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- Dr. med. Felicitas Witte
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- 04.04.2005
Handwerkszeug für Doktoranden
Eine Doktorarbeit ist eigentlich eine tolle Sache: Sie ermöglicht Einblick in die Welt der Wissenschaft und Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern. Leider ist eine Promotion aber oft auch Anlass für Verdruss. Häufiger Grund: Fehler in der Anfangsphase. In unserem Beitrag „Handwerkszeug für Doktoranden“ erklären wir dir deswegen, wie du eine Doktorarbeit richtig planst.
Zwischen Gauß und Dr. med.
„Ich habe den Fehler gemacht, dass ich von Anfang an auf eine statistische Arbeit fixiert war“, erinnert sich Dr. Angelika Liebisch. „Ich hatte keine Lust auf Laborarbeit und wollte schnell fertig werden.“ Dass sie erst nach drei Doktorarbeitsversuchen und viel verschwendeter Zeit den ersehnten Titel bekommen sollte, hätte sich die junge Ärztin zunächst nicht träumen lassen. Schwacher Trost: Mit diesem Frusterlebnis ist sie in bester Gesellschaft. Viele junge Mediziner stürzen sich nach dem Physikum relativ blauäugig in eine Doktorarbeit, und nicht wenige erleiden damit früher oder später „Schiffbruch“. Kein Wunder, denn manche missachten die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen.
Warum? Was? Wann?
Jeder sollte sich zunächst die Gretchenfrage stellen: Brauche ich überhaupt den Doktortitel? Dass alle anderen promovieren, reicht als Begründung nicht aus. Unbestritten ist, dass es hervorragende Ärzte gibt, die auch ohne Titel Karriere machen. Andererseits ist der „Doktor“ für Ärzte eine Art Berufsbezeichnung. „Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass Medizinstudenten promovieren“, meint auch Prof. Dr. med. Ursus-Nikolaus Riede, Pathologe in Freiburg und erfahrener Doktorvater. „Zum Arztberuf gehört eben nicht nur die praktische Ausbildung, sondern auch die Erfahrung, einmal tief in ein wissenschaftliches Problem einzutauchen. Darüber hinaus sollten Medizinstudenten lernen, eine gute von einer schlechten Studie zu unterscheiden.“
Hast du dich für eine Promotion entschieden, solltest du dir genau überlegen, welcher Typ von Arbeit der richtige für dich ist (siehe unten). Es nützt wenig, über Jahre akribisch Versuche im Labor durchzuführen und eine umfassende Arbeit zu schreiben, wenn man den Titel „nur“ für das Praxisschild braucht. Anders ist das bei künftigen Forschern. Sie lernen mit einer experimentellen Arbeit wissenschaftliche Techniken und potenzielle Arbeitgeber kennen. Auch wer an einer größeren Klinik arbeiten oder Chef werden möchte, sollte experimentell arbeiten oder zumindest eine gute klinische Studie durchführen. Will jemand später in einer Praxis oder in einer kleineren Klinik arbeiten, reicht häufig eine kleine klinische oder statistische Arbeit.
Mit dem Start der Arbeit solltest du nicht zu lange zögern. „Beginne möglichst nach dem Physikum, und mache einen groben Zeitplan“, rät Professor Riede. „Für Studien oder Versuche ohne Literaturrecherche und Schreiben brauchst du bei einer kleineren klinischen Studie in der Regel ein halbes Jahr netto, für eine experimentelle Arbeit mindestens ein Jahr. Das musst du im Studium einplanen!“ Zusätzlich benötigt man ein halbes bis ein Jahr, um Literatur zu recherchieren und die Arbeit zu schreiben.
Entscheidend: Thema und Betreuung
Bei der Wahl des Themas solltest du darauf achten, dass es dich wirklich interessiert. Ein noch so spannendes Thema kann allerdings frustrieren, wenn die Betreuung schlecht ist. „Ich habe meine erste Doktorarbeit nach einem Jahr abgebrochen“, erzählt Oliver Dib, der in Berlin im 10. Semester studiert. „Mein Doktorvater hat mich überhaupt nicht unterstützt. Er ist Kliniker und hatte selten Zeit für mich. Ich musste mich um alles selbst kümmern, ohne zu wissen, ob das überhaupt richtig ist, was ich mache.“ Dabei hatte Oliver Dib das Thema „Herzdiagnostik im MRT“ sehr interessiert. Ähnlich ging es Axel Nieburger*: „Mein Doktorvater hatte keine Ahnung von Laborarbeit und Labortechniken“, erzählt der Student. „Später merkte ich, dass die Versuche technisch gar nicht so durchführbar waren, wie er sich das vorstellte.“ Enttäuscht brach Axel seine Arbeit nach anderthalb Jahren ab.
Um solche Enttäuschungen zu vermeiden, sollte man einige Vorsichtsmaßnahmen treffen: „Erkundige dich vorher über deinen möglichen Doktorvater und seine Abteilung“, empfiehlt Professor Riede. „Es sollte nicht zu viele Doktoranden neben dir geben. Vereinbare mit dem Doktorvater und deinem Betreuer regelmäßige Treffen und stell sicher, dass du in die Thematik eingearbeitet wirst. Die Studie sollte gut geplant sein. Kläre, dass du bei Publikationen mit auf dem Titel stehen und nicht nur unter ,technical notes‘ erwähnt werden. Der Doktorvater sollte dir die Risiken der Arbeit benennen können und ein ,Notfallprogramm‘ in petto haben, falls etwas schief geht.“ Professor Riede rät außerdem, über solche Details nicht nur zu reden, sondern sie vor Beginn der Arbeit schriftlich festzuhalten. Das bietet nicht nur dem Doktoranden Sicherheit, sondern auch dem Doktorvater, der dann weiß, dass er sich auf seinen Doktoranden verlassen kann.
Früh an die Statistik denken!
Ähnlich kritisch wie Doktorvater und Betreuer sollte man auch die Fragestellung unter die Lupe nehmen. „Viele forschen einfach drauflos, ohne sich zu überlegen, was sie eigentlich herausfinden wollen“, berichtet Professor Ulrich Abel vom Institut für medizinische Biometrie der Uni Heidelberg. Der Biometriker arbeitet seit mehr als 24 Jahren in der medizinischen Statistik und hat inzwischen über 300 Doktorarbeiten gesehen. „Häufig muss ich den Doktoranden sagen, dass man mit ihren Daten nichts anfangen kann“, erzählt Professor Abel. „Das ist für die Studenten natürlich frustrierend.“ Damit dir das nicht passiert, solltest du als angehender Doktorand unbedingt zum Biometriker gehen – und zwar bevor du mit der Arbeit anfängst!
Auch Dr. Liebisch ist bei einem Promotionsversuch über die Statistik gestolpert: „Mein Betreuer und ich waren hochmotiviert“, erzählt die junge Ärztin. „Wir hatten eine prospektive Studie geplant und uns das Studiendesign selbst ausgedacht. Allein die Planung hat über ein halbes Jahr gedauert! Wir wollten untersuchen, wie häufig Kinder postoperativ erbrechen, wenn sie eine bestimmte Inhalationsnarkose bekommen. Als ich nach einiger Zeit zum Statistiker ging, sagte der uns, dass wir 450 Kinder brauchen, um einen relevanten Unterschied zu sehen.“ Im Jahr wurden jedoch nur etwa 200 Kinder operiert – die Arbeit hätte also Jahre dauern können. Nach zwei Semestern brach Dr. Liebisch die Arbeit ab.
„Die Biometrie ist die Architektur der medizinischen Forschung“, erklärt Professor Abel. „Man kann ein Haus auch ohne Architekten bauen, aber das Risiko, dass es einstürzt, ist hoch! Wenn ein Student zu uns kommt, besprechen wir deswegen mit ihm zunächst einmal die konkrete Fragestellung. Ist die Zielgröße festgelegt, muss geklärt werden, wie man sie am besten misst. Bringt der Student keinen Studienplan von seinem Doktorvater mit, stellen wir ihn gemeinsam auf. Wir unterhalten uns über das Design der Studie, wie man die Daten geschickt erfasst und verwaltet und mit welcher statistischen Methode man sie am besten auswertet. Außerdem berechne ich, wie viele Patienten oder Probanden der Doktorand für seine Untersuchung braucht. Und ich weise ihn darauf hin, dass er gegebenenfalls einen Antrag bei der Ethik- oder Tierschutzkommission stellen muss.“
Die biometrische Beratung ist für Studenten und Angehörige der medizinischen Fakultät kostenlos. Statistikkurse werden an fast jeder Uni angeboten. In letzter Zeit machen aber auch viele private Anbieter Werbung. Da diese Firmen ein wirtschaftliches Interesse haben, sind sie natürlich besonders motiviert. Die Beratung ist jedoch nicht billig und kommt eher für gut betuchte Studenten in Frage.
Die Untersuchungs-Phase
Jetzt kann es mit der Datenerhebung losgehen. hast du eine experimentelle Arbeit gewählt, zögere nicht, dir für die Versuche ein Semester frei zu nehmen. Häufig ist es besser, ein halbes Jahr konsequent durchzuarbeiten, als die Versuche wegen Praktika, Vorlesungen oder Seminaren zu unterbrechen. Wenn du zum ersten Mal im Labor oder auf der Station bist, wo du deine Untersuchungen durchführst, solltest du einige „Benimmregeln“ berücksichtigen: Stell dich in der Abteilung oder auf der Station vor, erkläre, dass du für eine Zeit lang im Team mitarbeiten wirst und wer dein Betreuer ist. Vor allem MTA und Sekretärinnen spielen eine wichtige Rolle! Sie passen auf deine Versuche auf, wenn du gerade zum Seminar musst, stehen dir mit technischem Rat zur Seite oder lassen dich mal schnell zu deinem Doktorvater vor, wenn du eine wichtige Frage hast. Auf jeden Fall kann ein Blumenstrauß oder eine Schachtel Pralinen das Arbeitsklima enorm verbessern ...
Parallel zur Datenerhebung solltest du Literatur recherchieren. Dabei suchst du alles, was zu deinem Thema oder ähnlichen Problemen bisher veröffentlicht wurde. Einen ersten Stapel von Artikeln bekommen viele Doktoranden von ihrem Doktorvater. Es gibt verschiedene Datenbanken, in denen du nach Literatur suchen kannst. Die meisten haben Suchmasken im Internet. Medline, die bekannteste Datenbank, findest du zum Beispiel unter www.pubmed.org. Lass dir in der Bibliothek erklären, wie du dir die Artikel besorgen kannst. Die neueren Ausgaben sind in der Regel alle online und können problemlos aus dem Internet heruntergeladen werden. Lerne dabei, gute von schlechten Studien zu unterscheiden (siehe Studientypen). Beschreibt ein Artikel beispielsweise eine bestimmte Therapie nur bei einem einzelnen Patienten, ist das Ergebnis wissenschaftlich eher irrelevant. Hat ein Autor dagegen viele Patienten untersucht, die Patienten in zwei oder mehr Gruppen eingeteilt (randomisiert), ihnen verschiedene Therapien zugewiesen und das ganze in einem Protokoll festgehalten (kontrolliert), kannst du aus dem Ergebnis der Studie sehr „valide“ Schlüsse ziehen. Ist die Studie darüber hinaus „verblindet“ – wissen also weder Arzt noch Patient, welche Behandlung der Patient bekommt –, gilt sie als doppelblind und wird noch höher bewertet als eine unverblindete Studie. Die „Crème de la crème“ der Studien sind Meta-Analysen von randomisierten klinischen Studien, in denen Wissenschaftler die Ergebnisse mehrerer Studien zu einem Gesamtergebnis zusammenfassen, um eine gemeinsame Aussage bezüglich einer Fragestellung zu finden.
Während du nach Literatur suchst und Daten erhebst, solltest du zwischendurch bei deinem Biometriker vorbeischauen und mit ihm die Auswertung und Interpretation der Daten besprechen. Parallel solltest du mit dem Schreiben beginnen. Fass die Ergebnisse deiner Literaturrecherche zusammen und schreibe den Methodenteil. Später musst du dich sonst wieder mühsam erinnern und alte Aufzeichnungen durchsehen (wie du deine Doktorarbeit am effektivsten schreibst, verraten wir dir in der nächsten Folge dieser Reihe in Via medici 3/05).
Das Schicksal promoviert mit
Wenn du Thema und Doktorvater sorgfältig auswählst, den Betreuer kritisch begutachtest, die Fragestellung präzise formulierst und deinen Studienplan von einem Biometriker „absegnen“ lässt, hast du beste Chancen, dass deine Doktorarbeit ein Erfolg wird. Trotzdem gibt es natürlich keine Erfolgsgarantie. Wenn du erst während der Arbeit merkst, dass die Betreuung schlecht ist, die Labortechniken nicht etabliert sind oder das Thema nichts hergibt, brich besser rechtzeitig ab. Dr. Angelika Liebisch ärgert sich noch heute, dass sie an ihrem zweiten Promotionsversuch so lange festgehalten hat. „Bei der zweiten Arbeit habe ich über zwei Monate mit mir gerungen, bis ich abgesagt habe, weil ich mich mit dem Betreuer persönlich angefreundet hatte“, erzählt sie. „Das ganze hat mich zwei Semester gekostet!“ Dafür hat es bei ihrer dritten Doktorarbeit in der Gerichtsmedizin dann endlich geklappt: „Mein Doktorvater hatte mir bei unserem ersten Gespräch versprochen, dass ich mit der Arbeit inklusive Schreiben in einem Jahr fertig sein würde, wenn ich ,full-time‘ arbeite. Er war Physiker und hatte daher immer Zeit für mich. Nach genau einem Jahr konnte ich die fertig getippte Arbeit abgeben.“
Andere stehen ihrem Glück selbst im Weg. Professor Riede erzählt von einem Doktoranden, der Experimente begonnen hatte und sich nach einigen Monaten verabschiedete, um eine Famulatur in Asien zu machen: „Die Daten ließ er unausgewertet zurück. Nach acht Jahren kam er wieder und wollte daraus eine Doktorarbeit machen. Das habe ich abgelehnt: Das Problem war längst nicht mehr aktuell, da mittlerweile andere Wissenschaftler darüber veröffentlicht hatten.“ Doch mit den meisten seiner über 100 Promovenden hat sich Professor Riede gut verstanden.
Natürlich gibt es bei einer Doktorarbeit immer wieder Überraschungen, die auch der beste Doktorvater nicht vorhersehen kann. Auch Professor Riede blieb davon nicht verschont. Die meisten Herausforderungen konnte er zusammen mit seinen Doktoranden gut meistern. Nur in einem Fall hatte sich eine Promotion in eine Richtung entwickelt, die er nun überhaupt nicht eingeplant hatte: „Eine Doktorandin hat sich so gut angestellt, dass ich sie geheiratet habe!“, schmunzelt der Pathologe. „Dabei stand das gar nicht in der Promotionsvereinbarung ...“
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