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- 11.05.2009
Hammerexamen-Tagebuch (10)
Meine Prüfung
Ich kann nur jedem empfehlen, nicht mehr weiter zu lesen. Was ich schreibe, bereitet keine Freude. Letzte Woche schrieb ich am Tag vor der Prüfung: Das Schlimmste - die Lernzeit - wäre ja jetzt vorbei. Wenn ich nur geahnt hätte, was dann folgen würde…
Die Nacht davor
Die Nacht vor dem ersten Prüfungstag war kurz. Ich hatte eine Liste von Krankheiten erstellt, die ich noch einmal am letzten Tag ausführlich in dicken Lehrbüchern mit Blick auf die Fallstudien lesen wollte. Kein Kreuzen, kein Stichwortpauken.
Erst gegen zwei Uhr Morgens schloss ich meine Augen. Ich konnte schlafen und auch der Morgen der Prüfung war entspannt. Der Prüfungsort war am anderen Ende der Stadt. Früh war ich losgefahren und kam auch rechtzeitig an. Dass ausgerechnet der Prüfungsraum meiner Gruppe sich kurzfristig geändert hatte und ein kleines organisatorisches Chaos entstand, gehört wohl zu jedem wichtigen Moment. Unsere "Aufseher" - zwei ältere Herren - nahmen alles sehr gelassen.
Vor uns lagen Nummer, Bleistift, Radiergummi und der Kreuzzettel, also das Blatt Papier, auf dem ich meine waagerechten Striche setzen musste - zuletzt hatte ich so etwas im Physikum in den Händen gehalten; keine schöne Erinnerung. Die übliche juristische Aufklärung folgte: "Möchte jemand von der Prüfung zurücktreten?" Und dann wurden die Prüfungshefte verteilt.
Der Anfang
"Sie können jetzt mit der Prüfung beginnen." Ich klappte das Heft auf, schloss kurz die Augen, holte Luft und las die erste Frage. Versuchte mich zu konzentrieren und spürte den ersten Dämpfer. Die Fälle und Fragen waren alles andere als leicht. Da habe ich wochenlang gekreuzt, gelesen und gelernt, und trotzdem werden Themen gefragt, von denen ich kaum oder gar nichts gehört habe. Sichere Antworten konnte ich nicht setzen, erst bei Frage sechs oder sieben war ich mir mal eindeutig sicher.
Am Ende wurde es ein Gemetzel, ich schlug mich von Frage zu Frage, versuchte Antwortmöglichkeiten auszuschließen. Schrieb Wörter wie "möglich", "eher ja" oder "klingt gut". War ich mir sehr sicher, kreuzte ich den Antwortbuchstaben. Zu lange hielt ich mich dabei nicht mit jeder Frage auf, sondern plante eine Art zweiten Durchgang - bei dem ich dann die Frage mit einem erneuten Blick endgültig beantworten und auf den Lösungszettel übertragen würde.
Guter Plan
Jedenfalls dieser Plan funktionierte. Die knapp Hundert Fragen hatte ich innerhalb von ungefähr drei Stunden im ersten Durchgang durchgearbeitet. Die verbleibenden zwei Stunden reichten dann für eine Wiederholung.
Dies klappte auch am zweiten Tag, nur am dritten lag ich zeitlich etwas mehr zurück. Vielleicht wegen der ausführlicheren Fälle, vielleicht weil ich schon so geschafft war. Doch auf jeden Fall brauchten fast alle in meinem Prüfungsraum die vollen fünf Stunden. Dabei hatte ich die Fallstudien nur quer gelesen und immer rasch speziell für die Fragen dann bestimmte Abschnitte angesehen, wenn es nötig war. Dadurch habe ich wohl einige Zeit rausgeholt.
Genauso las ich meist auch erstmal die Antworten bei längeren Einzelfragen, um zu wissen, worum geht es eigentlich. Zu klassisch ist das Beispiel wie über mehrere Zeilen hinweg eine Krankheitsgeschichte mit allen Symptomen beschrieben wird, und in der letzten Zeile steht dann die mühsam von dir erdachte Diagnose und etwas ganz anderes wird gefragt.
Die Fallstudien
Nach über vierzig Fragen schließlich erreichte ich die erste von vier Fallstudien. Ich konnte es nicht fassen. Die Einzelfragen waren schon schwer und speziell, wie würden jetzt wohl erst die Fragen der Fallstudien werden, die ja noch sehr viel mehr in die Tiefen einer Krankheit gehen würden.
Meine Moral war angeschlagen, doch mein Herz jubelte innerlich als ich herausfand, dass die erste Fallstudie die periphere arterielle Verschlusskrankheit abhandelt. Faires Thema, häufig im Alltag und mir schon durch das PJ in der Gefäßchirurgie vertraut. So konnte ich einige Fragen sicher beantworten, aber trotzdem nicht alle. Trotz Lehrbuchwissen, trotz Praktischem Jahr.
Leider hielt meine Freude über das mir vertraute Thema nur kurz, denn noch weitere drei Fallstudien folgten mit unheimlich speziellen Fragen. Beim Thema Malaria wurden mikroskopische Bilder gezeigt, beim Thema Demenz verstand ich sogar manche Frage oder Antwortmöglichkeit nicht. Waren sie entweder missverständlich geschrieben oder wurde ich durch die Prüfung langsam selbst dement?
Am Ende
Am Ende des ersten Tages war ich niedergeschlagen, hatte gar kein gutes Gefühl. Der Gedanke, man könnte mit den beiden anderen Tagen ja noch ausgleichen, tröstete mich immerhin. Doch das alles hatte ich mir nach Wochen des Lernens anders vorgestellt. Ich war enttäuscht, wirklich enttäuscht. Ich hätte es akzeptieren könne, wenn ich der Einzige gewesen wäre; habe dann eben falsch gelernt oder so. Doch war ich nicht der Einzige, ich sah niemanden mit einem Lächeln den Prüfungsort verlassen.
Zu Hause
Zu Hause angekommen packte mich dann plötzlich trotz Erschöpfung eine "Google-Attacke": Schlag auf Schlag tippte ich Stichwörter in meinem Computer, um bestimmte Fragen nachzuschauen. Manche entpuppten sich als richtig, manche als falsch. Zu meiner Überraschung waren einige, die ich als sicher richtig erachtet hatte, gerade falsch und andersherum. Ich wagte nicht, mein Ergebnis ganz auszuwerten. Im Physikum hatte ich es noch anders gemacht, doch auf Zahlen habe ich seit der Klinikzeit nie etwas gegeben. Die Stellen mit den Fünf-Jahres-Überlebensraten würde ich am liebsten aus Lehrbüchern herausreißen und aufessen.
Der Tag war sowieso schon fast wieder vorbei. So hielt ich weiterhin an meinem Plan fest, bestimmte Krankheiten ausführlich in Lehrbüchern nachzulesen. Dabei war ich schon so müde, dass ich schließlich fest einschlief und so immerhin keine schlaflose Nacht durchmachte.
Der zweite Tag
Es war wohl der zweite Tag, der meine Moral rettete. Die Fragen waren etwas einfacher, trotzdem nie sicher zu beantworten. Meist blieben zwei oder leider auch mal drei Antwortmöglichkeiten übrig.
Zum Glück kamen diesmal viele Neurologieeinzelfragen. Mein PJ-Wahlfach baute mich wieder auf. Ich musste aber dennoch ganz schön schlucken. Die Fragen selbst waren heftig, selbst für jemanden, der Ahnung hat. Dann mussten logischerweise doch auch die Fragen der anderen Fächer schwierig sein. Lag es also doch nicht nur an meinem vermeintlich mangelhaftem Wissen?
Natürlich, jeder findet, sein Hammerexamen sei das schlimmste gewesen. Dann sage ich das auch von meinem und finde dafür weitere Gründe. Zum Beispiel den, dass diesmal die Prüfungs-Ersteller scheinbar neue Wege gehen wollten: Sehr häufig wurden Medikamentennebenwirkungen gefragt, und an allen drei Tagen waren derart zahlreiche Histopathologiebilder präsentiert worden, dass einen der Schlag treffen könnte. So viel Histobilder habe ich in der ganzen Zeit seit meinem Pathokurs nicht mehr gesehen.
So kann ich nur jeden warnen, der dieses Examen Frühjahr 2009 zur Probe kreuzt: Nur keinen zu großen Schreck bekommen! Es ist wirklich anders als die vorherigen.
Der zweite Tag war also besser als der erste, doch meine Hoffnung, dieses Hammerexamen gelassen zu bestehen, waren deutlich dahin; jetzt ging es nur noch ums Bestehen. Zwar schaute ich einige Fragen wieder zuhause nach, doch weniger als am Tag zuvor.
Der dritte Tag
Die Fragen des dritten Tages waren gefühlt viel länger. Mit der Zeit hinkte ich diesmal deutlich hinterher. Ich hatte nach einer Stunde nicht mal die ersten zwanzig Fragen geschafft. Hinzu kamen zermürbende Fragen zu Umweltmedizin und Statistik. In Rechtsmedizin ging es ständig um Mordfälle und weniger um die netten juristischen Fragen der vorherigen Hammerexamina.
Irgendwann bei der Hälfte der Fragen packte mich die Wut, und ich hätte fast einfach überall irgendwo ein Kreuz gesetzt, nur um dann frühzeitig abzugeben. In dem Moment war mir alles egal. Schließlich geht es hier nicht um Leben oder Tod. Es ist eine dämliche Prüfung, ein Stresstest. Wer das durchhält, hält alles durch? Wohl kaum: Der Alltag im Krankhaus ist ganz anderer Art. Lieber stehe ich Stunden im OP, mache nächtelang Dienste, als durch den Horror des Hammerexamens zu gehen.
Was folgt
Doch vielleicht übertreibe ich auch. Erst jetzt im Rückblick, eine Woche später, traue ich mich darüber zu schreiben. Wer weiß, wie meine Nacht heute verlaufen wird. Denn eigentlich folgte der große Schrecken erst nach den drei Prüfungstagen.
Am Nachtmittag des dritten Tages betäubte mich die Freude, es endlich hinter mir zu haben. Wir gingen essen, tranken und mussten uns erstmal an den Gedanken gewöhnen. Erst mit der Zeit merkte ich, dass ich es verlernt hatte zu genießen, eigentlich keine wirkliche Freude mehr empfand. Das alles kehrt erst jetzt ein paar Tage später wieder zurück.
Ungewissheit
Doch besonders schlimm wurde dann die Ungewissheit. Wie ist das Ergebnis? Ich hätte nun die Fragen alle nachschlagen, die inoffiziellen Ergebnisse im Internet einsehen können. Doch was, wenn es knapp würde - schließlich wird erst noch eine Bestehensgrenze festgelegt und es werden Fragen aus der Wertung genommen. Alles unsicher. Furchtbar, wenn ich vorerst ein Ergebnis wüsste, dass sich dann im Nachhinein als ganz falsch erweisen würde. Also wählte ich den Pfad des Nichtwissens.
Ich packte meine Sachen, fuhr in den Urlaub, in die Sonne. Die ersten Tage waren schmerzhaft, der Gedanke durchgefallen zu sein, hat sich immer mehr in mir ausgebreitet. Doch hinzu sind Gedanken gekommen, die diesen Fall als gar nicht so schlimm wirken lassen. Dann hole ich den Müll eben in einem halben Jahr nach.
Und natürlich spüre ich wie wichtig es ist und wie gut es tut, die Menschen um sich zu haben, die für einen da sind - auch zu Zeiten des Alptraums Hammerexamen.
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