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  • 18.04.2017

Steinreich

Urologie war manchmal ein wenig wie Klempnerei: Es stank nach Urin und Stuhl und meistens legte man Röhrchen oder Schläuche und löste irgendwelche Verstopfungen.

„Urologen sind keine Ärzte“, sagte mein Chef regelmäßig, wenn er hier und da mal einen auskultatorischen Befund aus meinen Briefen herausstrich. Meistens interessierte ihn ein physiologischer Befund nicht, denn den Brief musste er schließlich lesen, um ihn korrigieren und freigeben zu können. Die Palette an gesunden Organsystemen, die man dann aufzuweisen hatte, machte den Brief nur länger. Zuerst machte mich sein Spruch sehr stutzig, aber er führte es noch weiter aus. „Wir stammen nicht von Hippokrates, wir stammen vom Steinschneider ab, dem Lithotomus.“

Im Eid des Hippokrates heißt es tatsächlich 'Ich werde den Stein nicht schneiden, sondern es die tun lassen, deren Beruf es ist.' Ihr seht also, schon Hippokrates wusste, wie man einen lästigen Patienten turft.
Damit waren früher eher die Blasensteine gemeint, die mittlerweile seltener geworden sind. Zur Steinentfernung gibt’s heute ziemlich schicke endoskopische Lithotripter, aber die kamen bei uns seltener zum Einsatz. Wir waren da eher auf der Sci-Fi-Schiene und benutzten Laser, pew-pew. Denn das täglich Brot des Urologen war unter anderem in den Mineralien zu finden, die der Körper schon in der Niere auszufällen vermochte: den Nieren- und Harnleitersteinen.


'Plötzliche kolikartige Flankenschmerzen', das war der typische Befund, den man in die Anamnese niederschrieb. 'Wanderung des Schmerzes von der Flanke zum Unterbauch und in Hoden/Labien', waren dann immer die Worte, die das ganze abzurunden vermochten. Bei diesen schmerzgeplagten Menschen legte ich immer rasch eine Flexüle, damit sie möglichst bald ihr Novalgin und Buscopan im System hatten. Auf den Kreatininwert oder die isolierte Mikrohämaturie musste ich meistens nicht warten, denn im Sono kam mir häufig das schwarze, gestaute Nierenbecken entgegen. Damit war die Indikation fest genug: Ab ins Low-Dose-CT.


Sobald das angemeldet war und ich noch auf die Freigabe der Radiologen wartete, konnte ich schonmal den Patienten darauf vorbereiten, was ihm jetzt drohte. Naja, das konnte ich zumindest tun, solange der Notarzt nicht etwas zu großzügig mit der Schmerztherapie gewesen war. Mit Ketanest und Dormicum war ein Patient hervorragend führbar, aber eben nicht mehr aufklärbar. Im Notfall spielte das aber nunmal auch keine Rolle.


Die erste Möglichkeit war, dass der Stein tief genug saß und klein genug war, so dass er selbst rausplumpsen konnte. Wenn er es einmal durch den Harnleiter geschafft hatte, dann war die Harnröhre so weit, als würde man eine Salami in den Hausflur werfen. Man sprach hierbei immer von „Saufen und Laufen“.
Die zweite Möglichkeit war die Einlage eines Double-J-Katheters (DJ), um den Urin am Harnleiterstein vorbeizuleiten und die Niere zu entstauen. Elektiv konnte man dann den Stein bergen, sobald sich der Harnleiter etwas abgekühlt hatte und das Risiko einer Verletzung oder Ruptur eingedämmt worden war.
So oder so, die Chancen standen gut, dass man sich danach nochmal wiedersehen würde. Wer einmal mit Steinen angefangen hatte, wurde häufig zum Wiederholungstäter.


Das CT war gefahren und ich schaute mir mit den Ärzten die Fifty Shades of Steine im Harnleiter des Patienten an. Zu diesem Zeitpunkt erkannte man, welch künstlerisches Talent in der Niere manch eines Patienten steckte: Steine in allen Formen und Dichten und Nierenbeckenausgusssteine, die ein Töpfer nicht besser hinbekommen hätte. Dieses Mal ist es ein satter Stau mit einem fetten proximalen Stein. Die DJs am Fluoroskop werden schon gewetzt.


Die Michael-Jackson-Milch aka Propofol fließt in die Vene des Patienten und wir beginnen unser Werk am Gemächt. Je nachdem wie viel so ein Patient sonst wegsteckte, tanzte er mal Samba auf dem Tisch oder träumte ohne Schmerzen. Urologie war manchmal ein wenig wie Klempnerei: Es stank nach Urin und Stuhl und meistens legte man Röhrchen oder Schläuche und löste irgendwelche Verstopfungen.
Mit dem DJ drin, konnte man dem wachen Patienten seine Erleichterung meistens ansehen. Das heißt, die Erleichterung bis zum ersten Toilettengang. Die DJs hatten nämlich die Eigenschaft, kein Ventil zu besitzen. Urin, der nun von der Blase rausgepresst wurde, wurde gleichzeitig nach oben in die Niere gepresst. Eine kleine Kolik sollte also stets als Gedächtnisstütze bleiben, dass da noch ein Fremdkörper in einem steckte.


Die Vorbereitung zur Ureterrenoskopie (URS) wurde dann am Folgetag getroffen. Der Ultraschall zeigte meistens, dass der DJ seinen Zweck erfüllte und die Niere entstaut war, und unter Novalgin und Buscopan wurden die meisten DJs auch gut vom Patienten toleriert.


Einen Monat später sah man sich dann wieder, in Vollnarkose kam die kleine praktische Kamera des URS-Gerätes zum Zuge. Die Schleimhäute von Urethra, Blase und Ureter wechselten sich auf dem Bildschirm ab. Man kam sich fast vor, wie in den Intro-Sequenzen der Filme „Die nackte Kanone“, in welchen das Polizeiauto mit dem Blaulicht durch die abstrusesten Szenarien fährt.
Mit dem Korb wurde er herausgezogen, der kleine Troublemaker aus Harnsäure. Da hatte man ihn nun in der Hand, die Größe einer Erbse oder Bohne. All der Aufwand und das Ding war nicht mal sowas wie ein Diamant oder Rubin. Der Patient konnte sich nun nicht mal Schmuck daraus basteln, Schade.
Als wir aus der OP herauskamen, hatte einer der Oberärzte gerade ein fertiges Konsil in der Hand. „Die Flanke war voll mit Pusteln. Das roch eher nach einem Zoster. Neurologie und Urologie werden zwar ähnlich geschrieben, aber die Ursache von Flankenschmerzen ist doch bei uns grundverschieden.“

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  • Skelett - Foto: imagesource

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