- Kommentar
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- Martin Angerer
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- 03.01.2023
Warum niemand Landarzt werden möchte
Fakt ist, dass Jahr für Jahr ausreichend Absolvent*innen die heimischen Medizin-Unis verlassen, um den Bedarf an Allgemeinmediziner*innen grundsätzlich zu decken. Warum gibt es trotzdem einen Mangel?
An der medizinischen Fakultät der JKU Linz gibt es einen neu geschaffenen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin. Studierende sollen so gezielt für diese Form der ärztlichen Grundversorgung begeistert werden. Ob der allgemeinen Berichterstattung zum Thema möchte man fast meinen, Medizinstudierenden würden schlichtweg auf diese Karriereoption vergessen. Ich kann der Bevölkerung, den Universitäten, der Ärztekammer und der Politik versichern: Mitnichten!
Während es stimmt, dass die Allgemeinmedizin in den Curriculua der heimischen medizinischen Universitäten durchaus mehr Beachtung erfahren könnte, begreife ich nicht, weshalb heimische Medien niemals die tatsächliche Ursache des sogenannten Hausärztemangel beleuchten, obwohl Medizinstudierende diese bereits seit Jahren und wiederholt als Missstand anprangern: Nämlich die komplett unattraktiven Bedingungen der Kassenverträge, die fähige und begeisterte jungen Mediziner*innen von vornherein daran hindern, diesen eigentlich attraktiven Berufsweg einzuschlagen.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ein Lehrstuhl und die zunehmende Verankerung der Allgemeinmedizin in den Medizincurricula dieses Landes ist auch aus Sicht der Studierenden wünschenswert und insgesamt sehr sinnvoll. Doch anzunehmen, dass damit das Problem des hausärztlichen Nachwuchsmangels (43 Kassenstellen sind aktuell allein in Oberösterreich unbesetzt) zu lösen sei, ist naiv und viel zu kurz gedacht.
In dieselbe Kerbe schlägt die jährlich zumindest einmal - meist zum Termin des Medizinaufnahmetestes - geforderte Aufstockung der Medizin-Studienplätze in Österreich. Fakt ist, dass Jahr für Jahr ausreichend Absolvent*innen die heimischen Medizin-Unis verlassen, um den Bedarf grundsätzlich zu decken.
Es gäbe genügend motivierte Kolleg*innen, die genau wie ich an der medizinischen Grundversorgung der Menschen mitwirken möchten. Immerhin bietet der Beruf des Hausarztes zahlreiche Vorteile: Selbständiges Arbeiten, die Möglichkeit der Spezialisierung im Rahmen eines breiten medizinischen Spektrums, die langfristige, sehr persönliche Betreuung von Patient*innen sowie ein Berufsleben außerhalb der Spitalsmauern.
Was hindert den medizinischen Nachwuchs also daran, sich als Hausärzte um die elementaren gesundheitlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern?
Vor allem: Unattraktive, knebelhafte Kassenverträge, die jungen Menschen, die vielleicht Familie gründen und sich eine Existenz aufbauen möchten, das Fürchten lehren. Aber auch mangelndes betriebswirtschaftliches und rechtliches Wissen, das es braucht, um den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen.
Ein konkretes Beispiel: fertig ausgebildete Juristen verlangen Stundensätze, die fast dem zehnfachen des Honorars für Kassenärzte pro gesehene Patient*innen entsprechen. Zudem ist die Anzahl an Patient*innen, die Pro Tag verrechnet werden dürfen, gedeckelt: Jeder Patientenkontakt darüber hinaus darf dann kostenlos erledigt werden. Dies kann der Bedeutung des Allgemeinmediziners für die Menschen, aber auch unser Gesundheitssystem und damit letztendlich den Steuerzahler nicht im Geringsten gerecht werden! Schließlich könnte und sollte ein funktionierendes Hausarztsystem eine Menge als Spitalspatient*innen abfedern und damit Kosten in Millionenhöhe einsparen.
Ich fordere daher die Ärztekammer, die als offizielle Standesvertretung empfindlich hohe Kammerbeiträge einfordert, endlich Stellung zu beziehen und aktiv zu werden! Doch auch die Medien müssen in die Pflicht genommen werden, endlich zum wahren Kern des Problems vorzudringen und die Öffentlichkeit nicht länger im Unklaren darüber zu lassen, warum der eigene Hausarzt einfach keine*n Nachfolger*in für seine Praxis findet: Es sind unfaire Bedingungen, die jeden halbwegs rational denkenden Absolventen in den sicheren Hafen der Facharztausbildung treibt, wo überdurchschnittlich hohe Gehälter und steile Karrieren locken. An dieser Stelle möchte ich aber auch festhalten: für die meisten von uns ist das Honorar zu keinem Zeitpunkt die eigentliche Triebfeder für Studien- und Berufswahl.
Die Politik muss ihrer ureigensten Aufgabe endlich nachkommen: Bedingungen schaffen, die es jungen Mediziner*innen schmackhaft macht, als Allgemeinmediziner*innen tätig zu werden – auf dem Land, aber auch in der Stadt. Ansonsten könnte das System der ärztlichen Grundversorgung in den nächsten Jahren implodieren – und damit enorme Kosten, aber auch persönliches Leid verursachen.
Autor Martin Angerer (30) steht vor dem Abschluss seines Medizinstudiums, das er begonnen hat, um Allgemeinmediziner am Land zu werden.
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