- Kommentar
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- Dr. med. Bernd Hontschik
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- 19.09.2016
Risiken und Nebenwirkungen
Medizinische Fehler sind laut einer Statistik in den USA die dritthäufigste Todesursache. Zeit, dass sich etwas ändert.
Im Mai 2016, also schon vor vier Monaten, wurde im angesehenen „British Medical Journal“ über eine US-amerikanische Untersuchung berichtet, die mich sofort elektrisierte. Ich war mir sicher, dass diese Untersuchungsergebnisse gewaltige Reaktionen hervorrufen würden, in medizinischen Fachblättern, aber
auch in der breiten Öffentlichkeit. Schon der Titel der Veröffentlichung verschlug mir die Sprache: „Fehler in der Medizin – die dritthäufigste Todesursache in den USA“. Ich wartete ab. Aber nichts folgte, gar nichts geschah, keine aufgeregten Sondersendungen, keine einzige Talkshow.
Was ist eigentlich eine Todesursache? Die Todesursachenstatistik entsteht durch die Auswertung der ärztlichen Eintragungen auf den Totenscheinen. Damit ist das erste Problem verbunden: Wenn man etwa durch eine Krebserkrankung so stark geschwächt ist, dass man stürzt, sich die Knochen bricht und operiert werden muss, kann man in Folge der Bettlägerigkeit an einer Lungenentzündung erkranken und sterben. Was ist in diesem Fall die Todesursache?
Das zweite Problem entsteht dadurch, dass die Definition von Todesursachen vom eigenen Standpunkt abhängt, also in keiner Weise objektiv ist. Wenn man Statistik aus der Sicht der Ernährungswissenschaft betreibt, dann ist es die Fettsucht, die auf Platz eins der Todesursachen stehen müsste. Die Folgeerkrankungen der extremen Übergewichtigkeit sind Herz-Kreislauf-Schäden, Stoffwechselstörungen oder sogar auch Krebs, heißt es. Wenn man streng katholisch ausgerichtete Veröffentlichungen zur Hand nimmt, dann wird als häufigste Todesursache und mit großem Abstand die Abtreibung an erster Stelle genannt. Wenn man die Kriminalstatistik und die Todesursachenstatistik zusammenführt, dann gehört – zumindest in den USA – der Mord zu den zehn häufigsten Todesursachen. Verkehrsunfälle sind die Ursache für Tausende von Toten jedes Jahr. Bei den Anschlägen auf die Twin Towers in New York vor 15 Jahren kamen etwa 3000 Menschen ums Leben. Danach mieden viele Menschen für eine gewisse Zeit das Flugzeug und reisten vermehrt mit dem Auto. Dadurch stieg in den USA die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle um etwa 1600. Todesursache Autounfall oder Todesursache Terrorangst?
Es ist mit den Statistiken über Todesursachen also viel komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Wenn man die wirklichen Ursachen beiseitelässt, so sind es Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Leber- und Lungenkrankheiten, Infektionen und Unfälle, die in unserem Land für etwa 80 Prozent aller Todesfälle verantwortlich gemacht werden können. Wenn man sich damit aber nicht zufriedengeben will und weiter forscht, dann tauchen plötzlich die medizinischen Fehler als Todesursachen an dritter Stelle auf, obwohl sie kein einziges Mal auf den ärztlichen Eintragungen der Totenscheine vermerkt worden sind.
Und da dieses erschütternde Ergebnis wissenschaftlich erwiesen ist, kann es niemand ernsthaft von der Hand weisen, dass sich in der Medizin dringend etwas ändern muss.
Dieser Artikel stammt aus der Frankfurter Rundschau. Copyright © 2015 Frankfurter Rundschau
Artikel URL: http://www.fr-online.de/panorama/risiken-und-nebenwirkungen,1472782,34772644.html
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