- Bericht
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- Sara Loetz
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- 31.10.2012
PJ am Soroka Medical Center in Israel
Bei ihrer Arbeit auf der chirurgischen Station des Soroka Medical Centers in Be'er Scheva lernte Sara dank der hohen OP-Standards und einer optimalen Betreuung eine Menge dazu. Dabei begegnete ihr sowohl im Krankenhaus wie in ihrer Freizeit ständig ein Thema: die angespannte politische Situation sowie die sozialen Unruhen zwischen Israelis und Palästinensern.
Im Rahmen meines praktischen Jahres des Medizinstudiums war ich zwei Monate in Israel. Dieser Aufenthalt wurde als studienbezogener Auslandsaufenthalt von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt, einer gewerkschaftsnahen Stiftung, bei der ich seit Studienbeginn Stipendiatin bin. Ich hatte Be'er Scheva, die viertgrößte Stadt des Landes und Eingangstor zur Negev-Wüste als Praktikumsort gewählt. Dort findet der Internetrecherche zufolge die Lehre auf Englisch statt.
Es gab einen englischsprachigen Studiengang, der vorwiegend für jüdische Amerikaner angedacht war. Auch ist Englisch allgegenwärtige Sprache in Israel. Viele Medien sind englisch, sowie die gesamte medizinische Fachliteratur und teilweise der Unterricht für die israelischen Studenten.
Organisatorisches vor der Reise
Beworben habe ich mich beim Asran Exchange Office, was ziemlich unkompliziert war. Dana, eine israelische Medizinstudentin war auch vor Ort immer für mich da und wir verbrachten so manchen lustigen Nachmittag und Abend. Auf dieser Website finden sich alle notwendigen Informationen. Zu erreichen ist das Austauschbüro unter
asran.ex@gmail.com
Wenn ihr von eurer Uni aus bestimmt Nachweise vor oder nach dem Aufenthalt braucht, helfen euch auch dort die Asran Leute und es werden großzügig Siegel und Stempel verteilt. Sie haben mir auch geholfen, eine Unterkunft für den Zeitraum zu finden. Ich bewohnte ein 9-Quadratmeter-Zimmer in einer Vierer-WG in einem Studentenwohnheim direkt neben der Klinik. Gegenüber befand sich das Sportzentrum und die Uni. Im Wohnheim fanden immer wieder nette Veranstaltungen wie Salsa 1 Dance statt. Kosten für den PJ-Aufenthalt waren 100 US-Dollar, das Wohnheim kostete so um die 300 Dollar im Monat.
Nach Be'er Scheva kommt man aus Tel Aviv, wo auch der Flughafen ist mit dem Zug oder Bus vollkommen unkompliziert. Dauert ungefähr 1,5 Stunden. In Israel dauert die Arbeitswoche von Sonntags bis Donnerstags, dessen sollte man sich bewusst sein. Und zu Beginn des Wochenendes und zu Ende ist der öffentliche Nahverkehr überfüllt mit Soldaten - ein etwas gewöhnungsbedürftiger Anblick. Auch werden am Busbahnhof, an der Uni und der Klinik überall Personalien gecheckt. Ein Visum erhält man bei der Einreise.
Das Krankenhaus
Das Soroka Medical Center ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung und das drittgrößte Krankenhaus des Landes. Fachlich wird hier alles abgedeckt. In meiner allgemeinchirurgischen Abteilung hatte ich einige sprachliche Schwierigkeiten. Es gab viele Ärzte, die aus Russland stammten und die, wenn überhaupt, nur sehr schlechtes Englisch sprachen. Auch mit den restlichen Ärzten fiel die Kommunikation leider oft schwer, was ich jedoch mehr auf die Tatsache beziehe, dass sie nicht sonderlich an Lehre interessiert waren.
Natürlich gab es viele Situationen, in denen das anders war. Dr. Pinsk, Colorektal-Chirurg war sehr an meiner Person interessiert, hatte einige Jahre in Kanada gelehrt und bei ihm konnte ich auch viel lernen. Außerdem hat eine äthiopisch-stämmige jüdische Ärztin mir viel in Visiten und in Besprechungen simultan aus dem Hebräischen übersetzt, sodass ich am Stationsalltag teilnehmen konnte. In der Notaufnahme traf ich ab und an auf sehr interessierte und motivierte junge Assistenzärzte, die mit mir zusammen Anamnese und Untersuchung der aufzunehmenden Patienten durchführten und wir im Anschluss gemeinsam die Patienten besprachen.
Arbeiten auf der Chirurgie-Station
Ich konnte viel im Operationssaal assistieren und habe einige Operationen sehen können, die ich in Deutschland bisher nicht gesehen hatte. Das Spektrum entsprach dabei weitestgehend dem, dass ich in den ersten Wochen des PJ-Tertials in der Viszeralchirurgie in Flensburg kennengelernt hatte. Wir operierten oft maligne Tumoren im Gastointerstinal-Trakt, an der Schilddrüse, in Leber und Lunge. Außerdem viele Gallenblasen, Appendizitiden und Leistenhernien. Highlight war sicherlich eine Nierentransplantation, an welcher ich teilnehmen konnte. Auch die Mammachirurgie, die in Deutschland in der Gynäkologie zu finden ist, wurde in Israel von den Allgemeinchirurgen operiert.
Dr. Ravit, die zuständige Ärztin, führte mich sehr gut ein und so war ich bald ihre erste Assistenz bei den wöchentlichen Operationen. Außerdem war ich oft in der Outpatientklinik zur Nachbetreuung der operierten Patienten. In Be'er Scheva wurde auch viel Adipositaschirurgie operiert, was in Deutschland selten zu sehen ist. Generell war bei allen Operationen ein hoher Standard angelegt. Ein weiterer deutscher Medizinstudent war in der plastischen Chirurgie tätig und so lernte ich bald seine betreuenden Ärzte kennen. Ich konnte in unseren OP-Pausen auch viele Fälle aus diesem Bereich sehen, beispielsweise Skin Grafts oder Narbenkorrekturen bei Verbrennungsopfern.
Ausflug in die Neuro- und Herzchirurgie
Es sprach sich bald herum, dass ich auch an anderen Fachgebieten interessiert sei, und so wurde ich von den Herz- und Neurochirurgen in ihre Operationssäle eingeladen und konnte dort assistieren. Ein weiteres Highlight für mich waren einige Tage bei den Kinderchirurgen, die neben Standardoperationen auch einen Morbus Hirschsprung operierten, eine seltene Operation. Hier konnte ich eine ganze Menge Eindrücke sammeln und bin dankbar für die Möglichkeit in diese verschiedenen Bereiche einen Einblick erhalten zu haben.
Neben diesen fachlichen, medizinischen Eindrücken konnte ich auch viel über Land und Leute und ihren Umgang miteinander im Krankenhaus aufnehmen. Wir hatten ein sehr durchmixtes Patientengut. Viele Menschen kamen aus der Stadt, den umliegenden Kibbuzim oder Ortschaften, waren Juden und Muslime. Aber auch viele Beduinen, die kein Hebräisch sprachen, kamen aus der angrenzenden Negev-Wüste. Auch Patienten aus dem Gazastreifen, der nur 40 km entfernt lag, wurden beim Überschreiten der örtlichen Möglichkeiten an unser Krankenhaus gebracht. Außerdem hatten wir Patienten, die auf der Flucht aus Kriesengebieten in Nordafrika von ägyptischen Soldaten am ägyptisch-israelischen Grenzübergang angeschossen wurden.
Beschuss aus Gaza
So vermischte sich Medizin mit Politik. Auch die sozialen Spannungen und Vorurteile zwischen den Bevölkerungsgruppen konnte ich oftmals wahrnehmen. So wurde über einen 7-jährigen Jungen aus Gaza, der 40% seiner Körperoberfläche verbrannt hatte, angedeutet, er sei ein kleiner Terrorist oder über einen 3-jährigen Beduinenjungen, dass er sich lange nicht gewaschen habe. Auf Station konnte ich den verschiedene Umgang mit Krankheit wahrnehmen. Ärztliches Personal bestand fast ausschließlich aus Askenansi, also Juden, die aus Europa, Russland und den USA stammten.
Auch zwischen den jüdischen Bevölkerungsgruppen ist der Umgang oft angespannt. Tagespolitik war ständig Thema in den Personalräumen und in Besprechungen. Be'er Scheva wurde während meines Aufenthalts mehrfach aus dem Gazastreifen beschossen. Im Krankenhaus waren wir zwar sicher, erfolgte der Beschuss aber während wir im Wohnheim waren, mussten wir in einen Bunker laufen. Die Israelis waren davon wenig beunruhigt: sie wussten, dass die Stadt mit einem modernen Raketenabwehrschrim ausgestattet ist. Mir dagegen machte die Situation durchaus Angst – die Gefahr war für mich sehr real.
Auch Religion war ein immerwährendes Thema. Im Krankenhaus wurde koscher gegessen und viele Stundeten im Wohnheim folgten den religiösen Essensgeboten. Zwei meiner Mitbewohnerinnen waren jüdisch, eine war arabische Israelin. Oft saßen wir gemeinsam am Küchentisch und unterhielten uns über unsere kulturellen und religiösen Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Dieser Austausch war sehr bereichernd.
Politische Debatten am Wochenende
An den Wochenenden war ich viel im Land unterwegs. Ich lernte Jerusalem in seiner Vielfalt, aber auch mit seinem zunehmendem orthodoxen Einfluss kennen. Ich besuchte christlich wichtigenOrten wie Nazareth, den See Genezareth und Bethlehem. Ich lernte das Leben in einem Kibbutz und in der Wüste kennen. Ich wohnte mit Beduinen in einer Höhle in Jordanien.
Ich war immer wieder in der Westbank – ein Gebiet östlich von Israel, in dem knapp 83% der Bevölkerung Palästinenser sind. Von ihnen wohnten einige in Flüchtlingslagern, andere mussten über große Umwege um die jüdischen Siedlungen fahren, um sich fortzubewegen. Wieder andere kämpften aktiv gegen die Mauer, die sie von Israel trennt. Ich lernte auch Palästinenser kennen, die in der letzten Intifada (palästinensische Aufstände gegen Israel) aktiv gewesen waren und lange in israelischen Gefängnissen gesessen hatten. Wir redeten viel über ihr Leben und viel über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
Mit diesen Eindrücken kehrte ich zurück in das Leben in Be'er Scheva, das so ganz anders war als das in den palästinensischen Gebieten, und oft sehr ähnlich meinem Alltag in Deutschland. Doch auch hier führte ich intensive Gespräche über Krieg und Frieden und über Erfahrungen mit beidem. Ich lernte Menschen kennen, die Freunde und Familie bei Selbstmordattentaten verloren haben. Und sprach immer wieder mit Menschen in meinem Alter über ihre Erfahrungen beim Militär, dem Männer 3 und Frauen 2 Jahre dienen müssen. Be'er Scheva ist überdies dafür bekannt, dass dort viele Veranstaltungen, Diskussionen und Informationen über die aktuelle Lage Israels stattfinden. So konnte ich an Univeranstaltungen teilhaben und auch in diesem Rahmen viel diskutieren.
Alles in allem war dies ein sehr lehrreicher, interessanter und vielseitiger Auslandsaufenthalt, der mir oft die Augen geöffnet hat. Auch, aber nicht nur medizinischer Art waren die Eindrücke imposant und lehrreich.