Alltagsleiden Harnwegsinfekt - Brennendes Wasser
Harnwegsinfekte sind für alle Ärzte in Klinik und Praxis „tägliches Brot“. Die Palette reicht von der unkomplizierten Blasenentzündung bis zur lebensbedrohlichen Urosepsis. Dr. Sven Hengesbach hilft Ihnen, das Krankheitsbild richtig einzuordnen.
Schon wieder“, stöhnt Armin, als die Schwester ihm den positiven Urinstix unter die Nase hält. Dann widmet er sich seiner gefühlt fünfzigsten Patientin, die heute wegen Schmerzen bei Miktion in die Ambulanz kommt. Die 32-jährige schickt ihr Hausarzt wegen rezidivierender Harnwegsinfektionen (HWI). Diese sprachen bisher auf Antibiotika wie Cotrimoxazol* oder den Gyrasehemmer Ciprofloxacin an. Der Keim wurde vom Hausarzt schon „dingfest“ gemacht: Escherichia coli, sensibel auf alle getesteten Antibiotika.
Doch Armin wird rasch klar, dass das kein banaler HWI ist. Die Patientin hat Fieber, Schüttelfrost und erhöhte Entzündungswerte. Daher nimmt er sie stationär auf. Weitere Untersuchungen lassen eine Pyelonephritis vermuten. Bei der urologischen Diagnostik fällt Restharn auf – obwohl kein Abflusshindernis vorliegt. Trotz Therapie beschreibt die Patientin weiter häufigen Harndrang bei geringen Urinmengen.
Ferner habe sie jetzt auch noch Probleme mit den Augen. Alles wirke wie von einem Schleier überzogen. In Armin keimt ein Verdacht. Ist die Blasenentleerungsstörung neurologisch bedingt? Der hinzugezogene Neurologe bestätigt die Vermutung: Die Patientin leidet an einer Multiplen Sklerose.
*Cotrimoxazol ist ein Kombi-Präparat aus Trimethoprim und Sulfamethoxazol. Es hat eine breite Wirkung auf Kokken und gramnegative Stäbchen. Zudem ist es Mittel der Wahl bei Pneumocystis-carinii-Pneumonien.
Kurze Harnröhre – hohes Risiko
50–80 Prozent aller Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer HWI. Sie ist eines der häufigsten Krankheitsbilder in der Hausarztpraxis und der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit bei Frauen. Meist handelt es sich um die akute, unkomplizierte HWI der jungen Frau, die zwar unangenehm, aber harmlos ist. Risikofaktor ist zum Beispiel häufiger Sexualverkehr („Honeymoon-Zystitis“).
Klinisch zeigt sich ein Druckschmerz im Unterbauch mit Ausstrahlung in den Meatus urethrae. Der Urin ist häufig trübe, oft sind eine Leukozyturie und eine Bakteriurie nachweisbar. Typisch sind erschwertes Wasserlassen (Dysurie), Harndrang (Pollakisurie), Tenesmen sowie eine Makrohämaturie. Bei einer Pyelonephritis kommen Flankenschmerzen, Fieber und Schüttelfrost dazu.
Histologischer Schnitt eines mit E. coli infizierten Blasenepithels. Einige E. coli-Stämme besitzen Fimbrien, mit denen sie am Epithel anhaften können. Quelle: KES Thieme Verlag
Schuld daran, dass vor allem Frauen erkranken, ist die weibliche Anatomie: Die kurze Harnröhre liegt genau neben der kontaminierten Analregion. Männer mit HWI sind meist älter und haben eine Obstruktion der Harnwege – etwa eine vergrößerte Prostata. Verursachender Übeltäter ist in 72 Prozent E. coli, gefolgt von Proteus mirabilis, Klebsiella pneumoniae, Staphylococcus saprophyticus und Streptococcus faecalis. Selten sind Pilze, Protozoen oder Viren die Auslöser.
„Harnschau“ per Urostix
HWI verlaufen klinisch sehr unterschiedlich. Die asymptomatische Bakteriurie tritt bei etwa 5 Prozent der Frauen auf und ist ein Zufallsbefund. Sie ist nur bei Schwangeren und Kindern behandlungsbedürftig und wenn eine Obstruktion besteht. Symptomatische HWI können in unkomplizierte und komplizierte unterteilt werden. Bei ersteren liegen keine Risikofaktoren für das Auftreten eines Infektes vor. Bei komplizierten HWI beeinträchtigen anatomische, funktionelle oder metabolische Faktoren die Nierenfunktion oder stören den Harntransport.
Das kann zum Beispiel ein Abflusshindernis, ein Reflux oder eine Schwangerschaft sein. Diabetiker haben ein fast 25-fach erhöhtes Risiko, an einer HWI zu erkranken. Aber auch Blasenfunktionsstörungen oder eine Immunsuppression können hierfür prädisponieren. Unterscheiden kann man Infektionen der unteren Harnwege, wie die Urethritis, Zystitis oder Prostatitis, und Infektionen der oberen Harnwege, etwa eine Pyelonephritis. Ferner wird zwischen einer akuten und einer chronischen Infektion differenziert.