- Bericht
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- Johanna Reiser
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- 19.12.2012
Famulatur im rechtsmedizinischen Institut
Ob beim "Tatort" oder bei "CSI Miami", in den meisten Krimiserien spielen Rechtsmediziner eine wichtige Rolle. Doch im wahren Leben werden sie oft schräg angeschaut. Ob die Leute in den Obduktionssälen wirklich so skurril sind und ob sich eine Famulatur dort lohnt, hat Johanna für euch ermittelt.
Zugegeben, ich musste auch erst einmal nachschauen, ob man die Zeit im Obduktionssaal überhaupt als Famulatur angerechnet bekommen kann. Tatsächlich ist es erst seit einigen Jahren wieder möglich einen Monat dort als Wahlfamulatur beim Landesprüfungsamt geltend zu machen. Obligatorisch ist die schriftliche Bestätigung von Seiten des Instituts, "dass die klinisch-rechtsmedizinischen Untersuchungen an lebenden Personen einen wesentlichen Anteil an der Tätigkeit des Famulus darstellen" (Regelung für Baden-Württemberg).
Für mich waren damit alle Zweifel ausgeräumt, denn auch ohne ganz konkrete Idee vom Alltag im rechtsmedizinischen Institut -ich hatte den Schein im Ausland gemacht-, war ich angetan von der Vorstellung noch mal präparieren zu dürfen. Schon den Anatomiekurs hatte ich ein zweites Mal als HiWi absolviert. Was von anderen öfter als etwas spleenig-krude Abneigung gegen die Lebenden tituliert wird, ist eine Faszination für den menschlichen Körper in seiner ganzen Sicht- und Greifbarkeit.
Die Ankunft im Obduktionssaal – der Kreislauf kommt später
Was meine eigene fleischliche Hülle allerdings keinesfalls daran hinderte montagmorgens um acht Uhr beim Betreten der Obduktionssäle dringlich nach der Horizontalen zu streben. Auf die vollständige Funktionswiederaufnahme meines Kreislaufs wartend blieb mir nur die Möglichkeit, mich im Sitzen als Famulantin vorzustellen. Tröstlich war einzig die Erfahrung, dass es mir auch im Präpsaal, im OP und in andern nichtigen Umständen aufgrund von orthostatisch suboptimalen Bedingungen oft nicht gelungen ist, inizial souveräne Kompetenz zu vermitteln. Da die Unbedarftheit aber sowieso nie ein Geheimnis bleibt, beziehungsweise ja auch ein gewisses Anrecht des Lernenden darstellt, versuche ich immerhin souverän-gelassen blass zu werden ...
Die schnelle Gewöhung bezüglich des Kreislaufs überraschte mich also nicht, die bezüglich des Tagesgeschehens wohl. Es ist nicht alltäglich und völlig normal, sich jeden Tag über unter den verschiedensten Umständen verstorbene Menschen und ihr Innerstes zu beugen. Aber das wird es – und zwar innerhalb kürzester Zeit. Die ersten Abende dachte ich, Unvergessliches gerochen, getastet und gesehen zu haben. Dann rutscht der Fokus weg von den ungewöhnlichen Umständen und das Handwerkliche, das Fachliche und das Teamtechnische tritt in den Vordergrund. Als Teilnehmer an einem Arbeitsprozess ist eine gerichtliche Obduktion keine so befremdliche Veranstaltung, wie sie dem unvorbereiteten Zuschauer erscheint.
Der spannende Arbeitsalltag – Umgang mit Toten und Lebenden
Abwechslung besteht aber nicht nur aufgrund der Einzigartigkeit eines jeden Falls. Untersuchungen an den Lebenden, die in Unfälle und Straftaten verwickelt wurden, gehören auch zum Aufgabenfeld des Gerichtsmediziners. Es geht vor allem um die Dokumentation von Spuren, die eventuell juristische Bedeutung erlangen könnten und Beiträge zur kriminaltechnischen Rekonstruktion von Tathergängen. So findet sich der Arzt auch nicht selten als Sachverständiger im Gerichtssaal wieder, schreibt Gutachten und wird bei speziellen Fragestellungen konsultiert.
Letztlich sind es aber die Obduktionen, welche das Kerngeschäft des Rechtsmediziners bilden. Und das ruft nicht selten Verwunderung oder Ablehnung hervor. Ob ich denn nicht besser täte, die Heilungsmöglichkeiten Kranker zu erlernen, statt mich mit nun definitiv keiner medizinischen Hilfe mehr Bedüftigen zu befassen? Das ist die freundliche Variante der Irritationsbekundung meines sozialen Umfelds, deutlicher ist: Sind das nicht alles Freaks, die da arbeiten? Ein Jurastudent wandte sich während der Vorlesungsobduktion an die medizinische Präparationsassistentin mit der kruden Frage, ob es für ihre Bewerbung von Vorteil gewesen wäre, vorher als Metzgerin gearbeitet zu haben.
Sterben und Tod wird nach wie vor wenig als ärztliches Aufgabenfeld wahrgenommen. Dabei "heilt" auch die Rechtsmedizin: Sie heilt Angehörige oder Unfallbeteiligte von Zweifeln ob der Todesumstände und der Identität der Leiche und behandelnde Ärzte von Schuldzuweisungen.
Prävention ist ein weiteres den Lebenden dienendes Resultat der Autopsien: wo Einer an einer Kohlenmonoxidvergiftung starb, können auch noch leicht weitere zu Schaden kommen. Stoßstangen und LKW-Fronten wurden nach Ergebnissen der Rechtsmedizin modifiziert um die Fußgängersicherheit zu erhöhen. (Notfall)Medizinische Maßnahmen können auf ihre Resultate hin überprüft werden. Und natürlich werden Täter identifiziert und gerichtlich Strafen und Behandlungen zugeführt.
Letztlich sind aber auch bei den Obduktionen die Toten oft schweigsam: Manchmal bleibt offen, warum genau dieser Mensch zu diesem Zeitpunkt starb. Wenn auch die Zusammenarbeit mit Polizei, behandelnden Ärzten und Zeugen unergiebig bleibt so werden die Verstorbenen dem Bestatter übergeben mit dem Hinweis, dass es auf Fremdverschulden keine Hinweise gibt und diese oder jene Todesursache nur angenommen werden kann.
Obduktionen in Deutschland
Von Seiten der rechtsmedizinischen Institute wird beklagt, dass in Deutschland viel zu wenig obduziert werde. Generell gelangt ein Toter "auf den Tisch", wenn der die Todesbescheinigung ausfüllende Arzt einen nicht-natürlichen oder einen unklaren Todesumstand ankreuzt. Dann wird automatisch die Polizei hinzugezogen und ein Richter muss entscheiden, ob eine Obduktion vorgenommen werden soll. Dagegen können sich dann die Angehörigen nicht wehren. Nicht selten um diese zu schonen unterschreiben deshalb viele zum Verstorbenen gerufene Ärzte eine natürliche Todesursache -ohne sich dieser sicher sein zu können. Wer will denn auch unterstellen, dass dem 83-jährigen, jahrelang zu Hause gepflegten Großvater vielleicht ein verzweifelter Angehöriger ein Kissen auf das Gesicht gedrückt hat? Die Dunkelziffer an nicht aufgeklärten -weil gar nicht als solchen erkannten- Todesfällen durch Fremdeinwirkung ist somit sicher hoch. Auch, weil die Vorstellungen vom Ablauf einer Autopsie unklar bis falsch sind. Wenn mehr Angehörige und Ärzte wüssten, dass beispielsweise eine Aufbahrung im offenen Sarg nach einer Obduktion problemlos möglich ist, wäre die Hemmschwelle ein wenig niedriger. Tatsächlich ist es sehr befriedigend zu sehen, dass die meisten vor allem gewaltsam verstorbenen Toten nach der Autopsie wesentlich "würdiger" aussehen als vorher.
Mein Fazit
In den vier Wochen habe ich mehr als 70 Obduktionen gesehen und durfte viel selbst machen: schneiden, Organpakete en bloc herausnehmen, diese sezieren, Schädel aufsägen und zunähen. Auch menschlich vereinsamt man keinesfalls. Im Saal ist manchmal viel los: neben dem Obduktionsteam sind oft Polizisten, Kriminaltechniker, Ingeneure, Biologen, Studenten und Polizeischüler anwesend.
Filme und Serien vermitteln definitiv keinen besonders realistischen Eindruck dieses Arbeitsplatzes, aber richtig ist sicher, dass eine Famulatur in der Gerichtsmedizin eine großartige und bereichernde Erfahrung ist.