• Kasuistik
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  • Julia Jacobs
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  • 23.07.2007

Anatomische Kasuistik: Vasektomie

Die Sterilisation beim Mann ist eine problematische Operation. Nicht wegen der OP-Technik, sondern vor allem wegen der Ängste, mit denen die Vasektomie verbunden ist. Lesen Sie, wie viel Fingerspitzengefühl ein Urologe für diesen Eingriff braucht – auch für die sensible Seele seines Patienten.

„Der Nächste bitte“

Als Famulant bei Dr. Meißner mimt Philipp ab und zu auch mal die freundliche Arzthelferin. Auf den Patienten, der jetzt kommt, ist er besonders gespannt: Herr Pfennig will sich über eine Sterilisation beraten lassen. Philipp weiß noch nicht viel über diese Operation. Er stellt sich vor, dass er selber einmal vor so einem Eingriff stehen könnte und bekommt starkes Herzklopfen. Ähnlich geht es wohl Herrn Pfennig. Philipp und der Urologe Dr. Meißner sehen ihm an, dass er sich am liebsten hinter seiner zweijährigen Tochter Emma verkriechen würde, die fröhlich auf seinem Schoß sitzt. Zum Glück ergreift seine Frau Grete energisch als Erste das Wort: „Ich bin jetzt 36 und mit der Pille bekomme ich Migräneanfälle“, erzählt sie. „Für ein weiteres Kind reicht das Geld aber hinten und vorne nicht. Deshalb wollte ich mich nach der Geburt unseres dritten Kindes sterilisieren lassen.“ Sie guckt kurz ihren Mann an, der sich aber immer noch hinter Emma versteckt. Entschlossen fährt Frau Pfennig fort: „Der Gynäkologe riet uns, erst zu Ihnen zu gehen. Er meinte, dass eine Sterilisation bei Männern sehr viel einfacher sei als bei Frauen.“ „Es freut mich, dass Sie beide hier sind.“ Dr. Meissner lächelt Herrn Pfennig aufmunternd zu. „Am besten erkläre ich Ihnen kurz, wie eine Sterilisation durchgeführt wird. Danach können Sie mir dann alle Fragen stellen, die Ihnen durch den Kopf gehen.“

 

Verschlungene Wege

Der Urologe legt einen Aufklärungsbogen mit einer bunten Zeichnung auf den Tisch, die Philipp sich in der Kaffeepause schon mal genauer angeguckt hat. Aus dem Präp-Kurs weiß er noch, dass bei einer Sterilisation der Samenleiter, Ductus deferens, durchtrennt wird. Auf der Abbildung sieht man, dass der Ductus deferens die Nebenhoden mit der Harnröhre verbindet. Von der Hinterseite des Nebenhodens zieht er im Skrotum bis zum äußeren Leistenring. Als Teil des Samenstrangs tritt er von dort durch den Leistenkanal ins kleine Becken.

 

Von den Nebenhoden bis zur Harnröhre legen die Spermien einen langenWeg zurück. Die Samenzellenmachen nur zwei Prozent des Ejakulates aus. Deshalb ist die Ejakulation nach der Vasektomie unverändert.
Bild: Aus Prometheus/Georg Thieme Verlag

 

Auf seinem weiteren Weg liegt der Ductus deferens retroperitoneal und kreuzt auf der Rückseite der Harnblase noch den Harnleiter, bevor er sich zur „Ampulla ductus deferentis“ erweitert. Danach vereinigt er sich mit dem Ausführungsgang der Samenblase, zieht als „Ductus ejaculatorius“ durch die Prostata und mündet schließlich in die Harnröhre. Während alle die verschlungenen Pfade des Samenleiters betrachten, fragt sich Philipp, an welcher Stelle man den Ductus kappt. Als könne er Gedanken lesen, erklärt Dr. Meissner in diesem Moment: „Für die Sterilisation durchtrennen wir Ihren Samenleiter direkt hier, oberhalb des Hodens.“ Der Urologe zeigt auf den Ductus deferens, bevor dieser am äußeren Leistenring in den Leistenkanal eindringt.

 

Bei der Vasektomie ist kein Bauchschnitt notwendig: Der Samenleiter wird oberhalb des Hodens, im Funiculus spermaticus durchtrennt. Da er drei Muskelschichten besitzt, lässt sich der Ductus deferens leicht ertasten.
Bild: Aus Prometheus/Georg Thieme Verlag

 

„An dieser Stelle müssen wir nur durch die Haut schneiden, und Sie brauchen deswegen nur eine Lokalanästhesie. Der ganze Eingriff wird nicht länger als 30 Minuten dauern.“ Herr Pfennig macht immer noch ein sorgenvolles Gesicht: „Werde ich mich danach denn noch wie ein ganz normaler Mann fühlen?“, fragt er. „Kann ich durch die Operation nicht impotent werden?“ Er betrachtet skeptisch die anatomische Zeichnung. „Eine Sterilisation ist keine Kastration“, beruhigt Dr. Meissner ihn. „Ihr Hormonhaushalt bleibt völlig unverändert. Sie werden die gleiche Freude am Sex haben wie bisher.“

Herr Pfennig gibt sich nicht zufrieden: „Aber wie ist es mit dem Samenerguss, wenn Sie den Gang, der das Sperma leitet, durchtrennen?“, will er wissen. „Sie werden keinen Unterschied merken, da die Menge der Samenflüssigkeit fast unverändert bleibt“, erklärt Dr. Meissner. „Spermien machen nur 2–3 Prozent des Ejakulats aus. Die restliche Flüssigkeit wird nicht von den Hoden, sondern von der Samenblase und der Prostata gebildet. Beide geben ihr Sekret über andere Wege in die Harnröhre ab. Das funktioniert auch nach dem Eingriff.“

Emma fällt es schwer, weiter still zu sitzen. Sie fasst ihren Vater an die Nase und kräht: „Jaa, Papa.“ Alle müssen lachen. Aber Herr Pfennig gibt noch nicht auf: „Ist der Eingriff bei meiner Frau wirklich so viel komplizierter?“ „Ja, das ist er“, antwortet Dr. Meissner geduldig. „Bei Frauen werden zur Sterilisation die Eileiter durchtrennt. Diese liegen im Bauchraum, und der Gynäkologe muss eine Bauchspiegelung machen, um an sie heranzukommen. Dazu müsste Ihre Frau eine Vollnarkose erhalten. Das Risiko für diesen Eingriff ist viel größer als bei der Vasektomie“, schließt der Urologe.

Herr Pfennig lehnt sich zurück und entspannt sich sichtlich. „Emma hat Recht“, sagt er. „Wann könnte ich den Eingriff machen lassen?“ „Zwei Wochen Zeit zu überlegen haben Sie noch“, antwortet Dr. Meissner. „Diese Bedenkzeit ist gesetzlich vorgeschrieben.“ Er erklärt dem Paar noch das Vorgehen nach der Operation. Herr Pfennig wird sich am Tag danach schon wieder um seine Software-Firma kümmern können. Die Rate der Nebenwirkungen bei der Vasektomie ist sehr gering. In seltenen Fällen kann es zu Infektionen und Blutergüssen an der OP-Stelle kommen. Nur auf den Verhütungsschutz müssen die beiden noch warten: Erst nach 15–20 Ejakulationen befinden sich keine Spermien mehr im Ejakulat. Um ganz sicher zu gehen, wird Herr Pfennig einige Zeit nach der OP eine Spermaprobe abgeben. Zum Glück ist der Eingriff aber nur bei einem von 1.000 Patienten nicht erfolgreich.

 

Kurz und schmerzlos

Zwei Wochen später ist Philipp gespannt auf die erste Sterilisation, bei der er dabei sein wird. Dr. Meissner gibt Herrn Pfennig ein paar Erklärungen und spritzt ihm lokal Lidocain zur Anästhesie. Danach wendet er sich an Philipp: „Leider kann ich dir keine Naht zum Nähen anbieten, da ich eine minimalinvasive OP-Technik verwende.“ Er zeigt dem Studenten eine scharfe Moskito-Klemme. „Hiermit durchtrennen wir die Skrotalhaut“, erklärt er. „Das geht schneller, und die Infektionsrate ist geringer.“ Er nimmt den Samenstrang, der durch die Skrotalhaut
sichtbar ist, mit Zeigefinger und Daumen so in die Hand, dass sich die Haut darüber spannt. „Der Ductus deferens hat drei Muskelschichten zur Peristaltik“, erklärt er dazu. „Man kann ihn gut als harte Struktur im Samenstrang fühlen.“ Philipp tastet und findet den Samenleiter sofort.

Dr. Meissner bohrt nun mit einer Moskito-Klemme ein Loch in die Haut über dem Ductus. Mit der Spitze des Moskitos zieht er den Samenleiter durch das kleine Loch ins Freie und hält ihn dann mit einer Ringzange. Er schneidet ihn in der Mitte durch und zeigt Philipp die Enden. „Diese beiden dürfen auf keinen Fall wieder zusammenwachsen“, betont er. „Dafür trenne ich ein Stück aus der Mitte heraus und veröde die Enden mit einem Koagulationsgerät. Zudem vernähe ich das distale Stück. So stelle ich sicher, dass es nach einer Bewegung nicht wieder in der Nähe des proximalen Endes liegt. Mit den drei Schritten brauche ich als Urologe keine Angst vor einernicht gewollten Schwangerschaft zu haben.“

Nachdem er die wenigen Handgriffe durchgeführt hat, legt Dr. Meissner beide Enden wieder unter die Haut. Er wartet einen Moment, um sicher zu sein, dass keine Blutung auftritt. Dann verbindet er die Punktionsstelle mit einem sterilen Verband. Herr Pfennig hält tapfer still, und Philipp kann die gleiche Prozedur auf der anderen Seite nochmals verfolgen.

Eine Frage kommt ihm dabei in den Sinn: „Ist es möglich, diese Operation rückgängig zu machen, falls man sich doch noch mal ein Kind wünscht?“ „Im Prinzip ja“, antwortet Dr. Meissner. „Dieser Eingriff heißt Vasovasostomie. Man verbindet dabei die Enden des Samenleiters wieder miteinander. Allerdings sind danach nur die Hälfte der operierten Männer auch wieder fruchtbar.“ Der Urologe erzählt, dass dies weniger ein chirurgisches, sondern ein immunologisches Problem sei. Nach der Vasektomie stauen sich die Spermien im Hoden an und können so über die Blut-Hoden-Schranke gelangen. Darauf bildet der Körper so genannte Antisperma-Antikörper. Diese töten nach der Vasovasostomie die Spermien ab.

Als Philipp nach der OP seine Handschuhe auszieht, muss er doch ein bisschen über sich selber grinsen. Männer können solche Angsthasen sein! Der Gedanke an eine Vasektomie wird bei ihm jedenfalls kein Herzklopfen mehr auslösen.

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