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  • Beyza Saritas
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  • 09.09.2020

Mit Bonbons und Herz – Famulatur in der Pädiatrie

Kleine Patientinnen und Patienten sind eine ganz besondere Herausforderung. Mit viel Fingerspitzengefühl müssen Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren, was den Kindern fehlt. Beyza hat in der Pädiatrie famuliert und erzählt, was sie über die Behandlung der Kleinen gelernt hat.

 

 

Vom Patienten zum Studenten

Kinderärzte begleiten einen Menschen im Normalfall durch einige der wichtigsten Etappen im Leben: Sie erleben mit, wie du deine ersten Worte sprichst, zum pubertierenden Jugendlichen wirst, und dich zum jungen Erwachsenen entwickelst. Nach 18 Jahren Patientendasein bei meinem Kinderarzt, und einige Jahre später nach einer Famulatur in der Unfallchirurgie,  habe ich mich entschlossen, die Seiten zu wechseln und im Rahmen einer Famulatur von meinem eigenen Kinderarzt zu lernen.

 

Kleine Kinder und große Probleme

Das Spektrum der Pädiatrie reicht vom unreifen Frühgeborenen bis hin zum Jugendlichen oder gar jungen Erwachsenen – zu sehen gibt es also viel. Die Bandbreite, die sich einem in der Pädiatrie offenbart, ist jedoch nicht selten gepaart mit einer Reihe von Herausforderungen, da Kinder eine ganz andere Vorstellungswelt haben. Nicht alle Kinder reagieren entspannt auf die Anwesenheit von Fremden oder eine neue Umgebung; manche sind durch lange Krankheitsgeschichten bereits an viel gewöhnt, andere geradezu traumatisiert. Zudem sind Schmerzen oft nur schwer zu lokalisieren: In der Pädiatrie tut manchmal der Bauch weh, obwohl das eigentliche Problem das Knie ist. Empathie und viel Geduld sind daher wichtige Eigenschaften, die ein Kinderarzt braucht.

 

“Kannst du wie ein Känguru hüpfen?”

Kinder haben nicht nur eine ganz andere Vorstellungswelt, sondern auch einen anderen Wortschatz. Begriffe wie Inspektion, Palpation, Perkussion oder Auskultation gehören zum Fachjargon eines Mediziners im Krankenhaus. In der Kinderarztpraxis braucht man kein Medizinisch, höchstens bei der Dokumentation der Patientendaten.

Nach meiner Famulatur in der Unfallchirurgie, in der medizinische Fachsprache gang und gäbe ist, war dies zunächst befremdlich für mich. Schnell wird das Auskultieren zum Telefonieren mit der Lunge oder dem Bauch. Als der erste Patient mit Verdacht auf Appendizitis hereinkommt, schwirren mir direkt Fachbegriffe wie McBurney- und Lanz-Punkt im Kopf herum. Bevor ich darüber sprechen kann, schreitet mein Kinderarzt ein und fragt den kleinen Patienten: “Sag mal, kannst du wie ein Känguru hüpfen?”. Dies sei sein Appendizitis-Test, erklärt er mir später. Pädiatrie sensibilisiert, merke ich. Wie viele Patienten unser Fachchinesisch im Krankenhaus wohl nicht verstehen, frage ich mich nicht nur einmal.

 

Wenn Untersuchungen zum Kampf werden

Medizinisch hält die Pädiatrie ihre eigenen Herausforderungen bereit: Eine Blutabnahme oder ein Ultraschall bei einem Kleinkind können sich viel komplizierter gestalten, als bei einem Erwachsenen. Jede anatomische Struktur ist viel kleiner, und die Compliance der Patienten geht oft gegen Null. Wer es jedoch schafft, beim Kleinkind Blut abzunehmen, den kann später nicht mehr viel schockieren. Der Lernerfolg hier ist also überaus wertvoll.

Übrigens: Falschen Versprechungen wie „Das tut gar nicht weh!“ gegenüber Kindern solltest du unbedingt vermeiden. Besser ist es, das Unvermeidliche zügig und ruhig zu erledigen.

 

Medizin auf Augenhöhe

Als ich meinen Kinderarzt eines Tages frage, warum er sich für die Pädiatrie entschieden hat, erzählt er mir ein Ereignis aus seinem Leben, das ihn zu seinem Fachbereich verleitet hat. Während seiner Famulatur in der Pädiatrie hat er einen Chefarzt beobachtet, der Frühchen betreut, im Inkubator geküsst und ihnen Mut zugesprochen hat. Diese Szene hat ihn tief berührt. Außerdem erzählt er: "Dass Kinder einem die Stifte während der Visite aus der Kitteltasche klauen, ist in der Pädiatrie nichts Besonderes. Hier herrschen nicht die typischen Hierarchien, alles ist etwas lockerer”. Und Recht hat er.

“Wie heißt du?”, werde ich schon am ersten Tag meiner Famulatur von einer kleinen Patientin gefragt. “Ich mag dein Abhörding, Lila ist meine Lieblingsfarbe”, schiebt sie hinterher. Nach meiner Famulatur in der Unfallchirurgie, bei der sich einem die Kluft zwischen Patienten und Ärzten deutlich auftat, ist dies ein deutlich ungewohntes Ereignis. Mit Patienten auf Augenhöhe sein, die einen nicht aufgrund eines Doktortitels oder des gesellschaftlichen Status wegen beurteilen.

 

Husten, Schnupfen, Fieber – ein Teufelskreis

Die meisten Krankheistbilder in der Kinderarztpraxis sind harmlos. Husten, Schnupfen, Fieber. Typische Erkältungsanzeichen, die unter normalen Umständen meist unbedenklich sind. Zu Corona-Zeiten schlagen hier jedoch die Alarmglocken.“Hatten sie Kontakt mit Corona?”, ist die Standardfrage, wenn sich ein Patient mit den beschriebenen Symptomen vorstellt. “Wir? Nein, nein. Nicht, dass wir wüssten”, höre ich täglich mehrmals. Dennoch testen wir in der Kinderarztpraxis auch auf Covid-19. Befund: Einige sind positiv. Corona? Hier in der Kinderarztpraxis? Für viele noch undenkbar.

 

Fazit: Bestechungen mit Bonbons haben hohe Erfolgsquoten

In der Kinderheilkunde muss man stets im Sinn behalten, dass die kleinen Patienten mit ihren Eltern kommen – und deren Betreuung gehört genauso dazu wie die Versorgung der Kinder. Vier Wochen Famulatur in der Pädiatrie lehren, dass der Schlüssel hierzu Kommunikation ist. Die kleinen Patienten jedoch dürfen manchmal auch mit Bonbons bestochen werden.

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