• Bericht
  • |
  • Felix Hutmacher
  • |
  • 24.08.2021

Kinderchirurgie auf La Réunion – Grenzen zu? Augen zu und durch!

Die Grenzen sind zu und der Flugplan der Lufthansa hatte zwischendurch das Niveau des Jahres 1950 erreicht: Mobilität ist in Zeiten von Corona nicht einfacher geworden. Dass es sich trotzdem lohnen kann, weil es viel zu lernen und zu erleben gibt, zeigt dieser Bericht über ein Auslandstertial auf La Réunion.

 

Eigentlich dachte ich, ich hätte auf Reisen schon alles erlebt: Mir ist mehrmals mein Gepäck verloren gegangen, mir wurde der Pass samt Visum gestohlen, ich habe Boris Johnson am Flughafen getroffen, während ich acht Stunden auf meinen Flug warten musste, ich habe schon eine Unterkunft gebucht, die gar nicht existierte, und ich wurde mit Motorrad-Polizei-Eskorte an mein Ziel gefahren. Angesichts dieser Erlebnisse würde ich behaupten: Ich bin mittlerweile auf Reisen relativ entspannt.


Ins Schwitzen gebracht hat mich die Reise nach Réunion dennoch. Nicht nur war es nicht einfach, die eigene Wohnung vor Abreise Corona-konform aufzulösen: Es war ein ganzes Stück Überlegung nötig, die Helfer so aufzuteilen, dass sie nach Möglichkeit nach Haushalt getrennt beim Umzug halfen und sich niemand anstecken konnte.


Am Tag vor der geplanten Abreise saß ich also bereits etwas erschöpft auf meinem gepackten Koffer und ging gedanklich noch einmal alle wichtigen Punkte durch: Ich hatte die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes tagesaktuell gelesen, am Morgen einen Corona-Test gemacht und einen dicken Stapel Formulare und Bescheinigungen ausgedruckt. Es kann also losgehen, dachte ich.  Da summte mein Handy: Es war eine SMS von meiner Fluggesellschaft. „Lieber Kunde! Es tut uns leid. Ihr Flug wurde annulliert.“, teilte man mir mit. 18 Stunden vor Abflug war die Maschine ersatzlos gestrichen. Natürlich klemmte ich mich sofort hinter das Telefon, aber: Man konnte mir einen Flug erst wieder in einer Woche anbieten. Was angesichts der strikt einzuhaltenden Start- und Enddaten im Praktischen Jahr keine guten Aussichten waren.


Die Versuchung, einfach alles hinzuwerfen, war nach dem Telefonat mit der Fluggesellschaft groß. „Warum überhaupt sich eine Reise antun während Corona?“, fragte ich mich. Allein die Einreiseregeln herauszufinden und mich entsprechend vorzubereiten, war kein Leichtes gewesen.


Ich atmete kurz durch und erinnerte mich selbst daran, warum ich überhaupt ins Ausland hatte gehen wollen. In deutschen Uniklinika machte sich deutlich bemerkbar, dass die Zahl der Auslandsaufenthalte nahe null gesunken war. Sie waren voll mit PJlern. Zu allem Überfluss waren auch die OP-Pläne zusammengestrichen. Viel zu tun gab es daher oftmals nicht. Und ich hatte mich extra auf einen Platz in der Kinderchirurgie beworben – da ich später Kinderarzt werden möchte, eine sehr passende Wahl.


Ich wollte mich deshalb nicht bremsen lassen, nicht so kurz vor dem Ziel! Und ich hatte Glück im Unglück: Eine Zugfahrt nach Paris war noch zum Super-Sparpreis zu haben, und eine andere Fluggesellschaft bot für den Folgetag abends einen Flug von dort nach Réunion an. Dass auf der Reise der ICE kaputt ging und am Ende doch noch ein Formular fehlte: geschenkt. Etwas über 24 Stunden und drei ausgiebige Grenzkontrollen später war ich auf der anderen Erdhalbkugel.


Ich war sehr froh, dass ich nach Ankunft zunächst sieben Tage in Quarantäne durfte und mich so von den Reisestrapazen erholen konnte. Der weite Weg hat sich jedenfalls gelohnt: Im Universitätsklinikum in Saint-Pierre im Süden von La Réunion waren Studierende Mangelware. Die Kinderchirurige ist zudem eine sehr kleine Abteilung. Sie besteht aus einer Chefin, drei OberärztInnen und einem Assistenten. Da der Assistent zudem die meiste Zeit im dienstfrei, im Urlaub oder krank war, fiel mir im OP oft genug die erste Assistenz zu.


Generell wird Studierenden in Frankreich viel zugetraut: So durfte ich bei kleineren Eingriffen auch selbstständig instrumentieren. Das ging natürlich nicht ohne eine gute Einarbeitung, die aber problemlos funktionierte. Der Umgang miteinander ist freundlich und zugewandt, die OP-Pflege ist wie die Chirurgen sehr geduldig. Flüche waren selten, fliegende Instrumente habe ich (und haben mich) nie getroffen.


Über mangelnde Aufgaben konnte ich mich also nicht beklagen. Das Spektrum in der Kinderchirurgie ist zudem sehr groß. Es gibt Viszeralchirurgien, die auch die urologischen Eingriffe übernehmen, und Orthopäden, die auch unfallchirurgisch tätig sind. Die Chirurgen sind aber nicht nur fachlich breit aufgestellt, sondern beherrschen auch sehr spezielle Eingriffe: Für Skoliose-Operationen gab es zum Beispiel ein eigenes, röntgenbasiertes visuelles Leitsystem.


Auch auf Réunion taten sich Corona-bedingt größere Lücken im OP-Plan auf. Da das Klinikum aber eher klein ist und die Wege kurz, war es kein Problem, in dieser Zeit einen Platz in der Notaufnahme zu finden, wo ich auch selbstständig Patienten betreuen durfte.


Natürlich besteht das Leben nicht nur aus Arbeit. Réunion gilt dank seiner verschiedenen Mikroklimata völlig zurecht als Wanderparadies. Es gibt Regenwald, Sandwüste, Vulkanlandschaft, Steppe, Heidelandschaft und Ebenen, die dank ihrer saftigen Wiesen und buntgefleckten Rinderherden bei einem gebürtigen Bayern wie mir fast schon Heimatgefühle aufkommen lassen.
Baden dagegen ist nur an wenigen Orten überhaupt möglich. Das liegt an einigen Haiangriffen während der vergangenen Jahre. Schwimmen geht man deshalb nur noch, wo man durch das vorgelagerte Korallenriff geschützt ist.


Wer also Französisch spricht, für den gibt es eine klare Empfehlung: Ab auf die Insel! Nicht nur das Freizeitprogramm überzeugt, wer sich engagiert, nimmt auch fachlich etwas mit. Praktika auf Réunion sind nach Rücksprache mit dem International Office zudem auch über Erasmus+ förderfähig. Eine Bewerbung ist per E-Mail an das zuständige Sekretariat unter etudiants-medecine@chu-reunion.fr immer bis Mitte November für das kommende Jahr möglich.

Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen