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- 10.10.2016
Die Geschichte von den Unbelehrbaren
Ist das zu fassen? Kurz nach einem Bypass hängen viele Patienten schon wieder am Glimmstengel.
Wer einmal wahre Frustration bei Kommunikation, Zusammenarbeit und Compliance erleben möchte, der sollte sich in die Hallen der Gefäßchirurgie begeben. Für den ganz besonderen Kick sucht man sich am besten eine Klinik in einem ländlichen Gebiet, in dem die Menschen besonders indolent sind. Leute eben, für die das Wort Prävention schon nach einer Krankheit scheint, die „bestimmt von dieser bösen Pharmaindustrie aus einem ihrer geheimen Labors auf die Welt losgelassen wurde.“
Mein Lehrkrankenhaus im PJ hatte eine Allgemeinchirurgie, eine Unfallchirurgie und eine Gefäßchirurgie/Kardiovaskularchirurgie. Mein Tertial wurde entsprechend gedrittelt und ich konnte diese tolle Erfahrungen machen und ehrlich gesagt möchte ich sie nicht missen. Hier berichte ich über meine Zeit in der Gefäßchirurgie.
Morgens bei meiner Vampirrunde reichten die Venen beim Blutabnehmen von Mikrofaser bis variköser D-Schlauch (Vorsicht: Thrombophlebitis). Der wahre Regenbogen zeigte sich jedoch erst bei der Farbe der Gliedmaßen. Oh welch Früchte der Herbst zeigte, mit seinen kirschroten Erysipelen, seinen zwetschgenfarbenen Gangränen und den kohlweißen AVKs. Ich selbst fügte meinen Beitrag hinzu mit den Hämatomen nach der Blutentnahme, die irgendwann zur Farbe des Grünkohls übergingen.
Rauchgeruch statt Herbstgeruch
Ich liebe den wundervollen Duft des Herbstes. Wenn man im September oder Oktober vor die Tür tritt, die Luft kalt ist und manche Haushalte bereits ihre Holzöfen angeschmissen haben. Der Rauch gibt dem ganzen dieses gemütliche Gefühl des Wetters, bei dem man am liebsten drinnen in einem warmen Pullover sitzt und ein Buch liest. Kam ich dann von draußen in die Patientenzimmer, schlug mir allerdings ein anderer Duft entgegen: Der Rauch dieser Zimmer war der kalte Rauch einer halben Schachtel Zigaretten, die sich zwischen Visite und Nachmittagsantibiose schon in Luft (bzw. Rauch) aufgelöst hatte. Ich ging mit einem der Ärzte ins Zimmer, um einen VAC-Wechsel durchzuführen. "Octenisept?", fragte ich, als wir alles benötigte im Lager zusammensuchten. "Nein, heute nicht.". Bei Eröffnung des alten VAC eröffnete sich die Geruchskulisse eines korsischen Käses. "Hmm, ich hole doch das Octenisept", sagte der Arzt.
Der VAC ist schon seit geraumer Zeit angebracht und bei der Hammerkombination Nikotinabusus, AVK, Diabetes Mellitus und Antikoagulation halten sich die Fortschritte pro Woche in Grenzen. Der DRG-Schlüssel >8 Tage nähert sich schon >21 Tage.
Die Operationen und Interventionen erfordern zur Befund- und Erfolgskontrolle selbstverständlich die Durchführung von intraoperativen Subtraktionsangiographien. Beim Bypass, der einige Stunden dauert, hatten wir also zusätzlich die Röntgenschürze gebucht. Man muss dazu aber auch sagen, dass so ein Bypass schon eine geile Operation ist und wir hier wieder die einfache Quintessenz haben: "Kanal zu oder weg zu lang? Wir schaufeln uns einfach einen kürzeren Weg!" Dass die Praxis natürlich dem Aneinandernähen zweier Regenwürmer ähnelt, nachdem man sie mühsam ausgegraben hat, ernüchtert einen intraoperativ dann doch sehr. Erst recht, wenn der Operateur aufgrund der Läsionsgefahr und dem Bedarf an Konzentration ziemlich unter Spannung steht und man als PJler AKA "Bio-Omnitract" um jeden Zentimeter fürchten muss, den der Haken durch Muskelermüdung abweicht. Endlich geschafft! Röntgenbild bewundern, zumachen und Fußpulse tasten. Sie schlagen, herrlich!
Bei Visite wurde man häufig am nächsten Tag direkt belohnt, denn der indifferente Patient saß meistens schon in Jacke im Rollstuhl, nur um sich nach der Visite zur Raucherecke herunterzurollen. Ja, die Arbeit dieser Chirurgen, dieser Handwerker wurde richtig gewürdig: "Das Rohr ist doch wieder offen. Da kann ich ja weitermachen.", "Ich kam sonst auch gut zurecht, was soll ich jetzt mit diesem ASS oder Metformin?", oder "Jetzt ist der Fuß ja ab, jetzt macht es auch keinen Unterschied mehr." waren wahre Ausdrücke der Wertschätzung. Die richtige Belohnung konnten wir uns dann bei der Bypass-Revision abholen.
Ja, die Menschen sind mündig und treffen ihre Entscheidungen, das müssen wir respektieren und selbstverständlich sind wir verpflichtet ihnen zu helfen. Eine wichtige Lektion, die ich aus dieser Zeit lernte: Mache die Probleme deiner Patienten nicht zu deinen eigenen Problemen. Die Anzahl an Hasstiraden meinerseits zu dieser Zeit hätte mich schon fast in eine kardiovaskuläre Risikogruppe rutschen lassen können.
Zum Schluss noch ein netter Witz: Ein Gefäßchirurg trifft einen Unfallchirurgen und sagt: "Du operierst heute schon wieder eine Radiusfraktur? Hast du es nicht satt immer wieder die gleiche Operation durchzuführen?" Der Unfallchirurg schaut unbeeindruckt und fragt: "Hast du nicht gestern Herrn Müller operiert? Hast du es nicht satt, ihn in ein paar Wochen schon wieder zu operieren?"