einen schweren Sonnenbrand erlitten", sagt Quirin Rohleder und empfiehlt Surfern spezielle wasserfeste Sun-Blocker zu verwenden, vor allem an Gesicht, Nase und Schultern.

 

Literatur

Aus diesen Studien zum Wellenreiten stammen die Zahlen und Hintergrundinformationen in diesem Artikel:

1 Dau L, Dingerkus ML, Lorenz S (2005) Verletzungsmuster beim Wellenreiten. Dt. Zeitschrift Sportmedizin 56: 12; 410-14

2 Nathason A et al. (2002) Surfing Injuries. Am J Emerg Med 20: 3; 155-60

 

3 Nathason A et al. Competitive Surfing Injuries. Am J Sports Med 35: 1; 113-17

 

4 Todd BZ et al. (2005) Health Issues for Surfers. Am Fam Physician: 71; 2313-20

 

 

 

 

 

Links

Dr. med. Yvonne Kollrack erläutert die typischen Verletzungsrisiken und -muster bei Snowboardern.

Von Half-pipe bis Freeride: Verletzungsmuster beim Snowboarden

 

 


 

Autorin

Dr. med. Yvonne Kollrack
Fachärztin Chirurgie/Unfallchirurgie/Nofallmedizin und Via medici-Autorin, außerdem Fotografin der hier verwendeten Fotos.

"Ich danke Quirin Rohleder ganz herzlich für das informative und lustige Gespräch und wünsche weiterhin 'Keep surfing'!"


Kommentar zum Artikel von Dr. med. M. Eichler

Unfallchirurgie und Sportmedizin, insbesondere Sporttraumatologie sind miteinander verwachsen und stets waren es neue Sportarten, die zeitgleich neuartige Verletzungsmuster mit sich brachten; wer erinnert sich nicht daran, dass hierdurch plötzlich die Ambulanzen mit Skateboardern, Inline-Skatern oder anderen Waghalsigen gefüllt wurden; und die Erde dreht sich weiter....heute Eiskanal- oder vielleicht Kitesurfen, und morgen?

Menschen wie Hr. Rohleder ist es zu verdanken, dass der Sportbereich in immer neue Bereiche vordringt, eine durchaus positive Entwicklung, wie ich meine; dass hierbei auch komplexe Verletzungsmuster zu beobachten sind, bringt der innovative Charakter der neuen Sportart wohl mit sich; die gesundheitlichen Gefahren wurden durch die Kollegin Yvonne Kollrack umfassend dargestellt, dafür gebührt ihr Dank.

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