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- Verena Päschke
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- 23.02.2005
Famulatur-Tagebuch (7)
Ein "Küken" im OP.
Verenas Premiere endet nach Frischluft schnappend in der stabilen Seitenlage.
Ich hätte frühstücken sollen
Bei der Visite bin ich so müde, dass ich kaum etwas mitbekomme. Bei der Morgenbesprechung erscheint Prof. Frauenfreund persönlich – eine imposante Figur mit schlohweißen Haaren und gütigen blauen Augen. Kaum vorstellbar, dass er die Klinik mit strenger Hand regiert und auf 36-Stunden-Schichten für seine Ärzte besteht. Von weiblichen Gynäkologen scheint er auch nicht viel zu halten, geht das Gerücht. Und in der Tat gibt es unter den Assistentinnen keine einzige, die Mutter ist, von halben Stellen ganz zu schweigen. Immerhin liegt die Leitung der Wochenstation in den Händen einer Oberärztin, ebenso die Anästhesie.
Danach darf ich auch schon gleich ab in den OP. Für das Schokocroissant-Frühstück ist keine Zeit mehr. Wieder ist es Susanne, die mir alles zeigt, sie hat ihr Chirurgie-Tertial schon hinter sich und ist Fast-Profi. Sie zeigt mir genau, wie ich mich zu verhalten habe: In der Umkleide ein nachtblaues Hemd und Hose in "Uni-Größen" zum Zusammenschnüren anziehen, OP-Haube und Mundschutz anlegen, in Gummischuhe mit der Aufschrift "PJ" schlüpfen und zum Waschbecken. Dort seifen wir uns gründlich ein, schrubben die Nägel mit einer sterilen Bürste und begießen Hände und Unterarme reichlich mit Desinfektionsmittel. Immer schneller geht mein Herzschlag...die OP-Schwestern sollen angeblich ziemlich ruppig sein, wenn die heiligen Sterilitätsregeln von dummen Studenten missachtet werden. Susanne zeigt mir die Gebetshaltung – mit erhobenen, gefalteten Händen betreten wir das Allerheiligste. Überall rennen geschäftige Schwestern in blau-unsteriler oder grün-steriler Kluft herum.
Susanne stellt mich jeder einzelnen vor und betont, dass ich heute zum ersten Mal in einem OP bin.
Ein Küken, wie süß!
Schwester Andrea, die strengste von allen, nimmt mich daraufhin sofort unter ihre Fittiche und staffiert mich mit Mantel und Handschuhen aus. Sie ist heute für Tisch 2 zuständig, wo ich auch eingeteilt bin. Schon kommt die erste Assistentin, Frau Dr. Fried. Sie sieht aus wie 17, ist aber 35 und hat ziemliche Haare auf den Zähnen, wie die meisten Ärztinnen im Haus. "Och, ein Küken, wie süß", kommentiert sie meine hilflosen Versuche, nicht im Weg rumzustehen. Dabei ist sie selbst auch erst seit kurzem auf Operativ II. Wie beneide ich Susanne, die am Tisch nebenan bei Fechner schon professionell die Haken hält. Meine Rettung naht: Sander wippt lässig heran. "Sie stellen sich jetzt dorthin und halten das da", bestimmt er und drückt mir Schere und Spekulum in die Hand. Zwischen den Beinen der Frau auf dem OP-Tisch stehe ich in ziemlich gekrümmter Haltung, während Dr. Fried unter Sanders Anleitung einen Kegel aus der Portio ausschneidet.
Mir wird heiß
Heiß und immer heißer wird mir unter den OP-Lampen. Warum habe ich bloß mein Unterhemd anbehalten? Und warum habe ich keine Stützstrümpfe angezogen, wie Tanja es mir ans Herz gelegt hat? Jetzt weiß ich, wieso: Mein Kreislauf macht schwach. Lange kann ich nicht mehr so verkrampft stehen. Wie lange dauert das noch? Nein, es hat keinen Sinn. "Entschuldigung, mir wird schlecht", flüstere ich. Und bevor ich mich wehren kann, stürmt schon der Anästhesist heran und drapiert mich längs auf dem Boden. Dabei will ich doch nur an die frische Luft! Und dort endet meine OP-Premiere auch sang- und klanglos: Am Fenster im Steri-Raum, unter den mitleidigen Blicken von Schwester Britta. "Ist uns allen schon passiert", tröstet sie mich. Nochmal rein darf ich trotzdem nicht. Susanne assistiert beim Ovarial-Rezidiv.
Mein Befinden?
Lustlos schleppe ich mich zum Ärztezimmer. Tom hat nicht viel Mitleid. Schließlich ist es erst 10 Uhr, und jede Menge Stationsarbeit liegt an. Für mich ist der Tag aber trotzdem schon gelaufen. Nachmittags erzählt mir Yara, dass sie im fünften Monat schwanger ist und deshalb nicht in den OP geht. Das ist aber auch die einzige Rücksicht, die Tom und Peter auf sie nehmen. Früher gehen oder öfter mal hinsetzen ist nicht. Wir sind ja schließlich in einer Frauenklinik. Schwester Andrea schaut vorbei und erkundigt sich, wie es der umgekippten Famulantin geht: "Gut", melde ich kleinlaut. Streng mahnt sie mich, morgen mehr zu essen. Denn morgen sind Pia und ich wieder eingeteilt. Nicht ohne mein Schokocroissant, schwöre ich mir.