• Bericht
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  • Jenny-Lou Navarra
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  • 13.06.2016

Pflegepraktikum in Rio do Sul

Jenny-Lou war nach dem Abi einen Monat lang für ein Praktikum in Brasilien. Hier berichtet sie über Unterschiede zum deutschen Gesundheitssystem, die Arbeit im Krankenhaus und warum sie sich bei Gastmutter Trude fast wie zuhause fühlte.

Motivation

Nach dem Abitur und vor meinem geplanten dreimonatigen Pflegepraktikum in Deutschland hatte ich noch ein wenig Zeit zur Verfügung. Schon länger reizte es mich, einmal eine ganz andere Seite der medizinischen Versorgung kennenzulernen und so konnte ich nebenbei auch noch ein fernes Land entdecken und kennenlernen.

Organisation

Auf die brasilianische Stadt Rio do Sul und das dortige Hospital wurde ich über einen Bekannten aufmerksam. Durch dessen privaten Kontakt zu einem Pastor und Mitarbeitern des lokalen Krankenhauses konnte mir eine kostenfreie Unterkunft bei einer Krankenpflegerin und ihrer Familie nahe dem Krankenhaus vermittelt werden.

Als Versicherung reichte für den geplanten Aufenthalt von vier Wochen eine Basis-Auslandsreiseversicherung für etwa zehn Euro pro Jahr. Ein Visum wird erst ab einem Aufenthalt von über 90 Tagen notwendig.

Anreise

Ich reiste per Flugzeug von Hamburg über Paris, Rio de Janeiro bis nach Florianopolis mit Air France an. Für Hin- und Rückreise zahlte ich jeweils ca. 800 Euro. In Florianopolis wurde ich mit dem Auto abgeholt, die Fahrt nach Rio do Sul dauerte von dort aus noch zwei Stunden.

Sprache

Die Amtssprache Brasiliens ist Portugiesisch. Um mich im Vorfeld sprachlich auf den Aufenthalt vorzubereiten und einigermaßen kommunizieren zu können, eignete ich mir mit einem Portugiesisch-Lehrbuch ein Grundvokabular und grammatikalisches Basiswissen an. Mit einem bunten Mix aus Englisch, Deutsch und portugiesischen Satzgefügen gelang die Verständigung ganz gut. Über meinen Bekannten aus Deutschland konnte ich Kontakt zu einer brasilianischen Deutsch- und auch einer Englischlehrerin vor Ort aufbauen, was die Kommunikation in der Freizeit außerhalb des Hospitals erheblich erleichterte.

Krankenhaus

Das Hospital Maternidade Samaria ist ein kleines Krankenhaus der Regelversorgung mit den Schwerpunkten Psychiatrie, Geriatrie und Plastische Chirurgie.

Meine Intention, eine andere Gesundheitsversorgung außerhalb Europas kennenzulernen, wurde erfüllt, weil sich doch erhebliche Unterschiede zu deutschen Krankenhäusern zeigten. In Deutschland wäre es undenkbar, mehr als vier Patienten in einem Zimmer unterzubringen, hier sind Belegungen im unteren zweistelligen Bereich die Regel. Die Ausstattung der Zimmer ist nicht zu vergleichen mit dem Standard-Komfort in europäischen Ländern (Bad im Zimmer, Klingel, Anschlüsse für medizinische Geräte, elektronisch verstellbare Betten, Fernseher, Radio...).

Das Pflegepraktikum

Meine wesentlichen Aufgaben bestanden in der Patientenversorgung: hauptsächlich bereitete ich Nahrung zu und reichte sie an, übernahm kleinere Aufgaben im Verwaltungsbereich und half bei der Pflege der Patienten. Meist arbeitete ich zusammen mit anderen Pflegenden. Außerdem betreute ich in der geriatrischen Versorgung eine Patientin, die aufgrund der Migration ihrer Vorfahren aus Deutschland sehr gut Deutsch konnte. Mit ihr unterhielt ich mich sehr oft. Darüber hinaus durfte ich an der Visite der psychiatrischen Station teilnehmen. Anders als bei meinen folgenden Pflegepraktika in deutschen Krankenhäusern war mein Aufgabenspektrum hier viel weniger apparatemedizinisch geprägt.

Die Atmosphäre im gesamten Team war sehr nett und entspannt. Wie in einem Pflegepraktikum üblich, hatte ich deutlich mehr Kontakt zu den Schwestern als zu den Ärzten. Neben mir gab es keine anderen Schüler oder Studenten im Hospital. Gemeinsame Kaffeepausen fanden im Aufenthaltsraum der Station statt. Eine spezielle Arbeitskleidung wurde nicht gestellt, die Pfleger trugen weiße Kasacks und Hosen.

Gesundheitssystem

Brasilien hat ein öffentliches, universelles Gesundheitssystem namens SUS (Sistema Único de Saude) für alle 200 Millionen Brasilianer. Das bedeutet, dass jeder Einwohner des Landes bei gesundheitlichen Problemen oder im Notfall Anspruch auf kostenlose medizinische Beratung und Hilfe hat. Problematisch sind die ineffektive Verwaltung, die schlechte Infrastruktur und der regionale Ärztemangel vor allem auf dem Land. Daneben fehlen oft Finanzierungsmöglichkeiten, sodass die Grundversorgung in Quantität und Qualität häufig zu kurz kommt. Nicht zuletzt stellt auch Korruption in Brasilien ein großes Problem dar.

Anders als in Deutschland besteht hier keine Pflicht, als Arbeitnehmer krankenversichert zu sein. Eine Privatversicherung mit Zugang zu Einrichtungen außerhalb des SUS können sich nur die Gutverdienenden leisten; demnach herrscht auch in Brasilien eine Zweiklassengesellschaft.

Gastfreundschaft

Meine Gastfamilie, bestehend aus meinen Gasteltern und deren beiden Kindern im Alter von 9 und 11 Jahren, war sehr zuvorkommend und freundlich. Meine Gastmutter konnte sogar ein wenig Deutsch. Ich hatte ein eigenes kleines Zimmer und konnte von meiner Unterkunft aus zu Fuß zum Krankenhaus laufen.
Auch viele andere Menschen, auf die ich während meiner Zeit in Brasilien traf, waren sehr gastfreundlich und offenherzig. Einige Male wurde ich zu Festen und sogar zu einer Hochzeitsfeier eingeladen.

Stadt und Land

Rio do Sul ist eine 60.000 Einwohner-Gemeinde im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina im Süden des Landes. Als Wahrzeichen gilt die römisch-katholische Kathedrale Sao Joao Batista. Innerhalb von zwei Stunden erreicht man die Atlantikküste mit dem Auto; eine Flugstunde von dort entfernt liegt Rio de Janeiro. Die Hauptstadt Brasiliens, Brasilia, liegt ca. 1500 km nördlich von Rio do Sul im Landesinneren.

Kuriositäten

Aufgrund der Tatsache, dass ich inmitten der (europäischen) Sommermonate nach Brasilien reiste, konnte ich mich im Vorfeld auf niedrige Temperaturen einstellen. Nicht gerechnet allerdings hatte ich mit Schnee, der eines Tages kam und so schnell wieder schmolz, wie er gefallen war.

Da Rio do Sul vormals Ziel zahlreicher Auswanderer aus deutschsprachigen Länder war, waren einige Namen der Mitarbeiter deutscher Herkunft mit traditionellem Klang, beispielsweise Clara, Ruth, Hilda und Edelgard. Auch mein achtjähriger Gastbruder, der selbst kein Wort Deutsch konnte, hieß Dieter; meine Gastmutter Trude.

In der nächstgrößeren Stadt nahe Rio do Sul, in Blumenau, gibt es neben Fachwerkhäusern auch ein regelmäßig stattfindendes Oktoberfest.

Fazit

Die Zeit in Rio do Sul und die Arbeit in einem brasilianischen Krankenhauses war eine lehrreiche Erfahrung. Ich habe viele freundliche und herzliche Menschen in einem tollen Land kennengelernt, dessen Gesundheitsversorgung indes Brasiliens Status als Schwellenland unterstreicht.

Adressen und Links

Anschrift des Hospitals:
Rio do Sul, SC, Brasilien
Rua Roberto Koch, 621
+55 47 3531-0100

Homepage des Hospitals:
http://hospitaleclinicas.com.br/cnes/2379627/hospital-samaria

Artikel aus dem Ärzteblatt zum brasilianischen Gesundheitssystem:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/160832

alle Bilder: ©Jenny-Lou Navarra

 

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