- Bericht
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- Dr. Ingrid Mayer-Winter
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- 26.02.2013
Shalom - Eindrücke einer Ärzte-Studienreise nach Israel
Dr. Ingrid Mayer-Winter hat eine Ärztestudienreise nach Israel gemacht und vielerlei gesehen und erlebt. Das Land besitzt, weil es sich im "Dauerkriegszustand" befindet, die besten Krankenhäuser der Welt und ist somit medizinisch top ausgerüstet. Israel ist aber nicht nur ein medizinisches Erlebnis, spannend ist auch die Geschichte wie Kultur dieses Landes.
Yad Vashem
Shalom, eines der 99 Worte Hebräisch der Liste, die wir beim Einchecken in Frankfurt erhalten. Wir, das sind 20 Mediziner aus Deutschland, die sich auf den Weg nach Israel machen um für neun Tage einen medizinischen und kulturellen Eindruck von Israel zu bekommen.Das Highlight des ersten Besichtigungstages in Jerusalem ist zweifellos "Yad Vashem", die Holocaust-Gedenkstätte auf dem Herzlberg. Insgesamt eine bedrückende Gedenk- und Dokumentationsstätte für die 6 Mio. Opfer der Judenvernichtung. Da auch Ärzte tatenlos zusahen, als der erstarkende Nationalsozialismus zum Problem für Jüdische Kolleginnen und Kollegen wurde, sich darüber hinaus sogar aktiv an Menschenversuchen beteiligten, ist Yad Vashem Pflichttermin für uns von Seiten der Landesärztekammer.
Hanukkah-Leuchter
Alle Fotos: Dr. Ingrid Mayer-Winter
Unsere Eindrücke von Yad Vashem werden wenige Tage später verstärkt durch einen Vortrag von Sara Atzmon, einer 1933 in Hajdunanas in Ungarn geborenen Jüdin, die den Holocaust in Bergen-Belsen überlebte und 1945 durch das amerikanische Militär befreit wurde. Sie erzählt, wie sie dort als 11-Jährige jeden Tag lange Stunden beim Appell im Schnee stehen musste, während an ihrem einen Fuß ein roter Kinderschuh, am anderen Fuß ein Frauenschuh mit hohem Absatz prangte. Jeden Tag musste sie mit ansehen, wie Leichen zu den Krematorien abtransportiert wurden. Viele von ihnen hatten den Mund offen stehen und Sara fragte sich, ob sie wohl zuletzt geschrien oder etwas gesagt hatten. Was waren wohl ihre letzten Worte? Sie fühlte sich oft wie im Traum, nicht wirklich da, sondern in Beobachterposition, von der aus sich die Bilder ins Gedächtnis brannten. Anders hätte sie es zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht ausgehalten. Nach einem harten Arbeitsleben und dem Großziehen von sechs Kindern fing sie vor 21 Jahren im Alter von 58 Jahren an, diese Bilder zu malen. "Ihr Holocaust" schien vorbei, aber nicht aufgearbeitet zu sein. Inzwischen hat sie weltweit über 200 Ausstellungen gestaltet. Darüber hinaus hält sie auf der ganzen Welt Vorträge über ihre Erlebnisse.
Gigantische medizinische Versorgung in Israels Krankenhäuser
Am vierten Reisetag fahren wir nach Ein Kerem in den äußersten Südwesten Jerusalems hinaus, wo sich in imposanter Lage eine der angesehensten und fortschrittlichsten Kliniken des Nahen Ostens befindet: das zur Hebrew University gehörende Hadassah Medical Center, Israels zweifellos modernste medizinische Einrichtung.
1912 wurde Hadassah von der aus New York stammenden jüdischen Krankenschwester Henrietta Szold gegründet, um die medizinische Versorgung in Jerusalem zu verbessern. Gemäß der Mission "Medizin kennt keine Grenzen" von Bernice S. Tannenbaum wurde aus Hadassah 1983 Hadassah International, eine humanitäre Organisation, die inzwischen in über 30 Ländern dieser Welt mit sog. "units" vertreten ist, mit dem Ziel, Spenden für die Hadassah Medical Organisation in Jerusalem zu sammeln.
Heute ist Hadassah Ein Kerem eine sehr moderne Klinik mit etwa 1.000 Betten der Maximalversorgungsstufe, 130 Abteilungen und Kliniken in 22 Gebäuden. In etwa 30 OP-Sälen werden ca. 30.000 Anästhesien pro Jahr durchgeführt. Im Untergrund sind für den Kriegsfall neben 60 Intensivbetten weitere 20 OP-Säle, die innerhalb weniger Minuten einsatzfähig sind.
Ein mobiles Krankenhaus kann ebenfalls innerhalb kürzester Zeit abtransportiert werden und weltweit in Betrieb gehen. Die Klinik verfügt über einen modernen Helipad und ein beispiellos eingerichtetes Traumacenter, deren mit Paramedics besetzte Rettungswagen mit Videokameras auf dem Dach ausgestattet sind. Durch 1:1-Übertragung ins Traumacenter stehen dort bei Ankunft des jeweiligen Rettungswagens die erforderlichen OP-Teams bereits einsatzklar im OP. Jede medizinische Disziplin ist neben modernsten Forschungslaboratorien im Hadassah Medical Center vertreten.
Da wir genau zum Zeitpunkt der 100-Jahrfeierlichkeiten von Hadassah in Jerusalem sind, nehmen wir am dritten Reisetag am Jubiläumsfestzug der Mitglieder und Freunde von Hadassah teil. Es sind v. a. Amerikaner, die in roten T-Shirts Hadassah-Fahnen schwingen und durch die Straßen von Jerusalem ziehen. Im Rahmen der Feierlichkeiten im Hadassah Medical Center schließen wir uns einer Führung durch den vor kurzem in Betrieb gegangenen Sarah Wetsman Davidson Hospital Tower an, einem neuen Bettenhaus für 365 Mio. $. Die Patientenzimmer werden von jüdischen und arabischen Patienten gemeinsam belegt.
Da Hadassah Patienten unabhängig von Ansehen, Religion, Herkunft und Einkommen versorgt, war die Klinik 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert. Trotz Aufruhren und Terror innerhalb der Grenzen Israels bietet Hadassah für Länder überall auf der Welt Notfallhilfe, klinische Ausbildung und Durchbrüche in der Forschung und teilt als führendes medizinisches Zentrum seine bahnbrechende fachliche Kompetenz mit der ganzen Welt.
So hat auch Prof. Dimitrios M. Karussis vom multidisziplinären MS-Center des Hadassah Medical Center durch seine viel versprechenden und ermutigenden Ergebnisse auf dem Gebiet der Stammzellforschung viel internationale Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. In seinem Festvortrag berichtet er über die weltweit ersten klinischen Versuche an ALS- und MS-Patienten, deren Zustand durch Transfer eigener Stammzellen stabilisiert oder sogar deutlich verbessert werden konnte.
Max Sandreczky- Günder des ersten Kinderkrankenhauses im Nahen Osten
Unsere Medizin-Historische-Exkursion durch die Propheten-Straße in Jerusalem führt uns am ehemaligen Deutschen Krankenhaus, am Russischen Hospiz und am Französischen Krankenhaus vorbei. Und dann stehen wir vor dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude mit der Hausnummer 29 von "The Marienstift Children`s Hospital 1872-1899", Jerusalems erster Kinderklinik, die der deutsche Arzt Max Sandreczky als erstes Kinderkrankenhaus des Nahen Ostens gegründet hatte. Sandreczky behandelte jeden und nahm weder für Behandlung noch Medikamente Geld.
Sandreczkys bedingungslose Nächstenliebe wurde ihm jedoch zum Verhängnis. Niemand unterstützte sein Werk, da er sich weigerte zu missionieren. An einem Morgen im Juni 1899 ging der inzwischen schwer kranke und erschöpfte Arzt in das Josaphat-Tal zwischen dem Öl- und dem Tempelberg, dem Ort des letzten Gerichts, um sich als erster Kinderarzt Jerusalems mit einem Schuss ins Herz das Leben zu nehmen. Heute ist in dem historischen Gebäude die Organisation Shevet Achim untergebracht. Gründer der Organisation ist der kalifornische Journalist Jonathan Miles, ein Amerikaner mit der besonderen Mission schwer herzkranke arabische Kinder zu lebensrettenden Herzoperationen in israelische Krankenhäuser zu bringen.
Ayman aus dem Irak mit Fallot-Tetralogie, Shevet Achim
Durch Heirat innerhalb der Verwandtschaft treten Herzfehler gehäuft bei palästinensischen Kindern im Gazastreifen und der "Westbank" auf. Viele Kinder kommen aber aus dem Irak wie der 4-jährige Ayman, der gerade auf einen OP-Termin wartet. Er leidet an einer Fallot-Tetralogie und begrüßt uns kurzatmig mit erschreckend blauen Lippen und Fingern auf dem Arm seiner Mutter.
Da in Gaza die medizinische Versorgung auf das Notwendigste beschränkt und anspruchsvolle medizinische Prozeduren nicht möglich sind, sterben die Kinder oft nur wenige Kilometer entfernt von voll ausgerüsteten Krankenhäusern in Israel. Durch "Lights for the Nations" - Licht für die Nationen - dem christlichen Wohltätigkeitsfound hat Jonathan Miles Licht für schwer kranke arabische Kinder in die Welt gebracht. Israelische Ärzte und Pflegepersonal stellen ihre Zeit kostenlos zur Verfügung und die Krankenhäuser Operationssäle und Ausrüstung zum Selbstkostenpreis, 80 % der Kosten für die Herzoperationen übernehmen die israelischen staatlichen Krankenhäuser, "Lights for the Nations" übernimmt die restlichen Kosten. Die gesamte Logistik wickelt Shevet Achim als Nonprofit-Organisation mit überwiegend Volontären ab.
Totes Meer - bekannt für seine Therapiemöglichkeiten bei chronischen Krankheiten
Am 5. Reisetag verlassen wir Jerusalem und fahren nach Ein Bokek am Toten Meer, wo uns die klimaheiltherapeutischen Erfolge bei der Behandlung chronischer Erkrankungen der Haut, der Gelenke und des Atmungsapparates beeindrucken. Dr. med. M. Harari vom DMZ Medical Center hält einen Vortrag über das gesundheitsfördernde Tote Meer, die Indikationen und die physiotherapeutischen Möglichkeiten.
Wesentliches Prinzip der Therapie am Toten Meer ist die Photo-Soletherapie. Zusammen mit den Mineralien des Toten Meeres (50,8 % Magnesiumchlorid, 14,4 % Kalziumchlorid, 30,4 % Natriumchlorid) ergibt sich so eine einzigartige, natürliche Therapie. Das Wasser enthält zudem wenig Sulfat, aber relativ viel Brom. Durch die einzigartige Lage, ca. 400 Meter unter dem Meeresspiegel, wird die UV-Strahlung durch größere natürliche Luftschichten umso mehr gefiltert, wodurch gefährliche UV-Strahlungen eliminiert werden.
In den Folgetagen ergeben sich im Hotel in Ein Bokek und im SeaofSpa des Kibbuzes EinGedi Möglichkeiten Schwefelbäder, Schlammapplikationen, Tote Meer-Bäder oder medizinische Massagen zu testen. Daneben kann man sich im Toten Meer einfach nur treiben lassen. Der fast 30 % ige Salzgehalt verursacht jedoch bei Unachtsamkeit auf den Lippen und in den Augen schnell ein juckendes Beißen und generiert einen medizinischen Notfall.
Heilkräuter werden getestet
Im Moshav Carmel in der Judäischen Wüste erforscht der Chemieingenieur Dr. Amir Kitron gemeinsam mit Biologen, Biochemikern und Ärzten die Anwendung regionaler Pflanzen - zum Teil in Kombination mit Mineralien des Toten Meeres - um körpereigene Selbstheilungsmechanismen zu unterstützen, wie z. B. die Linderung allergischer Reaktionen, die Anregung der örtlichen Aktivität des Immunsystems oder umgekehrt die Linderung von dessen Überaktivität und mehr. Hierzu werden örtliche Pflanzen und zusätzliche Heilkräuter in der Region der Judäischen Wüste angebaut und kommerziell verarbeitet.
Soroka Medical Center in Beersheva bringt jährlich rund 14 000 Kinder auf die Welt
Weiter führt der Weg entlang des Nordrands der Wüste Negev zum Soroka Medical Center in Beersheva. Es ist mit etwa 1.200 Betten das größte Krankenhaus im Süden Israels, das viertgrößte in Israel überhaupt, Lehrkrankenhaus der Ben Gurion Universität in Beersheva. Insbesondere die Geburtsklinik des Soroka Medical Center spielt eine wichtige Rolle für die gebärfreudigen Beduinenfrauen des Negevs, von denen jede im Durchschnitt 6-10 Kinder in ihrem Leben zur Welt bringt. Daher wartet diese Geburtsmaschinerie mit 14.000 Geburten im Jahr bei täglich etwa 40 Geburten auf.
Wer in Israel Geburtshilfe erlernen will, begibt sich ans Soroka Medical Center. Auch wenn es sonst in der Klinik aufgrund der besonderen geographischen Lage viele Stellenbesetzungsprobleme gibt, liegen für die Geburtshilfe ausreichend Bewerbungen vor. Problem der Lage ist die Nähe zum Gazastreifen, der nur 40 km westlich liegt und regelmäßig mit Raketen grüßt. So gab es dieses Jahr bereits zwölf Raketeneinschläge. Nach Aufheulen der Sirenen müssen sich alle unverzüglich in die vorgesehenen Bunker begeben. Die Kapazitäten für die Aufarbeitung dieser dauerhaften psychischen Traumatisierung bei Patienten und Personal reichen nicht aus, manche müssen irgendwann wieder gehen, weil sie es nicht mehr aushalten.
Ein in Los Angeles lebender kinderlieber Billionär hat in den letzten Jahren den Bau der Kinderklinik mit Kinderintensivstation und Kindernotaufnahme sowie der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe ermöglicht, die uns mit viel Stolz gezeigt werden. Ist ein Kind für voraussichtlich mehr als drei Tage in der Klinik, muss das Kind in die Klinikschule, wo der Kontakt zur "Community-school" hergestellt und der Ausbildungsstand erfragt wird. Etwa zehn Lehrer und sehr moderne Lehrmaterialien stehen für den Unterricht der Krankenhausschulkinder zur Verfügung.
Assaf HaRofeh Medical Center - hat 19 OP-Säle und führt 22.000 Operationen durch
Der Weg in Richtung Flughafen Tel Aviv führt am vorletzten Reisetag noch am Assaf HaRofeh Medical Center vorbei, dem drittgrößten staatlichen Krankenhaus in Israel, das 1948 erbaut wurde. Mit 850 Betten bietet es den 500.000 Einwohnern seines Einzugsgebietes bis auf Transplantationsmedizin und Herzchirurgie jegliche Form der medizinischen Versorgung.
In 19 OP-Sälen werden 22.000 Operationen pro Jahr durchgeführt, es gibt drei Intensivstationen. Die Leistungsfähigkeit dieser Klinik überzeugt zweifellos: Die Notaufnahme ist in der Lage in 2-3 h bis zu 300 Opfer aufzunehmen. Im Falle eines Gas- oder Raketenangriffs ist die Notaufnahme hermetisch abriegelbar. Im abgeschlossenen Bereich werden OP-Säle und ein paar Intensivbetten vorgehalten. Täglich nimmt die Notaufnahme 400 Patienten auf, im Jahr 140.000. Die Notaufnahme ist eine der aktivsten in Israel mit der höchsten Zahl an Einlieferungen von zivilen Unfallopfern und verletzten Soldaten. Es besteht 24-Stunden-Alarmbereitschaft für Opfer von Terroranschlägen.
Darüber hinaus ist das gesamte Krankenhaus mit Plänen und der nötigen Infrastruktur für die Bewältigung der Behandlung eines Massenanfalls von Verletzten eines nicht-konventionellen Terroranschlages ausgerüstet. So findet zum Zeitpunkt unserer Besichtigung gerade eine Erdbebensimulation statt. In der Geburtshilfe kommen täglich mehr als 20 Kinder zur Welt, 8.000 pro Jahr. Da die Bettenvorhaltung in Israel mit knapp 2 Betten/1.000 Einwohner deutlich geringer ist als in Deutschland mit 4,5 Betten/1.000 Einwohner, ergibt sich automatisch eine deutlich kürzere durchschnittliche Krankenhausverweildauer: 3,1 KH-Tage in Israel vs. 5,9 KH-Tage in Deutschland.
Vom israelischen Außenministerium beauftragt, nimmt Assaf HaRofeh regelmäßig kranke oder verletzte Palästinenser aus dem Gazastreifen auf. Das offizielle Budget des Gesundheitsministeriums ist knapp bemessen und reicht gerade dafür aus, um die Kosten für die allgemein notwendige Infrastruktur zum Erhalt des Krankenhauses zu decken. Ohne Spendengelder können auch hier, wie in jedem anderen Krankenhaus in Israel, keine neuen Gebäude gebaut und keine neue medizinische Ausrüstung angeschafft werden.
An der Klagemauer
Neben dem aufgeführten medizinischen Programm haben wir die Klagemauer, Alt-Jerusalem, den Ölberg und in der Nähe von Carmel die historischen Ausgrabungen von Susya besucht. Fakultativ war ein Ausflug nach Bethlehem und auf die Felsenfestung "Massada" möglich.
Von medizinischer Versorgung, die keine Grenzen kennt, von weltweit in der Diaspora verstreuten Juden, die Unsummen in ihre Heimat Zion investieren um ihren Schwestern und Brüdern in der Heimat eine gute medizinische Versorgung zu ermöglichen, vom Nebeneinander verschiedener Religionen und Kulturen, sowie von einem jungen und modernen Staat mit ganz eigenen Herausforderungen und Problemen, waren wir tief beeindruckt und haben viele Eindrücke mit nach Hause genommen.