• Artikel
  • |
  • Artikel und Bilder Patrick Sklomeit
  • |
  • 23.03.2021

Die Geschichte hinter Together For Ghana e.V.

Im Sommer 2017 zog es mich, Alex und Michaela zur Famulatur in die ländliche Region im Osten Ghanas. Was uns dort erwartete, sprengte alle unsere Erwartungen. Wir mussten ansehen, wie offene Bäuche oder offene Schädelfrakturen nicht operiert werden konnten und schliefen zusammen mit Ziegen in einem Rohbau. Die Ereignisse prägten uns und wir gründeten eine Hilfsorganisation.

 

Wie alles begann...
Voller Erwartungen kamen wir in der Hauptsadt Accra an. Wir hatten keine Ahnung, wo uns die Reise hinführen sollte. Über das Internet fanden wir Elective Ghana, die uns unsere Famulatur in Accra vermittelte. Nach einer Woche Klinik in Accra war uns etwas langweilig. Die Bedingungen in der Hauptstadt sind nicht so schlimm, wie wir dachten, es ähnelte in etwa einer westeuropäischen Stadt.


Wir berichteten unserem Kontaktmann von Elective Ghana, dass wir mehr sehen wollen als den Klinikalltag einer gut ausgestatten Klinik. Er bat uns an, in den ländlichen Osten Ghanas zu gehen, er kenne dort einen Arzt, der zusammen mit einem Kollegen für eine ganze Region mit über 136.000 Menschen alleine verantwortlich ist. Doch der Weg und der Alltag sei dort anders, als wir es gewohnt seien.
Wir machten uns auf den Weg.  


Erst mal ein Trotro finden, das in die ungefähre Richtung geht. Trotros sind alte VW Bullis, die mit so viel Passagieren wie nur möglich vollgestopft sind. Man steht am Straßenrand und ein Trotro kommt mit offener Tür vorbeigefahren und eine Art Schaffner schreit die Haltestelle oder deren verschluckte Abkürzung. “Circus Circus Circus “ ich hab bis heute keine Ahnung, ob er Circus rief, aber es ist unsere Richtung. Einen Platz ergattert. Wir geben dem Schaffner unseren Obronipreis für die Fahrt. Fast alles hat hier seinen Obronipreis. Wir sind die Obronis, so nennen uns die Einheimischen, “ Weiße” übersetzt. Es ist eng und es riecht streng.

Wir hatten das Glück, in der letzten Reihe zu sitzen und hinter uns war die Kofferraumklappe halb offen und mit Gepäck und Seilen verzurrt, was uns frische Luft bescherte. Gott sei Dank wollte heute jemand seine komplette Fischladung mitnehmen und es roch wie auf dem Hamburger Fischmarkt. Da fuhren wir in unserer in der Sonne Afrikas kochenden Thunfischdose. Nach Stunden monotoner Fahrt auf unbefestigter Straße kamen wir in einem kleinen Dorf Namens Adaswo nah des Voltastausees an. Wir fragten uns durch das Dorf, ob sie Obronis aus Deutschland kennten. Man zeigte uns die ungefähre Richtung. Wir fanden unsere Bekanntschaften aus Accra und übernachteten in einem kleinen Nebenzimmer bei ihnen.

Da von hier aus die Straßen immer schlimmer wurden und durch starke Regenfälle zum Teil Brücken weggespült sind, mussten wir mit Motos weiter. Motos sind Motorradfahrer, die an großen Plätzen stehen und die jeden, der zahlt, an den gewünschten Ort bringen. Manchmal hat man Glück und bekommt sogar einen Helm. Wir machten uns einmal den Spaß und fragten, ob die Fahrer mit uns auf dem Rücksitz gegeneinander um die Wette fahren konnten. Nie wieder brauche ich diese Nahtoderfahrung.


Angekommen am Ufer des Stausees. Die Landschaft war atemberaubend. Der See erstreckte sich bis zum Horizont und man konnte das andere Ufer nur erahnen. Seitlich der Straße waren wundervolle grüne Felder und Bauern mit ihrem Vieh. Doch bis zum Krankenhaus mussten wir den See überqueren. Wir kamen mit einem Fischer ins Gespräch, der gerade sein Boot putzte. Er war ein Verhandlungskünstler und für einen enormen Preis brachte er uns schließlich über den See. Die Fahrt war herrlich. Wir zogen am Ufer der Mangroven unter lautem Tuckern des Zweitakters vorbei und erreichten endlich das andere Ufer. Wir bedankten uns und er zog wieder davon.


Die Hälfte des Weges war geschafft, doch weit und breit kein Trotro oder Moto und so richtig hatten wir keine Ahnung, in welche Richtung wir nun mussten. Da stand er, ein alter Krankenwagen, der unsere Rettung werden sollte. Wir fragten, ob die Paramedics wüssten, in welche Richtung das Krankenhaus sei. Zufälligerweise arbeiteten sie beide dort und nahmen uns mit. Wir luden unser Gepäck in den Patientenraum und machten es uns auf der Krankentrage bequem. Ich weiß nicht, ob sie uns beeindrucken wollten, aber sie fuhren so schnell, wie der Krankenwagen nur konnte. Wir wurden durchgeschüttelt und unser Gepäck mussten wir an den Sitzen festbinden, damit wir nicht selbst getroffen wurden.


Angekommen im Presbytarian Krankenhaus Donkorkrom begrüßten uns die beiden Ärzte und das Personal freundlich und wir bezogen unsere Unterkunft.
Ein alter Rohbau, der offensichtlich nicht fertigestellt wurde, sollte die nächsten Wochen unsere Herberge sein. Es gab immerhin schon eine Toilette und eine kalte Dusche. Da es keine Tür gab, wurden die Ziegen, die sich hier in der Gegend aufhalten, später noch zu unserem Problem.

 

 

Am ersten Morgen wussten wir noch nichts von den Ziegen, bis wir sahen, dass all unsere Speisereste vom Vortag zerwühlt waren und überall kleine Ziegenhäufchen lagen. Wir verschafften uns Abhilfe und kippten einen großen Tisch seitlich als Barrikade vor die Tür. Über einem kleinen Feuer vor dem Haus machten wir uns heiß Wasser für unseren morgendlichen Kaffee und aßen auf dem Weg zur Klinik gekochte Bananen.

 

 

 

Wir integrierten uns schnell in die Klinik und halfen den Ärzten während der Visite oder den stationären Aufnahmen. Das Krankenhaus bestand aus einer Notaufnahme, zwei OP-Sälen, einem Pateintenflügel und einem provisorischem Labor. Mit viel Vorschusslorbeeren durften wir viel praktische Erfahrungen sammeln und begleiteten die Ärzte solange, bis wir später eigenständiger arbeiten konnten.


Die Krankheitsbilder entsprachen derer Deutschlands allerdings in viel fortgeschrittenen Stadien. Da medizinische Behandlung hier oft selbst gezahlt werden muss, kommen die Patienten erst sehr spät. Ich erinnere mich an einen Patienten, der nach einer Bauchoperation kein Geld mehr für Antibiotika sowie Schmerzmittel hatte. Die Wunde sah schrecklich aus. Die Narbe klaffte 3 cm weit auseinander und die Subkutanfäden versanken im Eiter. Leider gab es keine Medikamente mehr für den Patienten. Ich frage mich, ob er es letztendlich überlebt hat.

 


Meistens begann der Arbeitsalltag bei Sonnenaufgang und endete mit Sonnenuntergang. Aber es wird in Ghana aufgrund der Nähe zum Äquator schon um 18 Uhr dunkel.
Eines Nachts erhielten wir einen Anruf von Dr. Brown, dem Seniorarzt. Ein Patient muss dringend operiert werden. Als wir im Krankenhaus ankamen, fanden wir einen wie eine Banane geschälten Patienten. Er griff während eines Stromausfalls in eine Maismühle und der Strom sprang plötzlich wieder an, um ihm die gesamte Haut des rechten Armes abzuschälen. Die Operation dauerte durch die halbe Nacht.


Während unserer zweiten Woche wurde ein Patient eingeliefert, der mit einem Moto einen schweren Verkehrsunfall hatte. Natürlich trug er keinen Helm. Es war das erste Mal, dass ich Liquor aus Nase und Ohren hab laufen sehen. Da es weder CT noch MRT in dem Krankenhaus gibt, konnten wir nur grob spekulieren, wie schlimm es um ihn stand. Wenigstens war er noch ansprechbar und orientiert. Wir mussten uns auf die reine Klinik des Patienten verlassen und beten, dass er es lebend übersteht. Er wurde auf einen Tisch zur Beobachtung gelegt und es wurde abgewartet, bis ihn jemand in die Hauptstadt bringt – mit Schädelfraktur und möglicher Hirnblutung ist dies eigentlich unmöglich.

Schnell fiel uns auf, dass die Ärzte alles Menschenmögliche machen, um ihre Patienten bestmöglich zu versorgen, doch es fehlt an allen Ecken und Enden an Ressourcen. Es gibt zwei OP-Säle, aber nur ein Narkosegerät, das andere ist seit Jahren defekt. Also vollkommen nutzlos. Im gesamten Krankenhaus gibt es keinen einzigen Defibrillator. Unvorstellbar. Jede größere Shoppingmall und jeder Bahnhof in Deutschland hat einen Defibrillator und hier hat das einzige Krankenhaus in der Gegend, das für über 136.000 Menschen zuständig, keinen einzigen.


Zum Waisenhaus


Der Rohbau, in dem wir schliefen, war direkt neben dem Waisenhaus, das vom Krankenhaus mit unterstützt wird. Durch die direkte Nähe freundeten wir uns schnell mit den etwa 20 Kindern an, die dort untergebracht sind. Das Gebäude des Waisenhauses an sich war sehr runtergekommen. Das Dach war undicht und manche Betten waren zum Schutz vor Regen mit großen Plastiksäcken abgedeckt. Die Moskitonetze in den Fenstern waren so löchrig, dass selbst unsere Freunde die Ziegen dort durchgepasst hätten. Kein Wunder, dass die Kinder ständig unter Malaria litten.


Umso länger wir dort waren, umso mehr beschäftigten uns die Umstände des Krankenhauses und der Waisen.
Wir beschlossen, etwas zu unternehmen. Wir telefonierten mit unserer Verwandtschaft und konnten in kurzer Zeit etwas Geld auftreiben. Wir kontaktierten unsere neuen Freunde David und Ken, die Paramedics, und baten sie, uns mit der Renovierung des Waisenhauses zu unterstützen. Wir engagierten Handwerker und reparierten die Moskitonetze und das Dach des Waisenhauses. Mit dem restlichen Geld kauften wir, was die Waisen im Moment am dringendsten brauchten, angefangen von Schuhen bis zu Nahrung. Eine Baustelle weniger für kurze Zeit.


Mit dem Krankenhaus mussten wir uns etwas anderes überlegen. Wir hatten nicht genügend Mittel zur Verfügung und konnten nicht ständig unsere Familien um mehr Geld fragen.
Es wurde die Idee geboren, eine Hilfsorganisation zu gründen. Sie sollte "Together for Ghana e.V." heißen. Nach langer Bürokratie in Deutschland wurde das auch drei Monate nach unserer Ankunft in Deutschland wahr.
Together for Ghana e.V setzt sich für die Entwicklung und medizinische Versorgung der Bevölkerung des Afram Plains districts im Osten Ghanas ein. Wir unterstützen das Presbytarian Hospital Donkorkrom und Waisenhaus finanziell sowie mit medizinischem Equipment. Regelmäßig entsenden wir in Zusammenarbeit mit Elective Ghana Freiwillige mit unseren Hilfsgütern in das Krankenhaus.
Unser Rohbau von damals wurde mit Spendengeldern zu einem Gästehaus umgebaut, das dem Waisenhaus eine regelmäßige Einnahmequelle bringt.
Das Defibrillatorproblem wurde mit einer großzügigen Spende des Deutschen Herzzentrums in München gelöst. Wir arbeiten heute in engem Kontakt mit den zwei Ärzten und bringen regelmäßig dringendes Equipment und Verbrauchsmaterialien nach Donkorkrom, um hoffentlich bald eine vernünftige Diagnostik und Therapie zu ermöglichen.
Unser Verein ist in den letzten Jahren um viele Mitglieder gewachsen, ohne die die Erfolge nicht möglich gewesen wären. Doch auch wir sind weiterhin ständig auf neue Geldgeber angewiesen und hoffen auf weitere Unterstützung.  


Ghana ist ein sehr armes Land, aber wie uns ein Ghanaer einst sagte “ Wir haben nicht viel, aber wir haben Liebe”. Das beschreibt unsere Erfahrung am besten. Die Ghanaer gehören zu den freundlichsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Das Land hat so viel wundervolle Natur und Erlebnisse zu bieten, dass es ein Muss für jede Famulatur ist. Ich habe mich nie unsicher gefühlt und bei Problemen gab es immer eine fremde Person, die ohne zu zögern sofort zur Hilfe war.

Ich möchte mich bei meinen Teamkameraden und allen Unterstützern bedanken.

Patrick Sklomeit
Assistenzarzt Orthopädie und Unfallchirurgie
Gründer und Vorstandsvorsitzender
Website: www.together4ghana.org


Together For Ghana e.V.
Dreimühlenstraße 7
80469 München, Germany

Together For Ghana e.V.
IBAN: DE07830654080004086724
BIC: GENODEF1SLR
Bank: Deutsche Skatbank


 

Schlagworte
Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen