• Bericht
  • |
  • Text und Bilder Luisa Biermann
  • |
  • 04.05.2018

Famulatur am Kymenlaasko Keskussairaala

Warum eine Zimtschnecke dafür verantwortlich ist, dass Luisa eine Famulatur in Finnland gemacht hat und was sie im finnischen Klinikalltag erlebt hat, erzählt sie im Bericht.

Die Idee – Ajatus

Die Idee einer Auslandsfamulatur kam mir, als ich irgendwann genüsslich an einer Zimtschnecke knabberte. ‚Made in Finland‘ stand auf der Packung der Zimtschnecken und so fand ich mein Wunschziel. Dieser recht spontane Gedanke entwickelte sich in meinem Kopf weiter und aus einem anfänglichen Hirngespinst wurde ein Plan. Natürlich habe ich mich letztendlich nicht wegen der leckeren Zimtschnecken für Finnland entschieden, sondern weil ich neugierig auf ein anderes Gesundheitswesen war und ich nur Gutes über Skandinavien gehört hatte, aber noch nie selbst dort gewesen war.

Die Formalitäten - Muodollisuudet

Keine Angst vor den Formalitäten: Alles konnte problemlos per E-Mail erledigt werden! Außer einer Immatrikulationsbescheinigung und einem Lebenslauf wurden keine weiteren Dokumente gefordert. Mich hat es besonders überrascht, dass mir die Chefärztin sofort gemailt hat, um mir alle möglichen Informationen zu geben und meine Fragen zu beantworten. Ein Visum ist nicht erforderlich. Eine Auslandskrankenversicherung habe ich über die ApoBank abgeschlossen und eine Haftpflichtversicherung über den Marburger Bund. Das ist für Studenten in einigen Bundesländern kostenlos.

 

 

Die Lokation - Paikka

Es stand also fest, dass ich im März nach Finnland reisen würde. Via Direktflug nach Helsinki plus Fernbus erreichte ich nach etwa acht Stunden meinen Zielort Kotka direkt am Meer. Davon war allerdings nicht viel zu sehen, es war komplett vereist und eingeschneit, man konnte zum Teil sogar auf dem Meer langlaufen.
Wer seine Famulatur im Winter in Finnland absolvieren möchte, sollte mehrere Lagen Skikleidung nicht vergessen. Die Schneemassen waren gewaltig. Trotzdem würde ich jedem Student raten im Winter zu gehen, weil das kalte Klima zum Charme des Landes gehört. Es hatte einmal sogar – 22 Grad Celsius. Ich wohnte für 350€ pro Monat im Wohnheim des Klinikums. Es war zwar etwas alt, aber nah am Klinikum. Bei diesen Temperaturen war das wirklich von Vorteil. Nach finnischer Tradition gab es hier sogar eine Sauna , aber dafür KEIN WLAN. Im Nachhinein muss ich jedoch zugeben, dass es schön sein kann, beim Schneefall vor den Fenstern einfach mal in Ruhe ein Buch zu lesen.

Die Sprache – Kieli

Finnisch zu lernen ist gefühlt unmöglich und schon gar nicht machbar in fünf Wochen. Es ist eine der schwersten Sprachen, klingt fließend gesprochen aber sehr melodisch. In der Schrift fallen besonders die vielen „ää“ „oo“ und weitere Doppellaute auf, die für Ausländer so befremdlich wirken. Zu meinem Glück kann in Finnland aber so gut wie jeder Englisch. Vor allem unter der Ärzteschaft waren die Kenntnisse fast auf dem Niveau eines Muttersprachlers, da viele Studenten während Studienzeit ins Ausland gehen und die Finnen aus dem Fernsehen Englisch gewohnt sind. Nach einem Patientenkontakt wurde mir auf Englisch immer genau erklärt, welche Befunde erhoben worden sind und wie die weitere Diagnostik abläuft. Leider wurden die Patientengespräche nie auf Englisch durchgeführt.

Der Einsatzbereich - Sovellusalue

Das Krankenhaus war etwas kleiner als eine deutsche Universitätsklinik aber mit allen Abteilungen ausgerüstet und hieß Kymenlaasko Keskussairaala. Keine Sorge, nach einer Woche intensivem Aussprachetraining geht’s irgendwann flüssiger über die Lippen. Übersetzt bedeutet es einfach „Zentralkrankenhaus“. Der Einzugsbereich des Hauses erstreckt sich ungefähr über 200 km. In Deutschland wäre das unvorstellbar. Das würde nämlich bedeuten, dass ein in Stuttgart akut erkrankter Patient mit dem Rettungsdienst zur Behandlung nach München fahren müsste. In Lappland, also ganz im Norden, haben manche Krankenhäuser sogar ein Einzugsgebiet von 500 km. Wenn man bedenkt, dass bei einem Herzinfarkt „Time is muscle“ gilt, ist das eine verdammt lange Strecke.

Die Dienstkleidung inklusive Namensschild wurde vom Krankenhaus gestellt. In Finnland haben alle Angestellten von der Reinigungskraft bis zum Chefarzt das Gleiche an. Das einzige „ärztliche Statussymbol“ ist der weiße Kittel, den aber kaum jemand trägt. Mich persönlich hat es sehr beeindruckt, dass es im finnischen Krankenhaus kaum Hierarchien gibt. Alle duzen sich und essen immer gemeinsam zu Mittag.

Mein Einsatzbereich war die Ambulanz/Notaufnahme, die in verschiedene „Linjas“ aufgeteilt ist. Die A-Linie ist für die dringlichsten und instabilen Notfälle, die B-Linie für stabile aber dringende Fälle. Die C-/D-Linie ist für Patienten, bei denen es nicht ganz so dringend ist. Hier befinden sich Influenza-Patienten, Magen-Darm-Erkrankungen und Ähnliches. Die E-Linie ist dem deutschen Hausarzt gleich. Die Patienten gehen in Finnland nicht zum Hausarzt, sondern in die Notaufnahme eines Klinikums und dort in die E-Linie.

Meine täglichen Arbeitszeiten waren von 8:00 – 15:30 Uhr. Da der Finne pünktlich Feierabend macht, konnte man sich stets nach diesen Zeiten richten. In Finnland macht man übrigens gegen 9:00 Uhr eine verpflichtende Kaffeepause.

Das praktische Arbeiten war mir leider aus gesetzlichen Gründen nicht erlaubt. Also verbrachte ich meine Tage hauptsächlich damit, zwischen den verschiedenen Linien zu pendeln und mir den interessantesten Fall anzusehen.

Die A-Linie war für mich so etwas wie ein Showroom. Ein Arzt wird von den Sanitätern im Voraus informiert, welcher Patient kommt und wie lange es dauert, bis der Patient eintrifft. Der zuständige Arzt war dann der Chef. Er teilte die Krankenschwestern ein, traf die Vorbereitungen und alle anderen, nicht zuständigen Angestellten stellten sich im Halbkreis um die Patientenliege, um zu zuschauen wie in einem Kino, in dem Doctor House gezeigt wird! Finnische Medizinstudenten dürfen übrigens ab dem vierten Semester als „pre-doctor“ arbeiten und verdienen 3.000€/Monat. Damit wäre so manchem Medizinstudenten in Deutschland geholfen. Das Gehalt der Angestellten wird nachts verdreifacht, an Wochenend- oder Feiertagsdienst verdoppelt.

Faszinierend finde ich auch, dass die Patienten in Finnland eine Pauschale pro Krankenhaustag bezahlen müssen, egal wie lange sie im Haus sind und egal, welche Behandlungen sie benötigen. In dem Krankenhaus in Kotka waren das 30€ pro Tag. Egal, ob Erkältung oder Polytrauma. Überraschend war außerdem, dass einige Fachärzte wie beispielsweise die Radiologen in den Nächten und am Wochenende nicht im Dienst sind. Radiologische Aufnahmen werden per Mail nach Helsinki ins Universitätsklinikum gesandt und dort ausgewertet. Bestimmte Behandlungen, unter anderem Angiographien, werden nach  15 Uhr und am Wochenende nicht durchgeführt.

Land und Leute – Maa ja ihmiset

In Finnland gibt’s natürlich nicht nur in Krankenhäusern viele Besonderheiten.
Das Bussystem ist total chaotisch. An der Busstation steht nicht, wann dein Bus an der jeweiligen Station ankommt, sondern wann er an der Start- bzw. Endstation losfährt. Man kann also nur grob abschätzen, wann der Bus kommt und bei – 22 Grad sind zehn Minuten in der Kälte stehen nicht gerade lustig. Ach so und damit man dann auch wirklich sicher sein kann, dass der Bus auch anhält, ist es ratsam die Hand zu heben, sonst fährt der Busfahrer einfach weiter. Ungewohnt ist auch, dass die Finnen nicht „bitte“, „Gesundheit“ oder „Guten Appetit“ sagen. Als ich die Chefärztin darauf angesprochen habe, meinte sie, dass die Finnen nur sprechen, wenn es wirklich nötig ist.

 

 

Helsinki an sich ist nicht typisch finnisch, sondern modern und europäisch. Das Straßenbahn-System ist super praktisch. Man kann den ganzen Tag durch die Stadt fahren und hat das Gefühl, alle Ecken einmal gesehen zu haben. Besonders schön ist es im Winter, wenn Helsinki eingeschneit ist und alle alten, großen Gebäude wie von Puderzucker bedeckt aussehen, das Meer im Schnee versinkt und die kleinen Restaurants am Hafen Lagerfeuer entzünden. Da kann man sich dann eine heiße Schokolade schlürfend die Füße wärmen.
Einmal bin ich sogar mit dem Zug acht Stunden quer durchs Land nach Lappland gefahren. Je weiter ich Richtung Norden kam, desto weißer und kälter wurde es. Wer dachte, dass in Helsinki oder Kotka viel Schnee liegt, ist hier wahrscheinlich erst mal geschockt, welche Massen an Schnee es geben kann. Der Schnee lag höher als ein Mensch groß ist. Mein größtes Highlight hier war aber, dass mir ein besonderer Wunsch erfüllt wurde: Ich habe an zwei Abenden die Polarlichter sehen können!

 

 

Summa summarum - Johtopäätös

Fünf Wochen später, viel zu schnell war es wieder Zeit nach Hause zu fliegen. Meine Famulatur in Finnland war super. Obwohl ich meine praktisch-medizinischen Fähigkeiten nicht erweitern konnte, hat es mir sehr gefallen, neue Denkweisen kennenzulernen. Der Einblick in eine fremde Kultur, den finnischen Alltag und ein komplett anderes Gesundheitssystem war lehrreich.

Noch ein kleiner Tipp am Rande für alle, die in Zukunft nach Finnland reisen wollen: Achtet darauf, nur unter der Woche ernsthaft krank zu werden, freitags ab 15 Uhr geht in finnischen Kliniken nicht mehr viel!

 

Adresse des Krankenhauses:
Kymenlaasko Keskussairaala/Central Hospital
Kotkantie 41
48210 Kotka
Finnland
http://www.carea.fi

Schlagworte
Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen