- Interview
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- Ines Elsenhans
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- 18.06.2015
Einsatz für Ausgestoßene
Die Gesundheitsversorgung in Westafrika ist katastrophal – Patienten mit Missbildungen, großen Fibromen, Syndaktylien oder Mund-Kiefer-Gaumenspalten leiden meist ihr Leben lang und werden an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Dr. Guido Köhler arbeitet einmal im Jahr auf einem Krankenhausschiff der Hilfsorganisation Mercy Ships, um Betroffene zu operieren und ihnen eine neue Lebenschance zu schenken.
Dr. Guido Köhler studierte Humanmedizin in Marburg, München und San Diego (USA). Er ist Facharzt fur Plastische und Ästhetische Chirurgie und engagiert sich bei der Hilfsorganisation Mercy Ships. Foto: Mercy Ships
> Herr Dr. Köhler, Sie sind Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie mit eigener Praxis. Zudem engagieren Sie sich bei der Hilfsorganisation Mercy Ships, die ein Krankenhausschiff betreibt. Wie kam es zu diesem Werdegang?
Die Entwicklungshilfe hat mich schon immer interessiert. Darum habe ich das Medizinstudium gleich genutzt, um Auslandserfahrungen zu sammeln. Ich war schon vor dem Physikum in verschiedenen Missionskrankenhäusern in Afrika und nach dem Physikum war ich einige Monate in Nepal in einem Leprakrankenhaus. Dort lernte ich einen kanadischen plastischen Chirurgen kennen, der mich mit seiner Arbeit sehr beeindruckt hat. Ich dachte nur: Wow, das ist die Krönung der Chirurgie. Das war dann die Zündung dafür, Plastischer Chirurg zu werden und mich bei einer Hilfsorganisation zu engagieren.
> Es gibt unzählige Hilfsorganisationen, für die Ärzte arbeiten können. Warum engagieren Sie sich bei Mercy Ships?
Ich habe am Anfang meiner Ausbildung einen Mentor gesucht, der ein christliches Lebensbild hat und Plastischer Chirurg ist. Auf der Suche habe ich von Tertius Venter gehört, ein Plastischer Chirurg, der in Südafrika eine Praxis betreibt und nebenbei auf dem Krankenhausschiff von Mercy Ships arbeitet. Ihm habe ich eine Mail geschrieben und dann haben wir uns 2002 im Hafen von Sierra Leone auf dem Schiff getroffen. Die Arbeit auf dem Schiff und das Leitbild von Mercy Ships haben mir so gut gefallen, dass ich seither regelmäßig dort operiere.
> Erzählen Sie uns mehr über die Organisation Mercy Ships.
Mercy Ships verfügt über das weltweit größte private Hospitalschiff, die Africa Mercy, mit einer ständigen Besatzung von über 400 ehrenamtlichen Mitarbeitern aus nahezu 40 Nationen. Ziel ist es, Gesundheitsversorgung auch für die Armen zugänglich zu machen. Das Schiff liegt immer mehrere Monate in einem Hafen und behandelt an Bord die Patienten. Finanziert wird es über Spenden, daher versuchen wir die Kosten so gering wie möglich zu halten. Wir werden von den Regierungen eingeladen und bezahlen somit keine Liegegebühr im Hafen. Da die Verwaltung sehr klein gehalten ist und die Mitarbeiter die An- und Abreise sowie die Unterkunft selbst bezahlen, geht der Großteil der Gelder in die Patientenversorgung.
> Wie erfahren die Patienten von dem Schiff?
Es gibt ein Advance Team von sechs Leuten, die die Ankunft des Schiffs vorbereiten. Sie gehen zu den Radiostationen, in die Kirchen und Gemeinden und kündigen uns und unser Behandlungsspektrum an. Ist das Schiff dann da, gibt es Screening Days an denen wir uns etwa fünf bis sechstausend Menschen anschauen um zu sehen, ob wir etwas für sie tun können. Dann wird das OP-Programm geplant und die Patienten bekommen einen festen Termin, an dem sie auf unser Schiff kommen. Es gibt zum Beispiel neun Wochen Plastische Chirurgie, dann einige Wochen Orthopädie, Gynäkologie, Augenchirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Die Fachrichtungen rotieren, da wir einfach zu wenig Patientenbetten haben. Z.B. heilen orthopädische Verletzungen langsam und auch Patienten mit einer Hauttransplantation oder einer Lappenplastik bleiben zehn bis vierzehn Tage auf Station. Daher sind Orthopäden und Plastische Chirurgen nie zur selben Zeit auf dem Schiff.
> Wie ist das Schiff ausgestattet?
Die Ausstattung ist prima, wir haben 6 OPs, 78 Betten, eine Intensivstation, super Instrumente und Material, alles was wir brauchen. Dazu gibt es Mikroskope, ein CT und ein Labor. Kommen wir mit einem Befund nicht weiter, können wir auch per Fernmedizin die Mikroskopiebilder an einen Histologen in Deutschland senden. Außerdem haben wir eine lebende Blutbank, die aus den Crewmembers besteht.
> Wie sieht Ihr Arbeitsalltag auf dem Schiff aus?
Wir sind ein Team aus etwa 20 Ärzten und operieren von Montag bis Freitag. Am Wochenende werden nur Notfälle behandelt und Visite gemacht, denn die Besatzung braucht auch mal Pause. Das liegt daran, dass wir lange Zeit vor Ort sind und das Personal über eine lange Zeit fit bleiben muss. Der Tag beginnt meist mit einer kleinen Andacht, danach machen wir Visite bei etwa 40 Patienten. Währenddessen werden die OPs vorbereitet. Anschließend wird operiert und dazwischen immer wieder nach den Patienten auf der Station geschaut. Dann wird Mittagspause gemacht und danach weiter operiert. Gegen fünf Uhr ist OP-Schluss und wir essen zu Abend. Anschließend werden die Patienten für den nächsten Tag angeschaut und die OPs geplant.
> Welche Patientenfälle versorgen Sie als Plastischer Chirurg besonders häufig?
Wir haben viele Kinder mit Verbrennungskontrakturen, wegen den vielen Feuerstellen, die in Afrika oft am Boden sind. Meist ist die Hand betroffen und durch die fehlende Versorgung bilden sich viele kontrakte Narben. Zudem gibt es viele angeborene Fehlbildungen, wie Syndaktylien. Diese sind dort auch nicht häufiger wie in Deutschland, doch hier werden sie meist gleich nach der Geburt versorgt und in Afrika eben nicht. Auch Fibrome, Neurofibrome und Tumoren wachsen dort unversorgt auf eine enorme Größe an. Unser Ziel ist es, die Form und Funktion von Gesicht, Händen und Füßen wieder herzustellen. Denn oft sind die Patienten von der Gesellschaft ausgestoßen und können aufgrund der Fehlstellungen nicht arbeiten.
> Gibt es Komplikationen, die besonders häufig sind?
Die Patienten haben ganz andere Hautkeime und eine ganz andere Hygiene wie wir zuhause. Es gibt ein spezielles Protokoll, wie die Patienten vor der OP gewaschen werden. Auch das sterile Abwaschen im OP wird extra fünf Mal durchgeführt. Da wir oft mit Infektionen zu kämpfen haben, wird der erste Verband von uns Chirurgen unter sterilen Bedingungen gemacht.
> Wie kann man sich für die Mercy Ships bewerben?
Die Bewerbung ist sehr aufwendig: Man sollte Facharzt sein und braucht ein Zeugnis von seinem Chef, seinem besten Freund, einem Pastor und ganz viele Nachweise über seine Qualifikation. Dazu sollte man Englisch sprechen können, denn das ist die Bordsprache. Eine tropenmedizinische Ausbildung ist von Vorteil, aber kein Muss.
> Gibt es auch eine Chance für Medizinstudenten im OP zu helfen?
Nein, leider nicht. Wir haben dafür einfach zu wenig Mitarbeiter-Betten. Wenn sie trotzdem auf dem Schiff schnuppern wollen, können sie sich aber in der Küche, der Sterilisation oder der Reinigung bewerben. Dann haben sie die Möglichkeit, mal mit in den OP zu kommen und zuzuschauen. Auch Assistenzärzte nehmen wir nur, wenn sie langfristig das Ziel verfolgen auf dem Schiff zu arbeiten.
> Was machen Sie in Ihrer Freizeit auf dem Schiff?
Es lebt sich eng und gut. Die Menschen auf dem Schiff sind total interessant. Da ist zum Beispiel der millionenschwere pensionierte Banker, der sich um die Kommunikation mit den Regierungen kümmert. Oder pensionierte Geschäftsführer von internationalen Firmen, die sich hier engagieren. Meist leben 2-8 Leute in einer Kajüte. Ich gehe regelmäßig Joggen und mache Fahrradtouren mit unseren schiffseigenen Fahrrädern. Es gibt viele Community Meetings, wir können Waisenheime besuchen oder Patienten für deren Zeit auf Station adoptieren, mit denen wir in unserer Freizeit z.B. malen oder spielen. Es gibt eine Bücherei, man kann sich DVDs ausleihen usw. Langweilig wird es hier nicht.
> Was war ihr schönster Moment auf dem Schiff?
Ich durfte einmal meine Mutter mitbringen. Sie ist eine sehr demütige Frau, die alles für ihre Kinder gemacht hat. Auf dem Schiff hat sie in der Küche gearbeitet und abgewaschen. Da wir Crewmitglieder auch mal mit in den OP nehmen dürfen, nahm ich sie mit als wir einem männlichen Patienten mit einer Schusswunde im Gesicht operierten. Das ganze linke Auge, die Orbita war zerstört, und ein Teil des Geschosses war auch noch drin. Der Mann lebte mit dieser chronischen Wunde seit Jahren und war stark entstellt. In der OP konnten wir mit ein bisschen Schädelkalotte und Rippenknorpel die Augenhöhle wieder herstellen und das Gesicht wieder ansehnlich machen. Meine Mutter war überwältigt von der Arbeit und dem Ergebnis, das hat mich sehr berührt.
Der Fernsehsender RTL hat Dr. Köhler bei seiner Arbeit begleitet.
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Alle Infos zur Organisation Mercy Ships Deutschland e.V. findest du hier
Spendenkonto:
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BIC: BYLA DE M1 KFB