• Fachartikel
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  • Dr. Agnieszka Wolf
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  • 08.01.2015

Leitsymptom Erbrechen - Die Wurzel allen Übels

Stellt sich ein Patient mit Erbrechen vor, braucht man als Arzt mitunter detektivischen Spürsinn. Denn längst nicht nur im Abdomen ist der Ursprung dieses „Übels“ zu suchen: Auch endokrine, kardiale oder psychiatrische Erkrankungen können dahinterstecken. Wir erklären Dir, wie Du im Dschungel der „Brech-Diagnosen“ den Überblick behältst.

 

 

 

Abb. 2: Dieses furchteinflößende Monstrum ist keinem Science-Fiction-Film entsprungen, sondern „nur“ eine Horde E. coli. Millionen dieser gramnegativen Bakterien besiedeln unseren Darm und helfen uns z. B. bei der Verdauung. Einige Escherichia-Coli-Stämme können uns aber auch gewaltig auf den Magen schlagen: So kann z. B. die entero­-­hämorrhagische Subspezies (EHEC) schlimme Gastroenteritiden auslösen. Foto: ARS

 

Genauso hat Lina sich das vorgestellt: Heute ist der erste Tag ihrer Famulatur in der internistischen Notaufnahme. Kaum hat sie sich mit ihren Kollegen bekannt gemacht, da geht auch schon die Tür auf und der Rettungsdienst bringt die ersten Patienten herein. Bereits fünf Minuten später schickt sie der diensthabende Arzt Dr. Matejko alleine in eine Patientenkabine. Er fragt sie nicht lange, ob sie sich die Anamnese und die klinische Untersuchung zutraut, sondern sagt einfach: „Der Mann kommt mit Erbrechen. Finde heraus, was er hat!“ Dann drückt er ihr den Aufnahmebogen in die Hand.

 

Spärliche Geräusche im Unterbauch

Vor Lina liegt ein älterer, adipöser Mann, schätzungsweise 75 Jahre alt. Er ist bleich, sagt kein Wort und hält die Augen geschlossen. Der Patient liegt so still da, dass Lina sich dabei ertappt, auf seine Atmung zu achten, um sich zu vergewissern, dass er noch lebt. Neben der Liege sitzt die Ehefrau des Patien­ten. Ohne dass Lina gefragt hätte, plappert sie einfach drauflos: „Vor drei Tagen hat er noch Bäume im Garten geschnitten, und jetzt … Schauen Sie doch! Er macht nichts mehr!“

 

Lina merkt, dass die Fremdanamnese ganz leicht wird: Sie braucht sich nur das Klagen der Ehefrau anzuhören. Diese redet ungebremst weiter: „Vorgestern war er schon so komisch. Er wollte nichts essen und hatte Bauchschmerzen. Hier im Unterbauch!“ Die Frau zeigt auf die Gegend ihrer eigenen Harnblase. „Und dann gestern waren die Schmerzen plötzlich weg, und dafür hat er dann nur noch erbrochen. Zuerst ein paar Speisereste und dann nur noch Galle. Und seit heute Morgen ist er wie gelähmt. Er spricht nichts und macht nichts.“

 

Lina fragt die Ehefrau, ob ihr Mann sonstige Leiden habe und Medikamente einnehmen müsse. So erfährt sie, dass er einige chronische Krankheiten hat: Er leidet an einer Epilepsie, einer arteriellen Hypertonie und einem Typ-2-Diabetes. Zusätzlich hat er ein paroxysmales Vorhofflimmern, eine pAVK sowie eine chronische Niereninsuffizienz. Und das Herz mache auch nicht mehr so mit, gibt die Ehefrau an.

 

Der Patient nimmt neben Medikamenten für den Diabetes, die Epilepsie und das Vorhofflimmern das Schleifendiuretikum Torasemid, Kalium-Tabletten und das Digitalispräparat Digitoxin ein. Lina erinnert sich an ihren Pharma-Kurs: Eine Digitoxin-Überdosierung kann Erbrechen verursachen. Aber auch veränderte Elektrolyte oder der Blutzucker könnten eine Erklärung sein ...

 

Nun kommt Dr. Matejko hinzu. Er schaut sich kurz den Patienten und dessen Medikamentenliste an. Dann lässt er die Schwester einen Blutzucker-Stix machen und nimmt dem Patienten Blut ab. Neben der üblichen Notfallpalette wie Blutbild, Elektrolyte, Entzündungsparameter, Leber- und Nierenwerte kreuzt er den Digitoxin-Spiegel mit an.

 

Jetzt kann Lina den Patienten untersuchen: Er ist somnolent, aber auf Schmerzreize erweckbar. Er hat keinen Meningismus. Das Herz ist in der Auskultation leise, normofrequent und arrhythmisch bei bekanntem Vorhofflimmern. Die Lunge ist gleichmäßig belüftet. Das Abdomen ist gespannt mit Druckschmerz über allen Quadranten. Es sind keine Resistenzen und keine Abwehr tastbar. Doch die Darmgeräusche sind spärlich. Die Temperatur beträgt 35,6 °C, der Blutdruck 130/70 mmHg.

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