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  • Anika Winkel
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  • 10.12.2014

Projekt KONI - kindgerechte Krebsinfos

Zu Beginn ihrer Doktorarbeit musste Anika Winkel sich gegen Vorurteile ihrer Kommi­litonen wehren, ihre Dissertation sei zu wenig medizinisch. Letztlich hat sie auf ihrem Weg zum „Dr. med.“ aber etwas ­geschaffen, was medizinisch weit wertvoller ist als so manche mit „summa cum laude“ bewertete Laborarbeit: KONI – die ­kinder­onkologische ­Informationsseite.

 

 

 

Auch die kleinen Patienten wollen genau wissen, was mit ihnen passiert. Dabei ist es wichtig, Informationen über die Krebserkrankung kindgerecht zu verpacken. Foto: Stefan Mugrauer

 

Am schlimmsten war es am Anfang für mich, meine langen Haare zu verlieren.“ Reflexartig streicht die 13-jährige Nina über ihr Kopftuch. „Ich habe mich ständig gefragt: Wieso ich?“ Nina hat Leukämie und bekommt gerade ihren dritten Zyklus Chemotherapie. „Nach dem ersten Schock wollte ich alles über meine Erkrankung wissen. Aber ich fand nur Bilderbücher für Kinder und Broschüren für Erwachsene. Damit konnte ich nichts anfangen. Deswegen war ich sehr froh, als ich auf das Projekt KONI stieß – eine Infoseite speziell für Kinder und Jugendliche mit Krebs.“

 

Wieso, weshalb, warum …?

Kahle Köpfe, traurige Kinderaugen und ausgemergelte Körper, die apathisch in Betten liegen. Solche Bilder haben viele Medizinstudenten vor Augen, wenn sie an die Kinderkrebsstation denken. Der Alltag auf einer kinderonkologischen Station sieht jedoch ganz anders aus. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, da ich als Kind ebenfalls einen bösartigen Tumor in mir trug. Operation, Chemotherapie und Bestrahlung kenne ich daher nicht nur aus dem Lehrbuch, sondern weiß selbst, wie man sich während der Behandlung fühlt.

 

Jährlich erkranken ca. 1.750 Kinder und Jugendliche an Krebs. Die Leukämien, vor allem die akute lymphatische Leukämie (ALL), machen den Großteil davon aus. Aber auch Lymphome und Knochentumore sind typisch für das Alter bis 18 Jahre. Diesen Patienten steht eine langwierige, oft schwer zu verkraftende Therapie bevor. Die ausführliche Aufklärung über Komplikationen und Risiken gehört selbstverständlich auch bei den Kleinen dazu. Dass auch junge Patienten mit der Behandlung zufriedener sind, je mehr sie über ihre Erkrankung wissen, ist bewiesen. Doch wie informiert man Kinder adäquat über Krebs?

 

Um diese Frage zu beantworten, hatte das Institut für Internettechnologie in der Medizin in Münster und die Klinik für pädiatrische Onkologie eine Dissertation ausgeschrieben: Ziel der Arbeit sollte sein, eine Informationsseite im Internet speziell für Kinder und Jugendliche zum Thema Krebs zu entwickeln. Als ich den Aushang am Schwarzen Brett las, wusste ich sofort, dass das aufgrund meiner Biografie genau mein Thema war.

 

Nach einem kurzen Bewerbungsgespräch bekam ich den Zuschlag. Ich gliederte meine Arbeit in drei Teile: Zuerst wollte ich mir einen Überblick verschaffen, welche Informationsmöglichkeiten es bis dato gab. Im zweiten Schritt wollte ich eine eigene Internetseite entwerfen. Im letzten Teil der Arbeit sollte diese Seite evaluiert und auf ihre Nützlichkeit getestet werden.

 

Erste Schritte: Was wollt ihr wissen?

Im Rahmen der Recherche stellte sich heraus, dass es gute Bücher für Patienten bis fünf Jahre gibt. „Chemokasper“ oder „Radio-Robby“ erklären den Kleinsten in einfachen Worten und Bildern, was während einer Chemotherapie oder Bestrah­lung passiert. Auch das Angebot für Betroffene ab 16 Jahren ist erstaunlich vielfältig. Allerdings konnte ich kaum ansprechende und leicht verständliche Informationen für Kinder zwischen 8 und 16 Jahren finden. Dass in dieser Altersgruppe Bedarf bestand, bestätigte auch eine von mir durchgeführte Umfrage unter mehr als 150 betroffenen Kindern und deren Eltern.

 

So begann ich, genau hier meinen Schwerpunkt zu legen. Um herauszubekommen, was den jungen Patienten wirklich wichtig ist und was eventuell im Stationsalltag zu kurz kommt, vertraute ich nicht nur auf meine eigenen Erfahrungen, sondern besuchte die kinderonkologischen Stationen: Diese Zeit war sehr intensiv, sehr schön, aber auch sehr aufwühlend. Häufig fühlte ich mich zurückversetzt in die Zeit meiner eigenen Therapie mit all ihren guten und schlimmen Phasen. Ich erinnerte mich an diese besondere Atmosphäre auf Station. Trotz allem Leid und Traurigkeit fühlt man dort sofort die Lebendigkeit und Freude.

 

Es wird einem bewusst, wie viel Tapferkeit diese jungen Patienten jeden Tag aufs Neue beweisen – aber auch wie viel Stärke und Mut von Familie und Freunden verlangt wird. Diese Erfahrungen halfen mir sehr bei der Planung der Internet­seite, und einen Namen für das Projekt fand sich auch: KONI, die kinderonkologische Informationsseite. Ich war voller Taten­drang und konnte es kaum erwarten, endlich loszulegen – doch die Umsetzung gestaltete sich dann schwieriger als gedacht.

 

KONI geht online!

In einem ersten Arbeitsschritt schrieb ich kleine, einfach strukturierte Informationstexte über die Erkrankung, typische Untersuchungen und die Behandlung sowie über das tägliche Leben mit Krebs. Zur „Qualitätskontrolle“ ließ ich die Texte von Kindern zwischen acht und zwölf Jahren gegenlesen. Im nächsten Schritt besorgte ich altersgerechte Bilder, die das Ganze illustrieren sollten: Damit ich professionelle anatomische Abbildungen verwenden konnte, musste ich viele universitäre Klinken putzen und immer und immer wieder in verschiedenen Sekretariaten vorsprechen.

 

Als das geschafft war, ging es an die technische Umsetzung, wobei ich viel Hilfe aus dem Institut für medizinische Internettechnologie bekam. Eine Programmiersprache musste ich nicht lernen. Trotzdem zog sich der eigentliche Aufbau der Seite sehr hin, was natürlich den Spaß an der Sache arg minderte. Doch schließlich kam der große Moment: Das Projekt KONI ging unter der Adresse www.projekt-koni.de online! Mit Plakaten, Flyern und Briefen an Betroffene versuchte ich, auf das neue Informationsportal aufmerksam zu machen. Anhand eines Online-Fragebogens evaluierte ich die Notwendigkeit unserer Seite, aber auch generell den Nutzen medizinischer Informationsseiten.

 

KONI wurde ein Erfolg: Mehr als 5.000 User klickten sich pro Monat durch die von mir gestalteten Seiten. Sogar das Fernsehen und diverse Zeitschriften berichteten über das Projekt. Das große Interesse war eine wichtige Bestätigung meiner Arbeit und entschädigte mich für viele Rückschläge, die ich zuvor hatte hinnehmen müssen.

 

Auch die Evaluation zeigte, dass KONI sehr gut angenommen wurde: 73,2 % der Nutzer beurteilten den Gesamteindruck der Seite mit „sehr gut“. 93,2 % der User bewerteten die Informationen als „kindgerecht“. Zudem zeigte sich, dass nicht nur betroffene Kinder und Erwachsene von dem Angebot profitierten. Es stellte sich heraus, dass KONI ein hilfreiches Instrument sein kann, wenn krebskranke Er­wachsene Kin­dern ihre Erkrankung erklären möchten.

 

Forschung für Patienten

Trotz allerlei Hürden hat mir die Arbeit am Projekt KONI sehr viel Spaß gemacht. Bei so manchem Kommilitonen erntete ich zwar Unverständnis über meine auf den ersten Blick wenig medizinische Arbeit, aber je länger ich am Projekt arbeitete, desto mehr entwickelte ich das Selbstbewusstsein, meine Arbeit anderen experimentellen Arbeiten gleichzusetzen. Internettechnologie in der Medizin wird immer wichtiger, deswegen wird es auch immer mehr Dissertationen in diesem Bereich geben. Zudem soll Forschung ja vor allem dem Pa­tien­ten dienen – und die vielen, oft sehr emotionalen Briefe und E-Mails, die ich erhalten habe, machten mir immer wieder deutlich, wie groß der Nutzen meiner Arbeit ist.

 

Ich würde jederzeit wieder, allen Widerständen und Rückschlägen zum Trotz, die Arbeit an dem Projekt beginnen. Ich durfte viele wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Zeit mitnehmen – zum Beispiel, dass man viele Dinge nicht so ernst nehmen sollte. Studierenden, die nach einer Dissertation suchen, kann ich deshalb den Blick über den Tellerrand einer „normalen Dissertation“ nur empfehlen.

 

Abstract 

Stellenwert des Web als Informationsplattform bei an Krebs erkrankten Kindern

Anika Winkel; Prof. Dr. med. Frank Ückert; Institut für medizinische Informatik und Biomathematik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

 

Hintergrund:

Das Internet ist mittlerweile als leicht zugängliche Informationsquelle etabliert. Auch Menschen, die an schweren Erkrankungen leiden, versuchen sich über ihre Situation im Netz zu informieren. Diese Studie untersucht die Informationsbeschaffung von an Krebs erkrankten Kindern und deren Angehörigen sowie die Anforderung an eine Internetseite über pädiatrisch-onkologische Erkrankungen und inwiefern diese in dem Internetprojekt „KONI“ erfüllt wurden.

Methode:

Schriftlich kontaktiert wurden Patienten der pädia­tri­schen Onkologie aus dem Zeitraum 1994 bis 2006, die zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen 8 und 14 Jahre alt waren, sowie deren Eltern. Sie wurden über ihr Internetverhalten und ihre Ansprüche an eine Informationsplattform über pädiatrisch-onkologische Erkrankungen befragt. Es beteiligten sich 63 Kinder sowie 63 Eltern. In einer zweiten, internetbasierten Befragung wurde die Umsetzung dieser Ansprüche in dem Projekt KONI evaluiert. Daran nahmen 64 Kinder und 149 Erwachsene zwischen 8 und 72 Jahren teil.

Ergebnisse:

Sowohl Kinder (81,0%; n=51) als auch Erwachsene (96,8%; n=61) möchten sich nach der Diagnose „Krebs“ weiter informieren. Dabei wird das Internet als gut geeignete Quelle für medizinische Informationen gesehen (49,7%, n=73). Das Projekt KONI beurteilen 73,2% (n=109) der Nutzer als „sehr gut“. 73,8% beur-teilen die Bilder als sehr kindgerecht. 93,2% (n=139) bewerten die Inhalte als sehr bzw. eher kindgerecht.

Schlussfolgerung:

Das Internet nimmt bei der Informationsbeschaffung einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Damit jugendliche Internetnutzer das große Potenzial auch nutzen können, muss allerdings gewährleistet sein, dass diese Informationen altersentsprechend aufgearbeitet sind, damit sie auch verstanden werden. Das Projekt KONI kann diesen Anforderungen gerecht werden.

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