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  • 28.01.2015

Jahr 6: Morgenerwachen

Die PJler-Arbeit auf Station ist hart. Manchmal hat der PJler sogar das Gefühl zu träumen ...

... ich bin immer noch müde. Wo sind die Zeiten geblieben, in denen man als Oberstufler bis 2 Uhr in die Nacht Spiele gezockt, Serien geguckt oder Bücher gelesen hat und am nächsten Morgen um 7.40 Uhr mit klarem Kopf in seinen Leistungsfächern saß. Die erscheinen jedenfalls gerade länger als nur sechs Jahre her zu sein. Mir fällt es schwer, aber der Fön meiner Freundin, die gerade aus der Dusche kommt, lässt mich in Rekordzeit in die Vertikale schnellen. Ich nenne ihn liebevoll auch den „Fön des Todes“, er bringt stolze und hörbare 2 Kilowatt an den Tag. Der Sympathikus ist aktiv: fight or flight! Mit erhobenen Fäusten stelle ich mich dem brüllenden Monstrum entgegen, meine Wangen schlackern und mein wallendes 9mm langes Haar weht im Orkan. Ich entscheide mich dann doch zu fliehen, auf dem Ergometer würde ich diese Schlacht schließlich verlieren.

Im Bad dann der nächste Schreck, der nächste Adrenalinschub und die typisch männliche Frage: Könnte ich es mit dem Typen vor mir aufnehmen? Ach nein, es ist ja nur mein Spiegelbild ...
Das kalte klare Nass im Gesicht sorgt für Ernüchterung und ein letztes Mal für die nächsten acht Stunden ziehe ich mir einen anständigen Kaffee zu Hause. Meine Freundin, mein Mitbewohner Greg und ich ziehen los zur Klinik von St. Verde.

„Jeder Gang macht schlank“ sagt mir mein Gewissen in den letzten Wochen immer, also nehme stets die Treppe. Dass ich bis vor einem Jahr noch geraucht habe und immer noch ein paar Extrakilos auf den Rippen trage, macht sich bemerkbar. Vom ersten Untergeschoss bis ins 4. Obergeschoss traf ich einst Reinhold Messner, der diese steile Expedition auch für sich entdeckt hatte und sich an meiner Seite ohne Sauerstoffflasche hochkämpfte. „Lass mich zurück, alleine kannst du es schaffen!“ rufe ich ihm im 2. Obergeschoss zu und ein ganz verwunderter bärtiger Oberarzt schaut mich an Reinholds Stelle erschrocken an. Seltsam, diese Tagträume immer ... Ich schmunzele und komme leicht außer Atem im 4. Stock an.

Blutentnahmen und Braunülen sind als erstes angesagt. Ich lege immer zuerst die Braunülen, da sie mich meistens etwas mehr Zeit kosten und die Patienten, die Sse benötigen, oft schon früh für ihre Eingriffe abgerufen werden. Normalerweise gestaltet sich das recht simpel: Koronarangiographien bekommen die Braunüle in den linken Arm, TEE und Dobutaminstressechos in den rechten. Eines morgens erwartet mich aber tatsächlich ein Patient, für den erst ein Stressecho geplant ist und am Nachmittag eine Coro. Ich frage sicherheitshalber nach, ob es so etwas wie eine Priorität gibt, nach der vielleicht auch ein intravenöser Zugang reicht. Nein, Hausregel ist Hausregel, es wird doppelt gestochen, diese Akkupunktursession könnten wir vielleicht in der Abrechnung geltend machen.

Ich lächle über diese Aussage und muss an meine Zeit auf der Neonatologie denken, in der die Kinder ihre Zugänge am Kopf hatten und aussahen, als ob sie kleine Radioantennen mit sich trugen. Was dieser Patient wohl alles empfing und vielleicht sogar weitersendete? Ob nun neben der Akkupunktur auch Biofrequenzstromtherapie möglich wäre? Ob wir die auch abrechnen könnten? Ob das lustig aussähe, wenn man aus einem Arm ganz viel Blut abnehmen würde und in den anderen transfundieren würde? Eigenbluttherapie, wieder so etwas naturheilkundliches! Allerdings ist die Naturheilkunde dann doch lieber ein Buch, das ich vorerst nicht öffnen möchte. Vor allem, wenn in diesem Buch die Wortkombination „Kolon-Hydrotherapie“ mitsamt Bildbeilage vorkommt.

Ich fahre mit meinen Blutentnahmen fort, geistere über die Station. Steche manche Patienten, die hinterher sagen: „Ach, das hat man ja gar nicht gespürt!“. Haha, ich bin also ein Moskito, nur ohne das lästige Jucken hinterher. Das Summen kann durchaus mal vorkommen, wenn mir ein verdammtes Lied mal nicht aus dem Kopf geht. Oder ich bin ein Vampir, denn manchmal glitzere ich auch wie diese komischen Exemplare aus einer Bücherreihe, deren Name ich nicht in den Mund nehmen möchte. Denn manchmal sind es die Patienten, die mir den Schweiß auf die Stirn treiben, wenn sie selbst absolut immobil sind, ihre Venen aber rollen, springen und wenden, dass es Turnvater Jahn nur so die Tränen in die Augen treiben würde. Aber manchmal ist es auch mein verdammter Kittel, der mich fertig macht.

Ich habe ja den Verdacht, dass die Medizin in St. Verde eine ganz lange Tradition hat, die bis in karge kalte Tage zurückgeht, als das Krankenhaus noch eine Ansammlung von hölzernen Unterständen war, die in den Bergen von St. Verde dem Schnee trotzten. Und in dieser Zeit trugen die Schamanen, Baderchirurgen oder Ärzte schon diese weißen Kittel, die ich heute trage, die aus irgendeinem wachsigen Yakfell gefertigt wurden. Warum ich auf solche Ideen komme? Diese Kittel isolieren so hart, dass man sie zum Skifahren anziehen könnte! Mir stehen selbst in klimatisierten Räumen auf Intensivstation die Schweißperlen auf der Stirn, ganz zu schweigen von einer meiner Expeditionen in den 4. Stock. Jetzt werden sich vielleicht einige von euch fragen: „Warum macht er den Kittel nicht einfach auf?“ Haha, gewitzt, aber der Gedanke ist nicht ganz zu Ende gedacht, denn ich habe beim Stechen von Braunülen und Butterflies zwei wichtige Naturgesetze kennengelernt:
1. Eine Vene im Vorfeld für ihre Größe, ihr Aussehen oder ihre gute Tastbarkeit zu loben, bedeutet automatisch, dass dir der Stich nicht gelingen wird.
2. Stechen funktioniert fast immer mit geschlossenem Kittel. Nur oberster und unterster Knopf dürfen offen sein.

Da sie sich in meinem Klinikalltag anwenden und immer wieder reproduzieren lassen, werde ich diese zwei Naturgesetze eines Tages beweisen. Ebenso wie ich meinen Körper nach meinem Tod der Wissenschaft zur Verfügung stellen werde und ein sehr glücklicher Doktorand als Erstbeschreiber des Gaster Accessorius Dulcis, also des bei mir definitiv angelegten zweiten Magens für Süßes nach dem Essen, in die Geschichte eingehen werde.

Essen ist ein gutes Stichwort, also schleiche ich mich am Ende meiner Aufgaben davon, wenn noch Zeit bis zur morgendlichen Röntgenbesprechung übrig ist und gönne mir in der Cafeteria ein kleines Frühstückshäppchen. Aus dem Automaten ziehe ich mir einen Kaffee. Im oberen Bereich des Automaten versucht mir ein mit Kaffeepulver gefüllter Glasbehälter vorzugaukeln, dass der Kaffee tatsächlich frisch gebrüht ist. Da sich selbst nach dem fünften Kunden am Automaten das Pulver keinen Zentimeter rührt, nehme ich ihm das nicht so ganz ab. Das ist aber immer noch besser als der Automat auf Station, bei dem auf Knopfdruck ein Strahl dunkler Flüssigkeit herauskommt, gefolgt von einem längeren Strahl heißem Wassers. Aber er ist so eigentlich ganz lecker, trinkbar und immerhin ist er kostenlos.

Noch eine Banane und das Morgen-Starter-Kit ist komplett. Ich schmunzele und stelle mir vor, wie lustig es wäre, ein Diensttelefon zu haben, das wie eine Banane aussieht. Wie das nach außen scheinen mag, wenn mehrere Menschen morgens mit ernster Miene im Aufzug oder bei Visite stehen, ein Telefon klingelt, man eine Banane zückt und so Dinge sagt wie: „Machen Sie die Intubation schon mal bereit, ich bin gleich da.“ oder „Ziehen Sie bitte scho nmal einen Arterenol-Perfusor auf.“ In meinem Kopf spielt sich mein Abschied von meinen Co-PJlern nach meinem abgeschlossenem Examen ab, in dem ich mich heimlich morgens ins PJ-Zimmer schleiche, mehrere Bünde Bananen neben die Dosimeter der Studenten lege und mit einem Klinikumsbriefkopf einen Zettel anfertige mit der Aufschrift:
Neue Dienstanweisung – PJ-Studenten müssen von nun an stets erreichbar sein, um im Falle eines ManV das Klinikpersonal verstärken zu können; Anbei liegen die Ihnen zugewiesenen DECT-Telefone“
Mein Telefonwecker piepst und holt mich aus meinem Tagtraum. „8.25 Uhr, Röntgenbesprechung fängt gleich an“

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  • Skelett - Foto: imagesource

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