- Bericht
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- Nadine Osterfeld
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- 30.07.2004
Famulatur im Tongji Krankenhaus
Nach der Zusage und einem geplanten (aber wegen SARS geplatzten) Aufenthalt im Sommer 2003, startete Nadine Mitte Februar 2004 ihre Famulatur in China.
Ein paar Zeilen vorweg
Obwohl China heute wirtschaftlich extrem aufstrebt und im Weltgeschehen permanent präsent ist, erscheint es vielen Leuten als ein schier unerreichbares und unerforschbares Land. Im Vordergrund für dieses Phänomen steht meines Erachtens die Tatsache, dass sich China lange Zeit von der Außenwelt abgeschottet hat, und man so sehr wenig über Land und Leute informiert ist. Zusätzlich ist da noch das nicht zu verachtende Problem der Sprachbarriere zu nennen, dass einen von einem kurzfristig geplanten Trip in den fernen Osten abhält.
Andererseits machen diese Punkte natürlich gerade den Reiz aus, sich in das Abenteuer „Land des Lächelns“ zu stürzen. Mich hatte die Anziehungskraft Asiens schon vor meiner Famulatur in China gepackt, als ich im Jahr 2000 Singapur, das „Asien für Anfänger“, und Malaysia besuchte und im folgenden Jahr zwei Wochen in Peking verbringen konnte. Diese beiden Reisen weckten mein tieferes Interesse für Asien und seine Geschichte, seine vielfältigen Kulturen und Religionen.
So habe ich nicht lange überlegt, als ich erfuhr, dass die Universität Wuhan die Partneruniversität der Uni Heidelberg ist, und zwischen diesen beiden Städten ein Studentenaustausch besteht.
Nach 29 Stunden endlich da
13. Februar 2004 - Es ist 21.50 Uhr als ich in Wuhan aus dem Flugzeug steige und von einer fast 29-stündigen Reise auf der einen Seite zwar hundemüde bin, auf der anderen Seite aufgrund unglaublicher Erwartungsspannung ziemlich überdreht. Irgendwas ist mit meiner Planung ziemlich in die Hose gegangen und so ist mein Trip (Düsseldorf – Frankfurt –Hongkong – Gangzhou - Wuhan) länger als erwartet geworden. Aber jetzt bin ich da, und unter der handvoll Chinesen, die mit mir aus dem Flugzeug steigen, die einzige meilenweit erkennbare Ausländerin.
Das kommt mir aber insofern zugute, als dass mich meine „Kontaktperson“ sofort erkennt, und ich mich erleichtert in diese fürsorglichen Hände übergebe. Frau Hong, vom International Exchange Office ist sehr nett, erklärt mir den vorgesehen Ablauf und bringt mich mit dem Auto zu unserer Unterkunft. Wir wohnen auf dem Campus der Uni im „Foreign Students Building“, jeweils zu zweit in einem Zimmer, welches auch über Toilette und Dusche verfügt. Dort erwartet mich schon Karsten aus meinem Semester in Heidelberg, der zufällig zur selben Zeit in Wuhan Famulatur macht.
Ich erfahre, dass sich noch 11 andere deutsche Studenten aus Berlin, Kiel, München, Heidelberg und Mannheim zu uns gesellen werden, unsere Famulatur am Montag um 8 Uhr losgeht, wir eigentlich in jeden Fachbereich gehen können, den wir uns wünschen, und dass wir zu einem von der Uni gesponserten Trip in die 3 Schluchten (san xia) eingeladen werden. Ein bisschen viel und noch mehr Information für mein zu dem Zeitpunkt aufnahmeschwaches Gehirn. Ich war froh, endlich angekommen zu sein und bin todmüde ins Bett gefallen.
Sonntags shoppen gehen
7. März 2004 - Heute ist Sonntag und wir wollen shoppen gehen. Es ist wirklich cool, dass man jeden Tag fast rund um die Uhr einkaufen gehen kann. Von 8.00 bis 22.00 wenn man Lust hat und genug Geld. Aber das ist hier kaum ein Problem, da man für 1 Euro zur Zeit fast 10 Yuen bekommt, was in China sehr viel Geld ist. So kann man beim Djauzi- Restaurant für 26 Yuen zu zweit ein absolut sättigendes Abendessen, inklusive Getränke, und einem kurzen holperigen, lustigen Chat auf Englisch mit der „Restaurantmanagerin“ bekommen.
Miriam (aus Mannheim), Karsten und ich brechen auf und gehen zu der nicht weit entfernten Bushaltestelle, wo wir mit dem Bus 603 in die Fußgängerzone Wuhans fahren wollen. Auf dem Weg bleibt Karsten noch kurz beim „Reispfannkuchenmann“ stehen, um sich einen derselbigen für 5 Jiao, ungefähr 5 Cent, als zweites Frühstück einzuverleiben. Die beiden lieben sich über alles: Karsten liebt die Pfannkuchen, und der Verkäufer Karsten und freut sich immer, wenn dieser mal wieder bei ihm einkauft, und er dann zum Abschied, das neu erlernte „Bye bye“ sagen kann. Wir sind bei einigen der Straßenverkäufer/innen inzwischen Stammkunden (Obststand, Fladenbrot und Bisquitkuchenverkäufer), grüßen uns gegenseitig munter auf der Straße und freuen uns beiderseits über einen Einkauf.
An der Bushaltestelle wartet wie immer ein Pulk Menschen, und wir müssen einige Zeit warten bis der knallblaue, ziemlich klapprige Bus kommt. Wir werfen unsere abgezählten 1,2 Yuan in den Fahrgeldkasten und quetschen uns in den Mittelgang. Sofort fährt der Bus mit einem Ruck an, und wir holpern über die Straße, die eigenmächtig von den chinesischen Fahrzeughaltern zu einer vierspurigen erklärt wird, einem Terrain, auf dem der Stärkere gewinnt, und Fußgänger immer das letzte, und manchmal platteste Glied der Kette sind. Der Busfahrer weiß sich aber zu behaupten, fährt zügig durch die Stadt und bremst nur im Notfall und in letzter Sekunde. Aber vieles im Leben ist eine Frage der Gewohnheit, und so kommen in dieser Stadt zwar häufiger als in Deutschland - aber seltener als ich es erwarten würde - Unfälle zustande.
Am Yangziufer, an dem wir so manchen Nachmittag und Abend im schön angelegten Park verbringen, steigen wir aus und begeben uns in die Fußgängerzone, um uns unseren Shoppinglaunen hinzugeben. Der arme Karsten muss so manches Mal draußen warten, ergibt sich aber der weiblichen Übermacht. Das einzige Problem, was für uns auftritt sind die Konfektionsgrößen. So gibt es Schuhe meistens höchstens bis Größe 39 und auch passende Hosen, die einen uns gefälligen Schnitt haben, sind uns oft einfach zu eng, obwohl wir im normalen Leben Größe 36-38 haben. Trotzdem lässt sich immer das ein oder andere finden, und auch Karsten vergnügt sich noch in der Welt der raubkopierten CD´S.
Am Abend gehen Miriam und ich dann noch zur Schneiderin, um uns Oberteile schneidern zu lassen. Wir sind mit Lexikon, Papier und Stift bewaffnet und begeben uns mutig in den Kampf des „sich-verständlich-machens“. Die Schneiderin ist anfangs etwas ängstlich sich mit uns Ausländern, die definitiv schlecht Chinesisch können, auseinanderzusetzen, aber bald fängt es an, auch ihr Spaß zu machen. Wir suchen Stoffe aus, malen Schnitte, lassen uns von ihr ausmessen und handeln zum Schluss erbarmungslos um den Preis. Am Ende sind dann aber beide Seiten zufrieden, wir haben eine nette Bekanntschaft mehr in Wuhan und 5 Tage später sehr schöne chinesische Oberteile in der Hand.
Ein Famulaturalltag in der Dermatologie
24. März 2004 - 7.10 Uhr und der Wecker klingelt. Verschlafen drücke ich den nervigen Alarm aus, an den ich mich wohl mein ganzes Leben nicht gewöhnen werde. Im Bett nebenan dreht Karsten sich noch einmal auf die andere Seite. Von draußen dringt schon die „Aufwachmusik“, wie ich sie nenne, durch das geöffnete Fenster, und erstes Fußgetrappel der zahlreichen Studenten auf dem Weg zur oder von der Mensa, oder auf dem Rückweg von der morgendlichen sportlichen Betätigung.
Unser Zimmer geht auf die Durchgangsstraße des Campus raus, und so bekommen wir eine Menge vom Campusleben mit:
- 6.00 Beginn des Taichi, wo auch einige unserer Deutschen teilnehmen, ab dieser Uhrzeit morgendliches Joggen einzelner oder ganzer Gruppen zur körperlichen Ertüchtigung.
- 7.00: Nationalhymne mit Hissen der Flagge, danach „Aufwachmusik“ mit oft westlichen Titeln.
Karsten kommt mittlerweile aus dem Bad und erklärt, dass er sich in der Mensa ein herzhaftes Frühstück holen geht, z.B. bestehend aus einem „Burger“, einem Teigfladen mit Fleischfüllung, und einem Bauze, ebenfalls Teig mit Fleischfüllung, aber eher im Dampfnudelstyle. Ich halte mich lieber an unser Alternativfrühstück aus süßem Joghurt mit Banane oder frischer Ananas.
Um kurz vor acht brechen wir zur Famulatur auf. Wir sind in der dermatologischen Ambulanz. Hier ist die Sprachbarriere nicht ganz so hinderlich, weil es erstens immer, bzw. meistens, etwas zu sehen gibt, und unser Professor auch gut Deutsch kann, da er 2 Jahre in Deutschland gearbeitet hat. Die dermatologische Ambulanz ist wirklich spannend und sehr abwechslungsreich.
Es gibt viele STD (sexual transmitted diseases), meist Condylomata accuminata, sehr viel Lupus erythematodes, aber auch verschiedene Pilzerkrankungen, Psoriarsis, Akne etc., und sogar ein M. Behcet kommt uns während unserer Famulaturzeit unter. Hier dabei zu sein weckt extrem mein Interesse an Dermatologie, und es macht Spaß nachzulesen und beim nächsten Mal eine Blickdiagnose stellen zu können. Es sind auch immer mehrere chinesische Studenten, bzw. Aspiranten anwesend (mind. 3), die oft ein bisschen bis gut Englisch sprechen und mit denen man sich in Flauten nett unterhalten kann.
Wir erfahren etwas über das chinesische Studiensystem (Aufnahmeprüfung, ca. 4 Jahre Studium und im letzen Jahr Rotation im zwei Wochen Terminus durch die verschiedenen Fächer, dann noch 2 Monate Praktikum auf einer Wahlstation, Abschlussprüfung mit der man den „Bachelor“ erhält, danach Möglichkeit einer meist 3 Jahre dauernden Doktorarbeit im Labor oder Arbeit als Aspirant im Krankenhaus...es gibt aber auch die Möglichkeit zum Magistertitel... Alles etwas undurchschaubar, aber das wäre unser System auch, wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Fremdling in Deutschland wäre.
Die chinesischen Studenten erzählen uns sehr viel über ihr Land an sich, über das Arm-Reichgefälle zwischen Stadt und Land und dass es keine Krankenversicherung gibt. Man muss alles selbst bezahlen, so dass viele Patienten gar nicht erst ins Krankenhaus kommen (können). Wir erfahren, dass der Yangzi-Staudamm zur Energieerzeugung unbedingt notwendig ist, obgleich den Chinesen deswegen das Herz blutet. Wir bekommen Tipps, wo man unbedingt hinfahren sollte (Drei Schluchten, Huang Shan, Guilin, Wudang Shan, Beijing) und welche Spezialitäten man unbedingt gegessen haben sollte (allen voran Djauzi, eine Art chinesischer Maultaschen mit unterschiedlichen Füllungen).
Die Famulaturzeit geht immer von 8.00 bis 11.30. Dann gehen wir entweder in die Mensa zum Mittagessen, oder essen etwas auf der Strasse. Heute gehen wir auf der Straße essen, zum „Nudelmann“, wie wir ihn nennen, und der die Nudeln ganz frisch zubereitet. Der Inhaber begrüsst uns mit einem freundlichen „Hello“ und fragt „liang-ge? bu rou?“ (zwei mal, ohne Fleisch?) und wir nicken grinsend, dass er schon so genau unsere Wünsche kennt.
Während wir warten schaue ich zu, wie die Nudeln gemacht werden. Einer der Mitarbeiter schlägt erst den Teig ein paar mal auf eine Tischplatte, die vorne in dem Imbiss steht, zieht ihn um eine Armspanne auseinander, um den Strang dann in der Mitte zusammenzuklappen, wodurch nun zwei Stränge entstanden sind, die er wiederum auseinander zieht, um beim nächsten Zusammenklappen 4 zu erhalten. So geht das eine ganze Weile, bis dünne Nudeln entstanden sind, die dann in heißem Wasser gegart werden, und nach ungefähr fünf Minuten bekommen wir unser Mittagessen in einer scharf gewürzten Brühe serviert.
Nach dem Mittag gehen wir noch zu einer kleinen Siesta ins Zimmer, um um 14.30 ausgeruht zurück ins Krankenhaus zu tigern, wo wir noch bis ungefähr fünf Uhr bleiben werden.
Ein Famulaturalltag in der Geburtshilfestation
27. April 2004 - 7.55 Uhr, echt mal wieder sehr knapp heute morgen. Seit mein Zimmerkumpane und die anderen Deutschen nicht mehr da sind, klappt es bei mir auch mit der Pünktlichkeit nicht mehr so gut. Ich rase hinüber zur „Obstetric ward“, der Geburtshilfestation des Tongji.
Zum Glück stehen Ärzte, Schwestern und Studenten noch im Stationszimmer, und die Visite hat noch nicht begonnen. Doch schon kurze Zeit später setzt sich die Gruppe in Bewegung, und der Professor, die ungefähr 4 Ärzte, die hier auf dem Weg zum Facharzt sind, und mindestens 10 Studenten strömen in das erste Krankenzimmer. Nach kurzem Suchen habe ich in dem Trupp Anna ausfindig gemacht, eine chinesische Aspirantin im Obstetric Ward, die neben ihrem Studium auch am Deutschunterricht teilnimmt, und fast fließend Deutsch kann. Sie ist hier mein Fels in der Brandung und übersetzt mir geduldig die wichtigsten Sachen, die der Professor über die Patientinnen erzählt.
Hier im Tongji treffen sich, wie wohl in jeder Uniklinik, die komplizierten Fälle. So liegt hier eine Frau, die in der 32. Woche schwanger mit Zwillingen ist, von denen der eine jedoch schon seit einigen Wochen tot ist. Außerdem liegen hier mehrere Frauen, die sich künstlich befruchten haben lassen, oder solche mit Extrauterinschwangerschaften, kurz vor oder nach der Operation zur Entfernung der Frucht.
Der Pulk an Menschen in weißen Kitteln wandert so von Bett zu Bett, und das Zimmer ist mit 8 Betten, einigen Säuglingen in ihren Bettchen, zahlreichen Angehörigen oder Betreuern und Schwestern ziemlich überfüllt. Der Professor heute hat ziemliche Lust zu reden und spickt seine Berichte mit Erlebnissen aus seiner Studienzeit und seinem Krankenhausalltag. So dauert die Visite heute fast 2 Stunden, bis wir die ca. 35 Patientinnen besucht haben. Dann gehen alle ins Arztzimmer, um Berichte zu schreiben (was hier meistens von den Studenten gemacht wird), und ich bilde mich in meinem Gynäkologiebuch weiter. Oft können die Vormittage etwas lang werden, da es meist nicht so viel zu tun oder zu sehen gibt, aber da es nicht nur mir so geht, sondern auch den chinesischen Studenten, vertreiben wir uns die Zeit mit „völkerverständigenden Gesprächen“.
Kaiserschnitt und wieder ein Junge...
Nach der Mittagspause gibt es heute einen Kaiserschnitt. Dies ist hier auf der Geburtshilfestation die am häufigsten bis ausschließlich vorkommende Form der Geburt. Ich habe außerdem Glück, dass der Kaiserschnitt nachmittags stattfindet. Denn morgens kann es manchmal vorkommen, dass man aufgrund zu vieler Leute im Op, Kleider- oder Schuhmangel nicht mitdarf bzw. kann. Am Nachmittag ist es dafür ruhiger, und die Operation verläuft ohne viele Zwischenfälle.
Was mir persönlich nur auffällt, sind die zahlreichen Studenten die sich um den Op-Tisch scharen, wo in Deutschland Operateur, Schwestern und andere Op-Angestellte schon längst einen Nervenzusammenbruch erlitten hätten.
Das Baby ist - man muss leider sagen mal wieder - ein Junge. Diese Tradition ist in China noch sehr verbreitet, wie mir Anna auch bestätigt. Da die Familien nur noch ein Kind haben dürfen, möchten die meisten am liebsten einen Jungen, was sie meistens auch schaffen. Denn wie Anna erzählt, dürfen die Ärzte heute beim Ultraschall des Embryos den Eltern nicht mehr sagen, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist, um Abtreibungen eines Kindes mit einem unerwünschten Geschlecht zu vermeiden. Trotzdem sind die Überzahl der Kinder, die ich im Krankenhaus gesehen habe, Jungen gewesen. Jungen können die Familie angeblich besser unterstützen, können mehr arbeiten und der Familie „mehr Ehre“ bringen, so die weitläufige chinesische Meinung. Der Grund dafür, dass die Eltern es trotzdem schaffen einen Jungen zu bekommen, könnten die zahlreichen „selbstständigen Unternehmer“ mit mobilem Ultraschallgerät sein.
Der Weg nach Hause, Fazit, Infos
Lest hier im zweiten Teil weiter...