• Bericht
  • |
  • Y.Y.
  • |
  • 10.11.2017

Famulatur in der Lungenpraxis Alstertal

Nicht immer verläuft eine Famulatur wie in der Wunschvorstellung. Die Erwartungen der Autorin, die unverhofft in einer Lungenpraxis landete, wurden jedoch mehr als übertroffen. Warum, erfährst du hier.

© mopic - Fotolia.com


Bewerbung/Motivation

Ich war auf der Suche nach einem Praktikumsplatz bei einem Hausarzt, bei dem ich die allgemeinärztliche Pflichtfamulatur absolvieren konnte und hatte mich bei mehreren Ärzten beworben. Unter anderem hatte ich auch eine andere Art von Praxis angeschrieben - unter der missverständlichen Annahme, diese sei eine allgemeinärztliche Praxis. Die pneumologische Praxis von Herrn Dr. Rüdiger Bock erlangte schließlich meine gesamte Aufmerksamkeit und so verbrachte ich dort einen Monat als Famulantin.

Die entscheidende Quelle für mein Interesse an der Praxis, deren Wert - der selbst nach Absolvieren der Famulatur - nicht oft genug betont werden kann, war die Antwort von Herrn Dr. Bock auf meine Bewerbung. Aus der ging für mich eindeutig hervor, dass ich dort wirklich viel lernen könnte. Es wurden zahlreiche Aufgaben vorgestellt, die auf mich zukommen würden und meine Neugier war spontan erweckt. Die Liste beinhaltete unter anderem Themen wie „Lungenfunktion mit Bodyplethysmographie und Diffusionsmessung, Allergologie mit Hyposensibilisierung, Thorax-Röntgendiagnostik nativ und CT, Schlafmedizin mit Polygraphie, pneumologische Arbeitsmedizin, Blutgasdiagnostik, EKG und Ergospirometrie” etc.

Was mich aber ebenfalls an Pneumologie sehr anzog, war das in gewissen Sinne „mysteriöse” an dem Fach. Die Pneumologie erschien mir wie ein Schwamm: An der Uni werden große Themenbereiche dazu behandelt, also schon eher eine „Masse”, dennoch gibt es immer wieder „Lücken/Löcher“ im Stoff… Nirgendwo wird genau erklärt, wie man eine Bodyplethysmographie analysiert, die Physik dahinter beigebracht, oft wird bei den Thoraxuntersuchungen und in den Prüfungen der Schwerpunkt nur auf das Herz gelegt.

Warum realisiert man nicht, dass die Lunge soviel mitschwingt, wie das Herz schlägt und dass von den zehn weltweit am häufigsten zum Tode führenden Krankheiten fünf pneumologisch sind und somit mehr Menschen an Lungenkrankheiten versterben als an Herzerkrankungen? Über die Lunge gibt es so viel zu erfahren!

Famulatur

Arbeitsbeginn war zwischen 7:30 und 8 Uhr, fertig war ich an langen Tagen gegen 18 Uhr und an kurzen Tagen gegen 13 Uhr, je nach Öffnungszeiten der Praxis. Die Praxisklientel weist ein großes Spektrum auf, vom 5-jährigen Kind mit Asthma bis zum Greis mit Bronchialkarzinom. Die meiste Zeit des Praktikums verbrachte ich im Behandlungszimmer bei Herrn Dr. Bock, wo ich die Krankheitsgeschichte des Patienten, von Anamnese bis hin zur Medikation, mit erfahren konnte und den Patienten direkt untersuchte, sprich Abhören, Abklopfen, Tasten etc. üben konnte.

Hier wurde ich z.B. auf besondere Atemgeräusche hingewiesen, die vom „Rascheln der Blätter im Wind” abweichen - dem normalen Atemgeräusch, wie Herr Dr. Bock es mir erklärte. An jedem Patienten wurde die Lungenfunktion analysiert, geschaut, warum eine Obstruktion vorliegt, warum eine Restriktion, was eine Graphik bedeutet, die an einen Golfschläger erinnert. Immer wieder dachte ich, wie vielfältig die Pneumologie ist. Sie ist nicht nur Medizin, sie ist Physik, Technik, Kunst, nahezu Philosophie.

Während der gesamten Zeit der Famulatur führte ich ein Tagebuch über alles Neue und Wissenswerte, das mir erklärt wurde, sowie über Dinge, die ich persönlich empfunden hatte. Was für eine unendlich bedauerliche Sache wäre es geworden, hätte ich all diese wichtigen Dinge nicht schriftlich festgehalten? So wertvoll war all das Gelernte, die Erlebnisse, die Bekanntschaften mit den Patienten, dass ich alles immer wieder verinnerlichen wollte.

Herr Dr. Bock betonte immer wieder, dass ich das Meiste aus meiner Zeit machen und mitnehmen sollte, was eine große Motivation für mich war. Ich versuchte also, die Abläufe in der Praxis zu durchschauen, indem ich auch regelmäßig die Untersuchungsräume aufsuchte. In diesen fanden jeden Tag diverse Tests statt, die von den medizinischen Fachangestellten durchgeführt wurden, wie Spirometrie, Bodyplethysmographie, Allergietests, BGA, Ultraschall, Röntgen, Sauerstoffgabe… Mittels der Ergebnisse wurden  beim Arzt die Diagnosen gestellt, entsprechende Medikamente verordnet, Patientengespräche geführt.

Ich hatte eine gute Mischung aus Einblick in die Routine erfahrener Pneumologen und in den „technischen Alltag” der Lungenpraxis. Außerdem durfte ich an allen Besprechungen teilnehmen. Mir wurde viel Raum gegeben, selbst zu entscheiden, welche Dinge ich mir noch näher anschauen möchte. So konnte ich auch häufig in Ruhe Zeichnungen von Geräten anfertigen, Funktionsweisen notieren und in der Praxis ausgehängte Plakate deuten.

Das Zusehen bei all den praktischen Untersuchungen half mir sehr, das Zustandekommen der Ergebnisse von allerlei Tests zu verstehen, und das selbstständige Probieren etwa des Lungenfunktionstestes (allein das Sitzen in der Lungenfunktionskammer) machte das Praktikum viel interessanter und eindrucksreicher. Interessant war auch die Raucherentwöhnungstherapie - COPD- sowie Asthma-Schulungen finden in regelmäßigen Abständen statt, ich konnte daran ebenfalls teilnehmen. Hier konnte ich die Krankheiten aus einem anderen Blickwinkel betrachten und mich ein bisschen in die Lage der Patienten hineinfühlen.

Es gibt noch einen Bereich, der in den letzten Jahrzehnten stark in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, den ich in diesem Praktikum näher kennengelernt habe: Die Schlafapnoe und die dazu gehörende Diagnostik und Behandlungsmethoden. Diese zu sehen war für mich besonders anschaulich, da ich kurz vor der Famulatur eine Dokumentation dazu im Fernsehen gesehen hatte.

Kurz vor der Mittagspause gab es täglich eine Röntgenbesprechung mit Herrn Dr. Bock und den anderen beiden Ärztinnen, Frau Dr. Rozeh und Frau Dr. Meyer-Aumiller, die auch in der Praxis arbeiten, bei der intensiv besprochen und erklärt wurde, was die Bilder bedeuten und wie man das Gesehene benennt. So habe ich noch eine Art Zusatzkurs „Radiologie“ während meiner Famulatur erhalten. Herr Dr. Bock hat in der Runde mehrere Vorträge gehalten, vor allem zu dem wichtigen Thema „Tuberkulose“, aus denen ich Vieles mitgenommen habe. Es war schön, in der „medizinischen Runde zu viert“ dabei sein zu dürfen, da fachlich sehr intensiv diskutiert wurde, um alle Fehldiagnosen auszuschließen.

Ich persönlich fand es gut, dass in der Praxis drei unterschiedliche Ärzte arbeiten. Denn so konnte ich nicht nur bei Herrn Dr. Bock, sondern auch in regelmäßigen Abständen abwechselnd bei der einen und anderen Person dabei sein und so drei unterschiedliche „Stile im Umgang mit Patienten“ kennenlernen.

Jeden Tag war ich gerührt, wie sehr sich nicht nur Herr Dr. Bock, sondern auch die anderen beiden Ärztinnen Mühe gaben, mir wichtige Dinge und Tricks beizubringen. Wenn Herr Dr. Bock der absolute Fachmann für den „universellen Unterricht“ war, dessen Fokus auf so gut wie allem lag, was die Lunge betraf, war Frau Dr. Rozeh für mich die „internationale Ärztin“, die neben ihrer Aufgabe als Ärztin auch als Dolmetscherin fungierte. Sie konnte auf vier Sprachen Patienten behandeln, wobei sie mein Beisein nie außer Acht ließ, indem sie mir gegenüber auch in den am meisten beschäftigten Stunden des Tages alle entscheidenden Stichpunkte für die jeweiligen Diagnosen und Medikation nannte und dabei noch stets die Röntgenbilder hinzuzog, um in meinem Wissen keine Lücken übrig zu lassen. 

Fleißig geübt habe ich mit ihr unter anderem die Interpretation der Lungenfunktion. Selbst kurz vor dem Eintritt des nächsten Patienten vergaß Frau Dr. Rozeh nicht, mir nochmal zu sagen, was der entscheidende Faktor für die letzte Diagnose gewesen war, um sicherzustellen, dass ich das Diagnoseschema durchschaut hatte.

Frau Dr. Meyer-Aumiller war - nicht zuletzt für mich - nicht nur „eine der Lehrenden“ in der Praxis, sondern „die Krankenhausvertretung“. Sie hatte bis kurz vor ihrer Anstellung in der Praxis lange Zeit auf der Notaufnahme in der Klinik gearbeitet, weshalb ich sie als Ansprechperson ansah, wenn es um Fragen rund um das Klinikleben ging. Denn bei der Famulatur geht es nicht nur darum, das Fachliche zu lernen, sondern auch um „die“ Gelegenheit, Antworten auf schon immer bestehende „studentische“ Fragen zu bekommen. Mich interessierten z.B. die Arbeitsverhältnisse in der Klinik und in Praxen, die Weiterbildungsmöglichkeiten als Arzt, Prüfungen, alternative Arbeitsmöglichkeiten nach dem Studium und vieles mehr.

Außerdem legte Frau Dr. Meyer-Aumiller besonderen Wert darauf, dass ich bei jedem Patienten ohne Ausnahme „parallel zu ihr oder auch mal über Kreuz“ mein Stethoskop auf den Patiententhorax legte, um mir zu verdeutlichen, was für Atemgeräusche es alles gibt und wie wichtig es ist, dass man zusammen abhört. Und immer wieder ließ ich mich - während des konzentrierten gemeinsamen Abhörens - durch das plötzliche Klopfen der Ärztin auf eine bestimmte Stelle des Patiententhorax überraschen. Dies bedeutete für mich genau den Zeitpunkt eine „Anfangsdiagnose“ zu stellen.

Zusätzlich zu diesem umfangreichen Unterricht durch alle meine drei Mentoren habe ich von Herrn Dr. Bock öfters Broschüren, Zeitschriften und Lehrbücher zu unterschiedlichen Themen zum Lesen erhalten, was meine Zeit nach Schluss der Arbeit bereicherte. Das Arztzimmer von Herrn Dr. Bock kommt mir nun mehr wie eine medizinische Bibliothek vor als ein reiner Behandlungsraum. Dieses Gefühl wurde durch den 1:1 Unterricht, der häufig am Ende des Tages nach der Arbeit stattfand, gestärkt, in dem ich den Ärzten alle medizinischen Fragen stellen durfte, die mich schon immer gejuckt hatten - auch solche, die nicht unbedingt mit der Lunge zu tun hatten.

Besonders beeindruckende Krankheitsbilder waren für mich neben denen der „alltäglichen” Asthma/COPD-Patienten die Geschichten einiger Tuberkulose-Patienten, bei denen beeindruckende Röntgenaufnahmen zu sehen waren oder die auf die übliche Vierfach-Therapie nicht ansprachen. Dann musste man „besorgter” auf die weitere verlängerte Behandlung schauen.

Zum ersten Mal sah ich im Praktikum eine 39-jährige Patientin mit beidseitiger Lungentransplantation vor mir, von der man auf den ersten Blick nicht gedacht hätte, dass sie ein schweres Lungenemphysem hinter sich hatte und aufgrund einer sehr begrenzten Lebenserwartung von unter sechs Jahren eine Transplantation erhalten hat. Als sie dann davon sprach, bald wieder arbeiten zu gehen, war ich zum einen begeistert, weil man nochmals daran erinnert wurde, wie viel die moderne Medizin heute erreichen kann. Zum anderen gab es mir Anlass, darüber nachzudenken, wie sehr man seine eigene Gesundheit schätzen und dass man doch als gesunder Mensch ein fleißiges Leben führen sollte, wenn man alle Kräfte dafür zur Verfügung hat.

Fazit

Eine Kette aus Zufällen ist Schicksal geworden. Hätte ich vor dieser Famulatur jemals gedacht, dass ich solche Gefühle für die Lunge entwickeln würde? Zumal ich ursprünglich nicht die Idee hatte, eine Famulatur in einer pneumologischen Praxis zu machen. Ich wusste nicht einmal, wo es eine Lungenpraxis in meiner Heimatstadt Hamburg gibt. Während des Praktikums habe ich mich selbst jedesmal mit einem Lächeln wiedergefunden, wenn ich mit dem Stift mit dem kleinen Bild der „beiden Lungen” etwas in mein Heft notiert habe.

In der Praxis habe ich so viele nette Menschen kennengelernt, die sehr hilfsbereit waren und immer bemüht, mir etwas beizubringen. Hier bekam ich die seltene Chance, von einem erfahrenen Lungenarzt einen „direkten Unterricht” zu erhalten, fast wie eine nicht kaufbare „medizinische Nachhilfe”, die mir auch sehr viel Grundwissen verschafft hat. Unterstützt wurde das Ganze selbstverständlich auch durch meine Anwesenheit bei den anderen beiden Ärztinnen, bei denen ich großes Wissen über die Lunge und andere Aspekte im Leben erlangt habe. Nun habe ich schon drei Lebensmentoren!

Meine Famulatur in der Lungenpraxis stand „in begrifflichem Sinne sogar im Widerspruch zu ihrer eigentlichen lateinischen Bedeutung als FamulantIn=Gehilfe: Denn ganz im Gegenteil zu den teilweise enttäuschenden Erfahrungen, die viele Studenten häufig während ihrer Famulatur machen - nämlich dass sie im Verhältnis zu ihrer Einsatzzeit nur wenig „Fachliches“ aus der Famulatur lernen - konnte ich bei den Pneumologen tatsächlich viel mitnehmen - für die Uni und fürs Leben.

Dafür bin ich der gesamten Praxis sehr dankbar und man kann von Glück sprechen, dass ich sie durch Zufall kennengelernt habe. Und da ich sehr viel Spaß an der Famulatur gehabt habe und ich diese Zeit nicht nur als Famulaturzeit, sondern auch als eine überaus sinnvolle Phase für mein Leben empfunden habe, kann ich nur sagen, dass ich durch die gesamte Famulatur hinweg „die Zeit geatmet“ habe - ohne zu merken, wie schnell denn doch das Praktikum vorüberging.

Das Praktikum glich einem großen Geschenkpaket. Der Unterricht zur Lunge war dagegen „nur oberflächlich“, während ich die Famulatur mit allen fünf Sinnesmodalitäten erleben durfte. Man sieht so viele unterschiedliche Patienten und Krankheitsbilder, hört das Rascheln, Rasseln, Knistern, Brummen, Giemen der Lungen, „fühlt“ durch das Abklopfen mit den Fingern, riecht den Tabakrauch aus den Unterlagen, die einige COPD-Patienten mitbringen und schmeckt, nicht zuletzt, das Vergnügen an dem Spaß im gemeinsamen Arbeitsalltag mit netten Menschen.

Somit kann ich sehr guten Gewissens allen Medizinstudenten - nicht nur denen, die besonderes Interesse an der Lunge oder der Inneren Medizin haben - eine Famulatur in der Pneumologie empfehlen, unabhängig davon, welchen Weg sie später einschlagen werden! (Eine kleine Notiz: Für Studenten des UKEs oder mit Hauptwohnsitz in Hamburg gibt es sogar eine Vergütung in Höhe von 150 Euro/Monat von der KVHH als Taschengeld, Voraussetzung: EU-Staatsbürger).

 

Schlagworte
Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen