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  • Yen-Ying Wu
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  • 13.04.2010

Body Integrity Identity Disorder: Wunsch nach Amputation

BIID ist definiert als Wunsch nach Amputation eines gesunden Körpergliedes. Die Forschungsgruppe Stirn et al. von der Psychosomatik der Universitätsklinik Frankfurt hat sich die neuronalen Muster von Betroffenen angeschaut. Über das sexuelle arousal bei BIID Patienten sprach Dr. Dipl. psych Silvia Oddo im Rahmen des Symposiums "Neurobiologie der Sexualität" auf der DGPPN 2009 in Berlin.

Was ist BIID?

BIID ist ein noch kaum erforschtes psychisches Störungsbild, bei dem die Betroffenen den Wunsch nach Amputation einer gesunden Körperextremität verspüren. Meistens wünschen sich BIID-ler beide Beine zu verlieren, manchmal auch zu erblinden oder querschnittsgelähmt zu sein. Als Motiv für diesen Wunsch dient die Vervollkommmnung des Körperschemas und der eigenen Identität.

 

Bild: Dennis Bennett

 

Das Doppelleben der Patienten besteht zum einem aus einem intakten Familien-, Freizeit- und Berufsleben und zum anderem aus der konstanten gedanklichen Auseinandersetzung mit der Amputation. Dazu wird auch der gewünschte amputierte Zustand simuliert ("pretending" genannt, engl. vortäuschen), z.B. ein Bein abgebunden. Diese Vorstellung alleine genügt, um in den Betroffenen ein Glücksgefühl auszulösen.

Aus Scham und Angst vor unverständlichen Reaktionen sprechen die meisten Betroffenen nicht mit Angehörigen und Vertrauten über ihren intensiven Amputationswunsch. Erst im Zeitalter des Internets bekamen BIIDler erstmals die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten in anonymen Foren sich auszutauschen.

 

Termini von BIID

1977 beschrieben die Forscher Money et al zwei Patienten, die selbst eine Amputation durchgeführt hatten. Dabei wurde der Begriff "Apotemnophilia" (griechisch: "die Liebe zum Abschneiden") geprägt, welcher eine sexuelle Erregung bei der Vorstellung einer Amputation beschreibt. Der Amputationswunsch ohne sexuelle Erregungskompoente wird "Amputee Identity Disorder" gennannt nach Furth und Smith (2000). Später wurde dieser Begriff von "Body Integrity Disorder" abgelöst (First, 2005), welcher bis heute am weitesten verbreitet angewendet wird. Die Betroffenen bezeichnen sich selbst als "wannabe".

 

Merkmale von BIID-Betroffenen

Die Erstmanifestation der Betroffenen beginnt in der Regel vor der Pubertät. Zu der Zeit erleben die Betroffenen ein Schlüsselereignis, bei der z.B. ein Beinamputierter für ihr Interesse und Aufmerksamkeit sorgt. Gekoppelt mit einer emotionalen Vernachlässigung des Elternhauses fangen diese Kinder an, sich eine Amputation und Behinderung vorzustellen und sie in ihren Spielen zu integrieren. Die Übertragung der Faszination für die Behinderung findet schließlich in der Pubertät statt und festigt sich im Erwachsenenalter. Mit zunehmendem Alter wird eine Verstärkung des Wunsches nach Amputation wahrgenommen.

Der Amputationswunsch ist bei allen Betroffenen fast täglich präsent. BIIDler versuchen ihren Wunschkörper in verschiedenen Alltagssituationen zu sehen - wie beim Ausgehen eine Prothese angelegt wird oder wie sie mit dem Rollstuhl fahren.

Viele BIIDler haben ein sehr hohes Bildungsniveau, sind leistungsorientiert und sehr autonom. Die Zielstrebigkeit mündet in den Wunsch nach einer Herausforderung, z.B. bei einem Leben ohne einem Bein. Statt eine passive Behindertenrolle einzunehmen wollen sich trotz der körperlichen Einschränkung aktiv ihr Leben wie bisher weiter gestalten.

Zudem wird bei BIIDlern eine narzisstische Persönlichkeitssturktur beobachtet, bei der ein starkes Ich betont wird. Dabei werden werden die eigenen Fähigkeiten in den Mittelpunkt gestellt, so auch die Idee mit der Behinderung ohne die Hilfe anderer auskommen zu können.

 

Zusammenhang mit Sexualität

Unter den BIIDlern findet sich eine erhöhte Homosexualitätsprävalenz (30-50%) (Kasten & Stirn, 2009). Die Ätiologie dafür ist bisher unbekannt.

Bisherige Studien verzeichnen den Amputationswusnch in Verbindung mit einer sexuellen Komponente bei etwa 50 bis 75% der Untersuchten. Bereits in der Pubertät entdecken die Betroffenen bei der Masturbation, dass sie durch die Vorstellung eines amputierten Körpers erregt werden. Für manche Betroffene reicht die Imagination des amputierten Körpers aus, um einen Orgasmus auszulösen. Für andere wird das pretenden als sexuellen Höhepunkt erlebt. Wieder andere finden sexuelle Attraktivität durch andere Amputierte, oft durch den Stumpf eines gleichgeschlechtlichen Amputierten. In den erotischen Vorstellungen der BIIDler steht die Sexualität mit sich selbst bzw. mit dem eigenen Körper an erster Stelle. Das Involvieren eines sexuellen Partners findet in den Fantasien kaum statt. Dr. Oddo betont jedoch, dass die Sexualität keinewegs der Grund für den Amputationswunsch sei und die Komplexität dieser Störung nicht erklären kann.

 

fMRT-Studie

Das Forschungsteam von Stirn et al. an der Psychosomatik der Uniklinik Frankfurt führte eine fMRT Untersuchung bei zwölf BIIDler und zwölf gesunden Kontrollprobanden durch. Dabei wurden allen Probanden Fotos von sich selbst und von einem gleichgeschlechtlichen altersentsprechenden Menschen in verschiedenen Zuständen gezeigt. Auf den "normalen Bildern" waren alle Extremitäten vollständig dargestellt. Angepasst nach der Lokalisation des Amputationswunsches des BIID-Probanden wurde durch Photoshop ein "amputiertes Bild" hergestellt. Dazu gab es Bilder, auf denen die amputierten Glieder mit Prothesen zu sehen waren.

Beim Betrachten des eigenen amputierten Körpers wird bei BIIDlern ein neuronales Netzwerk aus sowohl kortikalen als auch subkortikalen Strukturen aktiviert. Auffallend sind darunter subkortikale Regionen, die mit der Sexualität im Gehirn assoziiert werden: thalamische, hypothalamische Gebiete, limbisches System (Amygdala und Hippocampus) und Basalganglien (Ncl. caudatus). Bei den Kontrollprobanden hingegen wurden lediglich visuelle Areale und Areale der Körperrepräsentation (z.B. inf. und sup. Parietallappen, Precuneus, fusiformer Gyrus, inf. und mittlerer frontaler Gyrus) aktiviert. Eine subkortikale Beteiligung blieb dabei aus.

 

Literatur Empfehlungen

Die Forschergruppe der Uniklinik Frankfurt gab zwei verschiedene Bücher über die Thematik des BIIDs heraus.

Informationen über das Störungsbild, die Diagnostik, Erklärungsansätze, Forschungsstand und Therapieansätze mit Fallbeispielen liefert das folgende Lehrbuch: "BIID - Störungsbild, Diagnostik, Therapieansätze", Beltz Verlagsgruppe

Desweiteren entstand im Rahmen eines BIID Kongresses in Frankfurt ein englischsprachiger Band, der aus wissenschaftlicher Sicht sowohl psychologische, neurobiologische, ethischen und legale Aspekte rund um das Störungsbild durchleuchtet. Dabei kommen auch BIID-Betroffene zur Sprache:

BIID: psychological, neurbiological, ethical & legal aspects

Quellen

Furth, G. & Smith, R. (2000). Apotemnophilia: Information, questions, answers and recommendations about self-demand amputation. Bloomington: 1stBooks Publishers

Kasten, E. & Stirn, A. (2009). Body Integrity Identity Disorder (BIID): Change of Wish for Amputation From Left to Right Leg. Zeitschrift für Psychiatrie und Psychotherapie, 5(71), 55–61.

Money, J., Jobaris, R. & Furth, G. (1977). Apotemnophilia: Two cases of self demand amputation as a sexual preference. Journal of Sex Research, 13, 115–124.

 

Erläuterungen zur Epidemiologie

Fäschlicherweise gaben wir zunächst an, die 1-3% der Bevölkerung sei von BIID betroffen. Aufgrund einer Leseranfrage baten wir Prof. Dr. Erich Kasten vom Institut für Medizinische Psychologie an der Universität zu Lübeck um eine kurze Erläuterung der Epidemiologie der Erkrankung.

"Wie bei fast allen Erkrankungen dürfte bei der Abschätzung eine wesentliche Rolle spielen, wo die Grenzen gesetzt werden. Da es für BIID derzeit noch keine konkreten diagnostischen Kriterien gibt, lässt sich das epidemiologisch auch kaum prüfen. In einer Befragung zu Körperwahrnehmungsstörungen haben wir aktuell gerade festgestellt, dass viele Menschen durchaus mal die Idee haben, ein Körperteil zu verlieren. Etwa ein Bein, weil seit Jahren das Kniegelenk schmerzt. Das ist aber nicht unbedingt mit BIID gleichzusetzen.

Unter 600 befragten Personen war lediglich ein einziger "echter" BIID-Betroffener. Statistisch lässt sich aus methodischen Gründen leider bei einer so geringen Zahl nicht auf die potenzielle Anzahl aller Betroffenen hochrechnen.

Wir haben für Betroffene aber schon vor 2 Jahren ein Internet-Forum eingerichtet für die deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich und Schweiz.

 

Internet-Forum für BIID-Betroffene

Dort sind inzwischen etwa 100 Betroffene organisiert.


Yen-Ying Wu studiert Medizin in Frankfurt und ist Via medici-Lokalredakteurin.

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