- Artikel
- |
- Beyza Saritas
- |
- 05.07.2021
MKG-Chirurgie: Ein Fach mit vielen Gesichtern
Bis zum Titel Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg*in ist es ein langer Weg. Im Interview erzählt Zahnärztin Shiwa von ihrem Doppelstudium und warum es die Anstrengung wert ist.
>Erzähl uns etwas von dir! Wer bist du? Was machst du aktuell?
Hi, mein Name ist Shiwa Kadir. Ich bin 26 Jahre alt, arbeite als Zahnärztin und studiere nebenbei Humanmedizin. Was ich aktuell mache? Lesen. Ich liebe das Lesen und widme mich aktuell den Weltklassikern. Es wäre ratsamer für meine nächste Klausur zu lernen, aber ich bin wohl unbelehrbar und raffe mich erst auf dem letzten Drücker auf, um zu Lernen (lacht).
>Was ist die MKG-Chirurgie? Was reizt dich daran?
Unter der MKG-Chirurgie versteht man den Fachbereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Es ist ein sehr breites und anspruchsvolles, aber gleichzeitig auch ein höchst interessantes und präzises Fachgebiet. Viele Leute kennen MKG-Chirurg*innen vielleicht vom Ziehen ihrer Weisheitszähne oder vom Setzen von Zahnimplantaten. Dies stellt aber nur einen sehr kleinen Teil des Tätigkeitsbereichs dar. Ausgehend von allen möglichen Operationen an den Zähnen, zieht sich das Fach auch in die Kieferregion, beispielsweise bei Umstellungsosteotomien im Rahmen kieferorthopädischer Behandlungen oder aber in die Gesichtsregion für die Frakturbehandlung nach einem Unfall. Auch die kleine und die große Tumorchirurgie umfasst die MKG-Chirurgie. Nicht selten entfernen MKG-Chirurg*innen Tumoren des Gesichtes und müssen diese mit Lappen, beispielsweise vom Unterarm oder vom Oberschenkel, rekonstruieren. Du siehst also, die MKG-Chirurgie ist ein so ausgedehntes Fachgebiet – das muss einfach reizen!
>Wie wird man MKG-Chirurg*in?
So schön das Fach auch ist, nicht jede(r) nimmt die Hürden des Doppelstudiums auf sich. Um in Deutschland als MKG-Chirurg*in arbeiten zu können, muss zuallererst eine Doppelapprobation vorliegen. Erst nach abgeschlossenem Studium der Zahn- und Humanmedizin und einer Facharztweiterbildung von fünf Jahren kann die Facharztprüfung abgelegt werden. Ein sehr langer, steiniger, aber auch lohnenswerter Weg.
>Hattest du keine Angst, das Ganze nicht schaffen zu können?
Doch, natürlich. Ich wage zu behaupten, dass jede Person hin und wieder Zweifel hegt und sich in einigen Dingen des Lebens unsicher ist. Aber ich bin gleichzeitig der festen Überzeugung, dass fast alles zu schaffen ist mit der nötigen Disziplin und Organisation. Bisher lief alles, Gott sei Dank, sehr gut.
>Du arbeitest Teilzeit als Zahnärztin. Wie schaffst du nebenbei noch ein Studium?
Genau. Wenige Monate nach Aufnahme des Zweitstudiums habe ich eine Stelle in einer Zahnarztpraxis bekommen, in der ich auch heute noch in Teilzeit arbeite. Zu Beginn war das alles organisatorisch etwas schwierig, aber irgendwann hatte ich den Dreh raus. Ich bin froh, nebenher arbeiten zu können, da ich mir dadurch natürlich auch das Zweitstudium finanzieren kann. Außerdem sammle ich wertvolle Berufserfahrung, die später in der MKG-Chirurgie gewiss nicht schaden kann. Ich muss aber auch zugeben, dass sich die letzten Semester bei mir aufgrund der Corona-Pandemie etwas entspannter dargestellt haben. Viele Veranstaltungen der Uni fanden und finden auch heute noch digital statt und Anwesenheiten wurden auf das Nötigste minimiert. Es gab Tage, da konnte ich entspannt aus der Praxis in meiner Mittagspause meine Veranstaltungen besuchen. Das hat mir einiges erleichtert. Dies wäre sonst natürlich nicht möglich gewesen.
>Ist es ratsam, zuerst mit dem Zahnmedizinstudium zu beginnen. und nach erfolgreichem Abschluss das Humanmedizinstudium aufzunehmen?
Ich glaube das kann man nicht so pauschal beantworten. Es hat beides Vor- und Nachteile. Aber würde ich die Zeit zurückdrehen können, würde ich mich darum bemühen, erst Humanmedizin zu studieren. In einigen Bundesländern ist es nämlich möglich, die Facharztweiterbildung schon nach Abschluss des Humanmedizinstudiums zu beginnen. Außerdem kann man sich als fertige(r) Ärztin/ Arzt im Studium der Zahnmedizin meist die Vorklinik komplett anrechnen lassen. Umgekehrt geht das leider nicht, da die Zahnmediziner*innen weniger Stoff haben als die Humanmediziner*innen.
>Wo kann man als MKG-Chirurg*in arbeiten, wie sieht es mit der Niederlassung aus?
Als MKG-Chirurg*in kann man natürlich in einer entsprechenden Klinik arbeiten. Ein großer Teil der Facharztweiterbildung muss auch in einer solchen erfolgen. Viele entschließen sich nach der Weiterbildungszeit, in einer Praxis weiterzuarbeiten oder sich niederzulassen. Das ist sehr gut machbar. Jedoch ist man in einer Praxis natürlich sehr eingeschränkt, was die Behandlungen angeht. Größere Eingriffe und damit einhergehende stationäre Behandlungen finden in den allermeisten mund- kiefer- und gesichtschirurgischen Praxen nicht statt. Nur wenige Praxen wollen sich diese Behandlungen erhalten und kooperieren mit benachbarten Kliniken unter Bereitstellung von Belegbetten. Die meisten MKG-Chirurg*innen konzentrieren sich in ihren Niederlassungen schließlich auf das lukrative Geschäft mit Zahnimplantaten. Ich finde das ziemlich schade, denn hierfür würde auch alleine das Studium der Zahnmedizin ausreichen.
>Gibt es viele Frauen in der MKG-Chirurgie? Ist der Fachbereich auch mit einer Familie vereinbar?
Eine Statistik der Bundesärztekammer aus dem Jahre 2020 zeigt, dass zum Zeitpunkt der Datenerfassung 1807 MKG-Chirurg*innen in Deutschland berufstätig waren. Darunter waren nur 260 Frauen. Das sind rund 14%. Der Großteil der MKG-chirurgisch tätigen Ärzte ist also männlich. Der Umstand macht es für Frauen in diesem Fachbereich nicht einfach. Das weibliche Geschlecht muss sich ohnehin schon in allen Berufen beweisen, in der Chirurgie, vor allem in der MKG-Chirurgie durch die Doppelbelastung durch die zwei sehr langen Studiengänge aber umso mehr. Davon lasse ich mich aber nicht entmutigen. Ganz im Gegenteil: ich möchte den Anteil der Frauen in der (MKG-) Chirurgie steigen sehen und bin froh, selbst einen Anteil hierzu leisten zu können. Während meiner Hospitationen in verschiedenen MKG-Kliniken habe ich bereits einige tolle und beispielhafte Powerfrauen kennengelernt. Und auch der neu gegründete Verein „ Die Chirurginnen e.V.“ beherbergt so viele wunderbare Chirurginnen, darunter auch einige MKG-Chirurginnen - von Assistenzärztinnen über Oberärztinnen bis hin zu Chefärztinnen, die sowohl den OP als auch das Familienleben unter einen Hut bekommen. Was man sich vornimmt, das schafft man auch. Aber: ohne Fleiß kein Preis!
Shiwa Kadir
Zahnärztin in Köln & Humanmedizinstudentin in Düsseldorf
shiwa.kadir@gmail.com
Pressespiegel
27.09.2024 - ThiemeWachsende Gefahr durch resistente Keime
24.09.2024 - FAZ OnlineFalschdiagnose durch Ärzte trifft fast jeden im Leben
16.09.2024 - Scinexx.deAchtsamkeit gegen Schmerzen: Mehr als nur Placebo