• Bericht
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  • Felix Hutmacher
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  • 07.09.2021

Von Chaos und Korallen – PJ-Tertial in der Karibik

Sommer, Sonne, Meer, nette Kollegen, lehrreiche Eindrücke – die Wunschliste für das perfekte Auslandstertial ist lang. Ein Aufenthalt am Universitätsklinikum Martinique kann einige dieser Wünsche erfüllen – aber nicht alle. Welche, das erfährst du hier.

 

 

Gäbe es einen Preis für das am schlechtesten organisierte Universitätsklinikum – jenes auf Martinique hätte gute Chancen, ihn zu gewinnen. Wann wer wo ein Praktikum macht, ist niemandem bekannt. Das plötzliche Auftauchen und spurlose Verschwinden von Studierenden wird allgemein hingenommen. Dienstkleidung kann man bekommen, allerdings nur, wenn man jeden Tag in die Wäscherei geht, Wäsche in jeder Größe zu tragen bereit ist und diese dann auch auf keinen Fall wieder abwirft – selbst waschen lautet die Devise.

Wo Krankenhaushygieniker*innen bereits die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, kann ich noch einen oben drauf setzen: OP-Kleidung ist extrem rar. Kommt ein Wagen mit OP-Wäsche in den OP-Block, bricht ein wahrer Goldrausch los. Die OP-Pflegenden beglückwünschen sich gegenseitig, wenn sie noch eine Hose ergattert haben,und nehmen für ihre besten Freund*innen gleich einen Kasak mit. Eins lässt sich mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen: Diese Wäsche verbleibt nicht im OP-Block – Spinde in den Umkleiden etwa sucht man vergeblich.

Für Studierende bedeutet dieses völlige Chaos freilich auch völlige Freiheit. Egal wo du auftauchst, wirst du freundlich empfangen, und wenn du einen einigermaßen motivierten Eindruck hinterlässt, werden dir auch Dinge erklärt, du darfst Patient*innen untersuchen und am Arbeitsalltag teilhaben. Dass allerdings ein festes Curriculum fehlt, macht sich doch bemerkbar, fest zugeteilte Aufgaben gibt es nicht. Mein Wahlfach also würde ich nicht unbedingt auf Martinique verbringen wollen.

Schön ist, dass man nicht im Krankenhaus bleiben muss, wenn die Ärzte ohnehin nur noch Verwaltungsaufgaben erledigen. Mit einem „Profitez!“ – was so viel bedeutet wie "Genießt eure Zeit" – wird man nach Hause respektive an den Strand geschickt. Davon gibt es auf Martinique einige, und es fällt tatsächlich schwer zu sagen, welcher der schönste ist. Einige heben sich ein wenig hervor – es gibt zum Beispiel zwei, an denen man immer wieder Meeresschildkröten beobachten kann, und andere, an denen man entlang von Korallenriffen schnorcheln kann. Alle aber sind traumhaft schön und hätten einen Platz auf einer Postkarte verdient.

 

 

Wer das Meer liebt, ist auf Martinique ohnehin gut aufgehoben. Surfen, Kitesurfen, Jetski fahren, Segeln, Tauchen, Kayakfahren – an Wassersportarten gibt es eine quasi unendliche Auswahl. Insbesondere der Norden der Insel ist von dichtem Regenwald bedeckt, der Platz für einige wunderbare Wanderungen bietet. Vom Bergwandern ist eher abzuraten – der Montagne Pélé, höchster Berg der Insel und aktiver Vulkan, ist die meiste Zeit in den Wolken verborgen. Aus sportlicher Sicht mag der Aufstieg zu empfehlen sein, für die Aussicht ist er es absolut nicht. 

Aber auch andere Aspekte der Insel trüben das Bild ein wenig. Gesellschaftlich liegt einiges im Argen. Von der Stellung der Frauen möchte man lieber gar nicht sprechen. Martinique ist noch mitten im Prozess der Dekolonialisierung, die Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß sind deutlich. So ist die Wirtschaft der Insel noch immer von einer weißen Minderheit, den Béké dominiert, denen ehemals alle Plantagen gehört haben und die immer noch viele Ländereien besitzen und etwa die lokalen Supermärkte kontrollieren. Eine Vermischung zwischen den Bevölkerungsgruppen findet quasi nicht statt.

Insgesamt funktioniert die Infrastruktur der Insel mehr schlecht als recht – es gibt einen öffentlichen Nahverkehr, aber er verkehrt abends am Wochenende nur bis 18 Uhr und eigentlich auch nur in der Hauptstadt. Der Wasserversorger dreht einem zwischendurch tagelang das Wasser ab. Und die Regierenden der Insel gelten zumindest als gelegentlich korrupt – so kam vor einer der letzten Bürgermeisterwahlen in einer der Nachbargemeinden von Fort-de-France heraus, dass der Bürgermeister seine Familie in der Verwaltung angestellt hatte.

Da tut es gut, dass man auch einfach abtauchen kann – an Tauchschulen wie Tauchplätzen mangelt es auf Martinique wahrlich nicht, und die Unter- ist im Gegensatz zur Überwasserwelt noch weitestgehend intakt. Trotz diverser Einschränkungen kann ich einen Aufenthalt in Martinique wärmstens empfehlen. Wer bereit ist, als Student*in in den Tag hinein zu leben und immer wieder aufs Neue zu sehen, was der Tag so bringt – Martinique ist der richtige Ort dafür.
 

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