- Klinikgeschichten
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- cand. med.
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- 18.02.2014
Teil 7: Das gebrochene Herz
Udo Lindenberg sang einst "Ein Herz kann man nicht reparieren". Doch das stimmt nicht ganz, denn manchmal kann man es reparieren und manchmal heilt es sich sogar von selbst.
Auf der Leipziger Buchmesse des Jahres 1774 landete Johann Wolfgang von Goethe einen Bestseller: Die Leiden des jungen Werther. Der Inbegriff der unglücklichen Liebe und des gebrochenen Herzens. Bis heute ist Liebeskummer in allen denkbaren Varianten ein zuverlässiger Kassenschlager. Doch was hat es auf sich mit diesem Organ? Ist Herz ein schöngeistiges Synonym für Gefühl? Immerhin schlägt es manchmal bis zum Hals und rutscht zuweilen sprichwörtlich in die Hose.
In der medizinischen Physiologie ist das Herz ist ein Hohlmuskel mit einem eigenen Erregungsbildungs- und Leitungssystem. In Ruhe schlägt es ungefähr 60 Mal pro Minute und das Herzminutenvolumen liegt durchschnittlich bei 4,5 Liter. Alles was es zu diagnostizieren gibt, verraten Auskultation, Labor, EKG, Herzecho, MRT und Coronarangiografie. Udo Lindenberg mag zwar anderer Auffassung sein, aber ein Herz kann man reparieren – manchmal jedenfalls und manchmal geschieht das auch ganz von allein. So wie in diesem Fall:
Es war ein kalter Novembertag in der internistischen Notaufnahme. Gerade gönnten wir uns eine kleine Pause mit Keksen und duftendem Kaffee. Da wurde auch schon der nächste Notfall angekündigt: 65-jährige Frau mit linksseitigen thorakalen Schmerz und Dyspnoe. Verdacht auf STEMI. Der Verdacht bestätigte sich. Das EKG zeigte in vier von zwölf Ableitungen den typischen Befund des ST-Strecken-Elevations-Myokardinfarkts und der kurz darauf eintreffende Laborbefund wies ein deutlich erhöhtes Troponin-T aus. „Alles klar“, sagte Tobias, der diensthabende Arzt, „hier haben wir es mit einem akuten Myokardinfarkt zu tun. Die Ursache ist wie immer der Verschluss einer Koronararterie und deshalb geht es gleich weiter zur Coro. Und wenn du das mal sehen möchtest, dann mach dich auf den Weg.“
Zehn Minuten später stand ich im Vorraum der Koronarangiografie. Ich hatte alles gut im Blick und beobachtete gespannt wie der Kardiologe den Katheter über die Arteria femoralis vorschob. Das Team ging von einer Ein- oder Mehr-Gefäßerkrankung aus und davon, ein oder mehrere DE-Stents (= drug-eluting) platzieren zu müssen sowie eine PTCA, eine perkutane transluminale Coronare Angioplastie mittels eines Ballonkatheters. Wow, das hatte ich bislang noch nicht gesehen. Auf dem Monitor sah man, wie das Kontrastmittel die Koronararterien füllte. Plötzlich war es wieder da, dieses leidige Gefühl, ein Greenhorn zu sein. Ich hatte nichts gesehen. Nur schön verzweigte Äste wie im Lehrbuch. Von Stenose keine Spur. Vielleicht war das auch dem Abstand zum Monitor geschuldet, tröstete ich mich in Gedanken. Während ich so vor mich hin sinnierte, war auch schon alles vorbei. Operateur und Assistent entledigten sich ihrer sterilen Kleidung und traten in den Vorraum. „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“ sagte der eine, der wohl Gedanken lesen konnte. „Tja, das sieht man nicht alle Tage. Ein AMI (akukter Myokardinfarkt) ohne Koronarbeteiligung. Gleich geht’s weiter mit dem Herzecho. Das solltest du dir anschauen, könnte spannend werden,“ riet mir der Gedankenleser und verschwand. Also gut. Ich stapfte zwei Stockwerke höher und fragte, ob ich beim Echo von Frau Stein, so hieß die Patientin, zuschauen könne. Die Patientin wurde wegen des arteriellen Druckverbands im Bett geschallt. Obwohl das alles andere als optimal ist, gab es einen eindeutigen Befund: LV 3. Die linksventrikuläre Funktion war dramatisch eingeschränkt. Der Gedankenleser war wohl auch Hellseher.
Mein vorheriges Selbstmitleid fing an, sich in Wut zu wandeln, denn mir fehlte jegliche logische Verknüpfung der Symptome. STEMI im EKG, erhöhtes Trop-T, Coro ohne Befund und LV 3. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte ... „Tako-Tsubo“, sagte die Ärztin, die Frau Stein geschallt hatte. „Hier schau mal“, sie zeigte auf die Vierkammeransicht: „Der linke Ventrikel ist total ausgelatscht. Apical ballooning nennt man das auf Medizinisch. Japanische Fischer benutzen Tako-Tsubo-Krüge zum Tintenfischfang. Die sehen genauso aus wie dieses linke Herz: oben schlank, unten weit ausladend. Wenn es dich interessiert, dann geh doch mal im Laufe der Woche auf die Station und erkundige dich nach der Patientin. Vielleicht hat sie nicht nur sonografisch, sondern auch emotional ein gebrochenes Herz. Sie hat das typische Alter für ein Broken-Heart-Syndrome – wie man die Krankheit auch nennt.“
Frau Stein hatte tatsächlich ein gebrochenes Herz. Das erfuhr ich einige Tage später. Nach 45 glücklichen Ehejahren und vielen Plänen für die Zukunft war ihr Mann vor zwei Tagen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Frau Stein wurde noch ungefähr zwei Wochen stationär behandelt. Sie bekam die Medikation entsprechend der vorliegenden Herzinsuffizienz, wurde monitorüberwacht und in regelmäßigen Abständen machte man ein Herzecho. Der letzte Befund, den ich fand, lautete: LV 0. Damit hatte sich das Herz der Patientin unglaublicherweise vollständig regeneriert.
Mittlerweile habe ich viel über das Krankheitsbild gelesen. Emotionaler Stress und der damit einhergehende Katecholamin-Überschuss sind als Ursache benannt. Die Prognose ist gut – jedenfalls aus der Sicht der apparativen Diagnostik.