- Praxisanleitung
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- Dr. med. Horst Gross
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- 03.09.2014
Praxisanleitung Blutabnahme
Die Blutabnahme ist hierzulande eine der grundlegenden ärztlichen Tätigkeiten. Wenn sich Medizinstudenten erstmals daran versuchen, geht oft etwas schief. Aber auch erfahrene Blutabnehmer machen Fehler und wundern sich, warum es trotz langjähriger Erfahrung manchmal nicht klappt. Dr. med. Gross, Anästhesist in Berlin, erklärt dir, worauf du achten solltest.
Blut abnehmen kann richtig Spaß machen. Das merkt man spätestens im Innere-Tertial im Praktischen Jahr. Dort wird man bei 20 bis 30 Blutabnahmen täglich rasch zum versierten Blutsauger. Die meisten PJler beginnen mit einer eher niedrigen „Trefferquote“, die sich dann bis zum Ende gewaltig hochschraubt. Dann ist selbst die adipöse Asthmatikerin mit quasi inexistenten Unterarmvenen kein Problem mehr: Kanüle rein, Stempel raus – und schon fließt das Blut angenehm rieselnd ins Röhrchen. Andererseits darf man bei der Blutabnahme auch nicht nach der Devise „Jetzt mach mal und lern aus deinen Fehlern!“ verfahren. Immerhin handelt es sich um eine invasive Tätigkeit, bei der man – obgleich medizinisch notwendig – einen anderen Menschen verletzt. Sticht man sich aus Versehen selbst, kann man sich mit einem schlimmen Virus infizieren. Deswegen sollest du dir für jede Blutabnahme Zeit nehmen und Schritt für Schritt vorgehen. So vermeidest du peinliche Momente und unnötige Risiken. Für Debütanten gilt das ohnehin!
Gut präpariert ist halb punktiert
Die korrekte Blutabnahme beginnt mit der Vorbereitung. Wer am Patientenbett nach dem passenden Adapter oder Röhrchen sucht, oder sein Handwerkszeug nicht kennt, wirkt unprofessionell. Sortiere vorab dein Arbeitsmaterial auf ein Tablett oder in eine Nierenschale. Mache dich mit dem Blutabnahmesystem vertraut. Jedes System erfordert spezielle Adapter und Kanülen. Zudem solltest du dir den Stauschlauch anschauen und den Verschluss ausprobieren. Wenn du ihn am Ende der Blutabnahme nicht mehr aufbekommen, gibt das kein gutes Bild ab. Trete ans Bett des Patienten, informiere ihn über Sinn und Zweck der Blutentnahme. Gut informierte Patienten sind meistens geduldiger. Kleidung und Bett solltest du durch eine Unterlage vor Blutflecken schützen. So ersparst du dir Ärger mit Patient und Pflegepersonal. Blutentnahmen erfolgen prinzipiell beim liegenden Patienten. Keinesfalls im Stehen! Manche Patienten neigen zu unvorhersehbaren Synkopen. Zur Not kannst du den Patienten auch an den Bettrand setzen. Dann kann man ihn, falls er kollabiert, schnell hinlegen. Übrigens: Auch du solltest sitzen. Das beruhigt und erhöht deine Trefferquote!
Wo punktieren? Achtung Tabuzonen!
Prinzipiell eignen sich fast alle peripheren Venen zur Blutentnahme. In der Praxis sind die Venen am Unterarm die besten. Sie sind relativ schmerzunempfindlich. Auch am Handrücken kann man Blut abnehmen. Allerdings tut der Stich hier besonders weh. Vorsicht in der Ellenbeuge: Hier liegen Arterien und Nerven recht nahe an der Vene. Fehlpunktionen sind möglich. Klagt der Patient über heftige, untypische Schmerzen, hat man wahrscheinlich einen Nerv getroffen und muss die Punktion abbrechen. Arterielle Fehlpunktionen erkennt man am pulsierenden Blutfluss. Passiert dieses Malheur, hilft ein guter Druckverband. Am Fußrücken solltest du nur im äußersten Fall Blut abnehmen. Dort kommt es häufig zu Thrombophlebitiden. Zudem ist die Punktion dort extrem schmerzhaft.
Patienten, die oft „zu Ader“ gelassen werden, weisen den Arzt gerne genau darauf hin, wo er punktieren soll. Leider sind solche „Lieblingsvenen“ aber oft vernarbt. Besser du suchst dir selbst eine Vene und verlässt dich auf den eigenen Eindruck. Besonders geeignet sind Stellen, an denen zwei Venen Y-förmig zusammenfließen. Auf keinen Fall darfst du auf der OP-Seite bei Patientinnen nach Brustamputation und axillärer Lymphknotenausräumung abnehmen. Meiden solltest du zudem verletzte oder gelähmte Extremitäten. Auch Entzündungen sind tabu. Bei Dialysepatienten darfst du nie an dem Arm abnehmen, an dem der Shunt liegt. Auch ein Arm, an dem gerade eine Infusion läuft, ist ungeeignet. Das Blut ist verdünnt und die Laborwerte damit nicht zu gebrauchen.
Wanted: die ideale Vene
Unterbrich mit dem Stauschlauch den Blutabfluss. Die beste Vene ist nicht automatisch die, die man sieht, sondern diejenige, die sich wie ein dünner Gummischlauch anfühlt. Vorsicht vor Sehnen! Die sind hart und unnachgiebig. Lass dir für das Betasten der Venen Zeit – vor allem bei schlechten Venenverhältnissen und bei adipösen Patienten. Beim Stauen solltest du darauf achten, dass du beim Zuziehen nicht die Haut des Patienten einklemmst. Anfänger tendieren dazu, zu sanft zu stauen. Fahre mit einem Finger unter den angezogenen Schlauch. So kannst du prüfen, ob er straff genug sitzt. Dabei muss sich der Finger gegen einen deutlichen Widerstand unter die Stauung schieben lassen. Natürlich darf der Stauschlauch auch nicht zu straff sitzen und den arteriellen Zufluss blockieren. Testen kannst du das am Radialispuls. Falls sich trotz Stauung die Venen nicht richtig füllen, kannst du die Venen mit den Fingerkuppen beklopfen oder den Arm reiben. Nach ein paar Sekunden entspannt sich dann die Muskulatur der Venenwände und die Venen werden prall. Zudem hilft es, wenn der Patient „pumpt“, also die Faust wiederholt öffnet und schließt, oder wenn der Arm des Patienten herabhängt. Manchmal zaubern auch warme Armbäder die Venen hervor. Ist schließlich eine passende Vene gefunden, muss man sich die Stelle gut merken. Zusätzlich kann man sie mit dem Abdruck des Fingernagels markieren.
Stich: Auf den Winkel kommt es an
Jetzt desinfiziere die Punktionsstelle. Das Desinfektionsmittel sollte dabei mindestens 30 Sekunden einwirken. In dieser Zeit ziehst du die Handschuhe an. Diese sind Pflicht, auch wenn du ein geschlossenes Blutentnahmesystem verwendest. Denn ein unachtsamer Moment reicht, und du kommst mit Blut in Kontakt. Vor der Punktion entfernst du die Alkoholreste mit einem Tupfer. Sonst schiebt die Nadel Alkohol unter die Haut, was ziemlich weh tun kann. Nun kannst du punktieren. Achte darauf, dass die Kanülenöffnung nach oben zeigt (Abb. 2). Mit der linken Hand kannst du den Unterarm fest umgreifen und die Haut über der Punktionsstelle straffen. So rollt die Vene nicht weg. Führe mit der rechten Hand die Nadel in einem flachen etwa 20- bis 40-Grad-Winkel kurz und schnell in die Haut ein (Abb. 3). Steiles Stechen ist zwar weniger schmerzhaft, andererseits geht die Nadel so rasch durch die Venenhinterwand und die Vene „platzt“. Erreicht die Nadel die Vene, ändert sich der Widerstand. Du wirst ein Gefühl dafür entwickeln, wann eine Nadel sitzt. Arbeite weder mit einem Butterfly noch mit einem Unterdrucksystem, musst du jetzt den Stempel langsam ziehen (Abb. 4), um zu prüfen ob das Blut fließt. Kommt nichts, kannst du die Nadel noch etwas vor oder zur Seite schieben, je nachdem wo du die Vene vermutest. Bevor du zu lange „herumstocherst“, solltest du es aber lieber noch einmal versuchen. Sitzt die Nadel korrekt, fixiere die Kanüle zwischen Daumen und Zeigefinger (Abb. 5). Dann kannst du in Ruhe die Laborröhrchen anschließen, füllen und wechseln.
Für die Klinik zwar teurer aber leichter zu handhaben sind Butterfly-Systeme (Abb. 9). Mit den an der Kanüle angebrachten Flügeln lässt sich die Nadel sicher führen. Praktisch ist auch der Plastikschlauch, der an der Kanüle angebracht ist. Er verhindert, dass beim Ansetzen oder Wechseln der Blutröhrchen die Nadel aus der Vene rutscht. Gerade für Anfänger ist das ideal. Man fasst die beiden Flügel der Kanüle zwischen Daumen und Zeigefinger. Ratsam ist es vor der Punktion bereits einen Adapter an den Plastikschlauch anzuschließen, damit die Blutröhrchen dort angesteckt werden können. Ist kein Stopfen am Ende des Butterfly läuft das Blut ungebremst aus. Den Punktionserfolg erkennt man an der kurzen Blutsäule am Ansatz des Verbindungsschlauchs. Nach erfolgreicher Punktion lässt man die Flügel los und kann sie bei der Abnahme mit einem Pflasterstreifen fixieren.
Nicht zu stürmisch!
Viele freuen sich über das fließende Blut so sehr, dass sie den Stempel auf einen Schlag ausziehen. Das ist ein Fehler! Durch den starken Sog zerstörst du Erys und verfälscht Elektrolytwerte, Enzymwerte und Blutbild. Ziehe den Stempel langsam und mit etwas Geduld! Warte aber auch nicht zu lange. Auch langes Stauen kann die Werte verfälschen. Außerdem wichtig: Fülle die Laborröhrchen möglichst bis zur entsprechenden Markierung. Die Analysegeräte im Labor sind auf diese Blutmengen geeicht. In einigen Röhrchen (z. B. Gerinnung oder BSG) befinden sich genau abgemessene Mengen von Antikoagulanzien. Diese Röhrchen müssen ganz gefüllt sein. Die Messung der Gerinnungseigenschaften des Blutes besteht darin, dass diese Antikoagulanzien unter kontrollierten Bedingungen antagonisiert werden. Falsch gefüllte Röhrchen führen deshalb unweigerlich zu falschen Gerinnungswerten.
Kein blinder Ehrgeiz!
Hast du das letzte Röhrchen gefüllt, kannst du den Stauschlauch lösen. Vorher darf die Kanüle nicht entfernt werden. Sonst produzierst du ein Blutbad oder unschöne Hämatome. Lege nun einen Tupfer locker auf die Punktionsstelle (Abb. 7), ziehe die Kanüle zügig heraus und drücke dann mit dem Tupfer auf die Vene. Nicht früher! Das Herausziehen der Nadel unter Druck ist schmerzhaft. Sie schrammt dann an der empfindlichen Venenwand entlang. Wenn du eine Butterflykanüle entfernst, solltest du den Adapter auf dem Schlauch lassen. So wird die Blutsäule im Schlauch fixiert und kleckert beim Herausziehen nicht über den Arm des Patienten. Nach der Abnahme kannst du den Patienten selbst mit dem Tupfer die Wunde komprimieren lassen. Vermeide, dass er bei Punktion in der Ellenbeuge den Arm einwinkelt. Sonst wird die eingeschlitzte Vene aufgeklappt. Das verstärkt die Blutung. Stecke die Kanüle immer sofort in einen Spritzenbehälter. Natürlich mit der Spitze voran! So schützt du dich und andere vor unnötigen Nadelstichverletzungen. Alle anderen mit Blut kontaminierten Gegenstände müssen ebenfalls sicher entsorgt werden. Zuletzt klebe den Tupfer über der Punktionsstelle unter Zug zu einem kleinen Druckverband fest. Erst jetzt darfst du die Handschuhe ausziehen.
Wichtig, wenn es einmal nicht geklappt hat: Lasse dich nicht aus der Ruhe bringen, und versuche es einfach ein zweites Mal! Auch Profis haben mal schlechte Tage. Verfalle aber auch nicht in blinden Ehrgeiz. Kommt nach zwei Versuchen kein Blut, beauftrage einen Kollegen. Keine Sorge: Es gibt wunderbare Ärzte, die von Blutabnehmen keine Ahnung haben!
Anmerkung zur Fotoserie (s.o.): Die Serie wurde in einer Praxis fotografiert. Anders als in Kliniken werden hier die Patienten für die Abnahme selten hingelegt. Sie sitzen meistens in einem speziellen Abnahmestuhl mit Armlehnen und einer Auflage für den Unterarm, an dem abgenommen wird.