- Tipps
- |
- Melanie Poloczek
- |
- 06.04.2021
Umkippen im OP: Tipps gegen den Kreislaufkollaps
Übelkeit, Schwindel, Ohrensausen – schon so manche Medizinerin und mancher Mediziner wurde am OP-Tisch vom eigenen Kreislauf bezwungen. Dabei schürt das Abtreten nicht nur Zweifel an der Facharztwahl, sondern auch Angst vor dem nächsten Einwaschen. Wie beugt man der Synkope vor?
Noch eben war die Welt in Ordnung, doch plötzlich wird’s im Kittel heiß. Durchhalten, denke ich, ahne aber schon, was auf mich zukommt. Ein letzter Blick aufs Operationsfeld – Ist der Schritt gerade heikel? Kann ich Klemme und Haken abgeben? – schon übertönt ein tinnitusartiges Geräusch in meinem Ohr die Stimme des Chirurgen, alles dreht sich, ich kapituliere. Ein „Mir ist nicht gut“ genügt, ein „Ich glaub‘, ich muss abtreten“, schon ist die OTA auf Zack und räumt ihr Tischlein aus der Bahn, während Anästhesist und Springer mich auf dem Boden betten. So schnell, wie die Synkope kam, ist sie wieder verflogen; was bleibt, sind Zweifel, Scham und Schuldgefühle. Während ich zum Trinken in den Pausenraum wechsle, verabschiede ich mich innerlich von all den Fachrichtungen, die sich auf dem OP-Plan finden – mal wieder.
Dabei sind Kreislaufprobleme am OP-Tisch keine Seltenheit. Nicht nur junge Frauen, auch so manchen gestandenen Chirurgen hat es schon aus den grünen Latschen gehauen. Die Ursachen sind variabel, reichen von niedrigem Blutdruck und Blutzuckerspiegel über Schlafmangel und aktuelle Zyklusphase bis hin zur Angst vor dem Umkippen selbst. Ekel ist eher selten die Ursache. Einen Garant für den perfekten OP-Tag gibt es zwar nicht, dafür eine Reihe simpler Tricks, die dem Kreislauf helfen und ein wenig Sicherheit geben.
1. Ausreichend trinken: Wasser marsch
Flüssigkeit erhöht das Blutvolumen und damit den Blutdruck – das ist kein Geheimnis. Wer in den OP muss, sollte also ausreichend und vor allem regelmäßig trinken, bestenfalls schon nach dem Aufstehen (an dieser Stelle sei erwähnt, dass man möglichst ausgeschlafen im OP erscheinen sollte). Ob Wasser, Kaffee oder Tee, morgens ist alles erlaubt. Kritisch wird es, sobald der Gang in den OP bevorsteht: Niemand möchte so viel trinken, dass am Tisch die Blase ruft, auch zu wenig trinken ist keine Option.
Ich persönlich trinke bis etwa eine Stunde vor OP-Beginn so viel, dass ich direkt vor dem Einschleusen nochmal die Toilette aufsuchen kann. Hinter der Schleuse nehme ich dann nochmal einen kräftigen Schluck Wasser im Pausenraum, ehe ich weiter in den Saal gehe. Auch sollte man die Zeit zwischen zwei (längeren) Eingriffe immer nutzen, um etwas zu trinken, auch wenn kein Durstgefühl da ist. Wer schon länger nicht gegessen und keine Mahlzeit in Aussicht hat, kann überlegen, ob Kaffee mit Zucker eine Option ist (selbst, wer eigentlich keinen gesüßten Kaffee trinkt).
2. Ausreichend essen: Zucker & Co
Gefüllte Energiereserven und kleines Proviant in der Kasaktasche helfen, den Blutzuckerspiegel aufrecht zu halten. Wichtig ist das Fundament, das heißt Frühstücken – auch dann, wenn es gegen Intuition und Hungergefühl sein mag, morgens um sechs ein Brötchen oder Müsli herunterzuwürgen. Vielleicht stellt sich dann am ersten Arbeitstag heraus, dass eure Abteilung gemeinsam frühstücken geht (habe ich tatsächlich in der Allgemeinchirurgie erlebt), oder dass ihr nicht um Punkt acht Uhr im OP stehen müsst. Oder ihr stellt mit der Zeit – und Erfahrung – fest, dass ihr auch mit leerem Magen konzentriert im OP arbeiten könnt. Für die Allermeisten gilt aber: Frühstücken!
Bewährt haben sich auch kleine Helfer in der Kasaktasche für den „Notfall“, etwa dann, wenn unerwartet der OP anruft, weil dringend eine 2. Assistenz benötigt wird. Oder wenn im OP der Magen knurrt, aber direkt der nächste Eingriff folgt und im Pausenraum weder Schokoriegel, noch Kuchen zu finden sind. Sehr gut eignet sich Traubenzucker, einzeln verpackt. Lakritzliebhaber können auch auf die schwarze Süßigkeit zurückgreifen, bekanntlich kann das enthaltene Glycyrrhizin den Blutdruck erhöhen. Selbst wenn eine Handvoll Lakritz nur einen marginalen Effekt hat – für den Kopf ist es beruhigend, ein Ass im Ärmel zu haben.
3. Der Mundschutz: Die Sache mit dem Atmen
An keinem Ort im Krankenhaus gibt es so viele Vorgaben wie im OP: Saaltemperatur, sterile (später schwitzige) Kittel, Röntgenschürzen, Hauben, Kasak und Hose, die man bestenfalls nicht zu eng schnürt, oder gleich eine Nummer größer nimmt, sowie der Mundschutz. Wenn der Kreislauf streikt, merken wir das oft an unserer Atmung: Wir hyperventilieren, nehmen tiefe Atemzüge, als könnte das den Schwindel beseitigen. Unter einem dicht anliegenden Mundschutz – in Coronazeiten je nach Klinik sogar FFP2 im OP – ist die Luft alles andere als frisch. Es empfiehlt sich daher, den Mundschutz nicht zu eng zu schnüren. Bei unangenehmen Gerüchen, oft bei viel Blut, Eiter oder Kauter-Rauch, hilft vorübergehend die reine Mundatmung. Manchmal ist es hilfreich, auch andere Sinne kurz abzulenken: Wenn möglich, gucke ich zwischendurch weg (etwa auf die Uhr), um nicht permanent aufs OP-Feld zu starren. Kurz wegsehen ist auch hilfreich, wenn es gleich spritzen könnte – noch ärgerlicher als ein Kreislaufproblem wäre Patientenblut im eigenen Auge.
4. Die Venenpumpe: Wenn das Blut versackt
In der Anatomie haben wir gelernt, dass Muskelbewegungen, etwa beim Gehen, den Blutrückfluss in den Venen unterstützt. Nun steht im OP jeder an seinem zugewiesenen Platz, der von Schnittbeginn bis Nahtende nicht verlassen werden darf. Bei den wenigsten Eingriffen werdet ihr auf einem Hocker platznehmen dürfen, daher ist es ratsam, die Venenpumpe vor allem im Stehen zu aktivieren. Manchmal hilft es schon, mit den Zehen zu wackeln oder mit den Füßen auf- und abzuwippen. Wer regelmäßig Kreislaufprobleme hat, sollte über den Kauf von Kompressionsstrümpfen nachdenken. Das müssen keine teuren Stützstrümpfe aus dem Sanitätshaus sein, einfache Modelle, etwa aus der Jogger-Abteilung im Sportladen, tun es auch. Es sollte auch niemandem peinlich sein, in der Umkleide die Stützstrümpfe auszupacken, im Gegenteil. Abgesehen davon, dass ein Teil des OP-Personals selbst welche trägt, stößt man bei anderen oft auf Zuspruch: „Gute Idee, solche könnte ich auch gebrauchen!“.
5. Wenn der Übeltäter im eigenen Kopf sitzt
Neben all den Rädchen wie Flüssigkeitshaushalt, Blutzuckerspiegel und Atmung spielt der Kopf eine mindestens genauso entscheidende Rolle wenn es darum geht, das Umkippen im OP zu vermeiden. Vor allem diejenigen, die schon schlechte Erfahrungen am Tisch gemacht haben, gehen oft mit einer negativen Erwartungshaltung in den Saal – schlimmstenfalls, nachdem sie sich auf Station nicht um die Assistenz im OP drücken konnten. Obwohl kreislauftechnisch alles in Ordnung sein mag, sind die Hände schon schwitzig, bevor sie überhaupt in sterilen Handschuhen stecken, und der Puls rast. Synkopieren kann auch Kopfsache sein.
Wichtig ist, sich nicht zu stressen, sondern zu begreifen, dass der OP auch nur ein Arbeitsplatz ist, an dem sich geregelte Abläufe Tag für Tag wiederholen. Nutzt daher die Chance, im OP zu assistieren, nur so kann auf eine gute Erfahrung ein Routinegefühl folgen. Wer einmal erlebt hat, dass er sehr wohl stundenlang Hakenhalten kann, wird keine Angst mehr vor dem nächsten Einwaschen haben.
Studierende mit wenig OP-Erfahrung sollten sich vor der OP mit den Abläufen vertraut machen: Wo steht was? Wer hat welche Aufgabe? Was darf ich anfassen, was nicht? Wie wasche ich mich ein? Vergesst auch nie, euch beim restlichen Team (OTA, Springer, Anästhesie und Pflege) mit Namen und Rolle vorzustellen, im Zweifel mehrmals. Helft vor und nach der OP beim Lagern mit, und fragt im Zweifel die banalsten Kleinigkeiten nach. Ich zum Beispiel habe nie auf Anhieb verstanden, wie ich die Fußteile an die Gyn-Liege montieren soll.
6. Wenn der Kreislauf doch mal streikt
Zuletzt noch ein paar Gedanken für die Tage, an denen es doch passiert: Euch ist nicht gut, und ihr müsst abtreten. Das ist okay. Wichtig ist, dass ihr rechtzeitig Bescheid gebt, um rechtzeitig den Tisch zu verlassen – und um nicht umzukippen, sondern euch in Ruhe hinzusetzen bzw. hinzulegen. Die Leute wären verärgert, wenn ihr beim Synkopieren etwas unsteril macht oder umreißt, aber nicht, wenn ihr mit Ansage die Instrumente abgebt.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand abtreten muss – das haben erfahrene Operateure und OTAs schon unzählige Male erlebt, vermutlich auch bei sich selbst. Deswegen muss sich nach dem Abtreten auch niemand Vorwürfe machen, denn was nicht in eurer Macht liegt, liegt auch nicht in eurer Schuld. Studierende, vor allem Famulanten, sind auch nicht dazu da, Personalmangel zu kompensieren. Wenn für euch jemand anderes in den OP nachgerufen werden muss, dann ist das so. Punkt. Praktikanten sind eine zusätzliche Hilfe, nicht Teil des festen Personals.
Ein Kreislaufkollaps ist auch kein Grund, chirurgische Fachrichtungen fortan auszuschließen. Viele Fächer haben die „Chirurgie“ nicht im Namen, das Operieren ist dennoch Teil von Fach und Ausbildung, wie etwa in der Gynäkologie, HNO oder Augenheilkunde. Wer von einer Frauenarztpraxis träumt, wird die OP-Einsätze auf dem Weg dorthin meistern. Oder anders ausgedrückt, wer erstmal lernt, problemlos im OP zu arbeiten, für den stehen fortan so gut wie alle Fachrichtungen offen.
Bis dahin gilt beim Kreislaufkollaps im OP nicht nur „Füße hoch“, sondern vor allem auch: „Kopf hoch“!