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  • Text und Fotos Jing Wu
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  • 09.12.2021

Mein Auslandsjahr in Hangzhou

Mein Auslandsjahr in China war für mich ein Abenteuer in der Heimat und eine Reise ins Bekannte und Fremde zugleich. Hier erzähle ich euch von meinen Eindrücken auf dem Campus, in der Klinik und mit den Menschen Chinas.

 

Foto: Sonnenuntergang am Westsee in Hangzhou

 

Motivation

Dass ich einen Teil meiner Studienzeit gerne in China verbringen würde, stand für mich schon lange fest. Ich habe chinesische Wurzeln, wollte mal wieder meine dortigen Verwandten sehen, mich mit dem Klinikalltag in China vertraut machen und meine Mandarinkenntnisse vertiefen. Da die Zhejiang University in Hangzhou und die TU München eine Partnerschaft im Fachbereich Medizin haben, bewarb ich mich um zwei Auslandssemester und saß ein knappes Jahr später im Flieger nach China. Update: Da mein Aufenthalt in China noch vor der Corona-Pandemie stattfand, hatte ich keine Probleme bei der Beantragung des Visums etc. Wie die aktuellen Bestimmungen vor Ort sind, kann man im TUMexchange-Büro erfragen.

 

Studium und Famulatur

In meinem Auslandsjahr belegte ich verschiedene medizinische Fächer auf Chinesisch und Englisch und absolvierte zudem eine Famulatur in der gynäkologischen Abteilung eines Lehrkrankenhauses. Der Start verlief trotz fließender Chinesischkenntnisse zugegebenermaßen etwas holprig, weil ich die erste medizinische Austauschstudentin überhaupt war und es viele bürokratische Hürden zu bewältigen galt. Während meiner Famulatur erfuhr ich so einiges über das chinesische Gesundheitssystem. Da das Konzept der niedergelassenen Ärzt*innen in China nicht verbreitet ist, gehen die dortigen Menschen bei Beschwerden oft direkt ins Krankenhaus, was in vollen Wartehallen und kurzen Konsultationen resultiert. Besonders ist mir die Sprechstunde einer Ärztin in Erinnerung geblieben, bei der die Gynäkologin wie am Fließband Anamnesen erhob, Untersuchungen durchführte und Medikamente verschrieb – und das alles in unter drei Minuten pro Patientin. Nach einiger Zeit durfte ich auch selbst Patientinnen untersuchen und bei Operationen assistieren. Die ÄrztInnen waren alle sehr freundlich und bemüht, mir etwas beizubringen.

 

Campusleben

Mit über zwei Millionen Quadratmetern schien mein Campus eine eigene kleine Stadt zu sein. Alles, was man zum Leben brauchte, fand man auf dem Unigelände – egal ob Supermarkt, Friseur, Post oder Fahrradreparaturladen. Das war natürlich praktisch, man lief aber auch Gefahr, sich am Anfang zu verlaufen.
Schnell fand ich Anschluss an die anderen Studierenden aus China und dem Rest der Welt. Wir besuchten nachmittags gemeinsam Tanzveranstaltungen, feuerten unsere Uni bei der chinesischen Hochschulbasketballmeisterschaft an, die an meinem Campus ausgetragen wurde, und nahmen selbst an Sportkursen teil. Damit die Studierenden fit bleiben, wird Sport an der Zhejiang Universität großgeschrieben. Jeder chinesische Student muss während seines Bachelors durchgehend einen Sportkurs wählen, der neben wöchentlichen Trainings auch Fitnesstests, eine theoretische Prüfung und regelmäßiges Joggen auf dem Campus beinhaltet. Letzteres wird mit der Sportapp der Uni kontrolliert.


Reis und Trank

Kulinarisch gesehen ist die Zhejiang Universität ein Traum. Direkt neben dem Wohnheim für internationale Studenten gibt es eine Mensa, die eher einem Restaurant als einer Kantine gleicht.

 

Foto: Essen in der chinesischen Mensa

 

Hier kann man sich verschiedene typisch chinesische Gerichte wie gebratene Aubergine, Kartoffelstreifen oder Tomaten mit Rührei und Reis bestellen. An den Nordeingang des Campus grenzt eine Food Street, wo man auch spätabends noch Milchtee und Gemüsewraps erhält. Als Vegetarierin musste ich jedoch etwas aufpassen, dass man mir nicht doch Fleisch unterjubelt. In China ist Vegetarismus noch nicht weit verbreitet. Oft wird dem Essen etwas Hack untergemischt, ohne dass es explizit deklariert wird. Einmal fragte ich an einem Straßenstand nach vegetarischen Angeboten und entschied mich für ein Fladenbrot mit Gemüse. Später stellte sich heraus, dass da doch Fleisch drin war. „Aber nur ganz wenig“, sagte die Verkäuferin. „Hast du eh nicht heraus geschmeckt, oder?“.

 

Land und Leute


China befindet sich mitten in einem enormen technologischen Aufschwung. Bargeld ist altmodisch geworden, heutzutage zahlen die Chinesen mit dem QR-Code einer App auf dem Handy, die mit der Bankkarte verbunden ist. Egal ob an der Supermarktkasse, im Restaurant oder im Waschsalon – mobile Payment ist die neue Geldbörse des digitalen Zeitalters. Selbst Straßenmusiker haben vor sich keine Mützen mit Münzen mehr ausliegen, sondern lediglich einen QR-Code, den es zu scannen gilt, um einen Geldbetrag zu spenden. Verrückte, neue Welt!
An den Wochenenden und in den Semesterferien habe ich die Zeit genutzt, um China zu entdecken. Das Reich der Mitte ist so vielfältig und bunt - je nachdem, ob man im Norden, Süden, Osten oder Westen des Landes ist, scheint man vier komplett unterschiedliche Länder zu erkunden. Mit dem Schnellzug ist man von Hangzhou aus in unter einer Stunde in Shanghai. Zudem war ich natürlich in Beijing auf der chinesischen Mauer, habe mir die Terrakotta-Armee in Xi’an angeschaut und die Eisskulpturen Harbins, einer Stadt im Norden Chinas, im Winter bewundert.

 

Foto: Ein Palast aus Eis - Winterurlaub in Harbin


Es ist schwierig, die Chinesen selbst zu beschreiben. Wie soll man 1,4 Milliarden Menschen auch in wenigen Attributen zusammenfassen? Das Land ist so groß wie ein ganzer Kontinent und die Menschen dort haben ganz unterschiedliche Bräuche und Gewohnheiten. Eine Sache ist mir jedoch besonders positiv aufgefallen: Chinesen sind extrem gastfreundlich. Oft wurde ich zum Essen eingeladen und habe die Herzlichkeit der dortigen Menschen bewundert.

 

Fazit

Mein Auslandsjahr in China war für mich ein Abenteuer in der Heimat und eine Reise ins Bekannte und Fremde zugleich. Ich bin unendlich dankbar für die Freundschaften, die entstanden sind und für die Erfahrungen, die ich machen durfte. Wenn ich an China zurückdenke, taucht vor meinen Augen ein Sammelsurium schöner Momente und Dinge auf: Der Sonnenaufgang auf dem Gipfel der Yellow Mountains. Die Karaoke-Abende mit Freunden. Spaziergänge über dem Campus. Das Wiedersehen mit meiner Oma. Wassermelonensaft. Die traditionelle chinesische Hochzeit einer Freundin. Die kandierten Weißdornfrüchte am Spieß, die genau so schmecken wie aus meiner Kindheit. Die Liste geht noch unendlich weiter und ich bin mir sicher, dass ich sie in Zukunft noch ergänzen werde – denn die nächste Chinareise ist bereits geplant.

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