• Bericht
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  • Aline Gottlieb
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  • 18.04.2012
  • Ruanda - Foto: Aline Gottlieb

    So sah es fast jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit aus.

     
  • Kollegen - Foto: Aline Gottlieb

    Alines Kollegen.

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  • OP-Vorbereitung - Foto: Aline Gottlieb

    OP-Vorbereitung: Der Kaiserschnitt ist der am häufigsten durchgeführte Eingriff in Kirinda.

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Ein Muzungu in Ruanda

Wenn man junge idealistische Medizinstudenten, die gerade frisch von der Schule sind fragt, wo sie gerne mal arbeiten möchten, dann werden viele von ihnen sagen: in Afrika! Bei mir war das genauso… natürlich ohne eine realistische Vorstellung davon zu haben, worauf ich mich dabei tatsächlich einlasse. Dieses Jahr im Frühjahr habe ich mir jedoch diesen Wunsch erfüllt: es ging für eine Famulatur nach Ruanda. Mein Umfeld hier in Deutschland wusste entweder nicht wo genau Ruanda liegt, oder war total schockiert, da es das Land nur mit dem Genozid von 1994 verband.

Vorbereitung

Die Planung begann mehr als ein halbes Jahr vor meiner Famulatur. Eine Bekannte empfahl mir, mich bei der "Vereinten Evangelischen Mission"* zu bewerben, da sie mehrere Kooperationen in Asien, Osteuropa und Afrika hat. Nach einem kurzen Kennlerngespräch hatte ich die Zusage, dass mir die Mission helfen würde in einem EPR (Église Presbyterian du Rwanda)- Krankenhaus zu famulieren. Bereits einige Wochen später stand fest, dass es mit der Famulatur klappen würde und ich nach Kirinda fahren würde. Bei Google Maps fand ich unter dem Suchwort Kirinda gar nichts! Ich erwartete daher, dass nur wenig Menschen dort wohnen würden

 

Formalitäten

Versichert ist man als Marburger- oder Hartmannbund-Mitglied automatisch.Ein Visum ist bei der Einreise nicht notwendig, da man als Deutscher für drei Monate mit einem Touristenvisum "einfach so" nach Ruanda einreisen kann.

 

Anreise

Den Flug habe ich bei KLM für ca. 900€ gebucht. Es geht aber auch günstiger, das hängt ein wenig von der Jahreszeit und der Fluggesellschaft ab. Von Düsseldorf aus ging es nach Amsterdam und von da aus direkt nach Kigali. Abgeholt wurde ich von einem Mitarbeiter der EPR. Da es in den größten Teilen Ruandas keine Straßenbeleuchtung gibt, konnte die Fahrt erst am nächsten Tag weiter gehen, aber der EPR- Mitarbeiten hatte mir bereits ein Zimmer im EPR Gästehaus organisiert. Gleich am ersten Abend viel mir auf, dass sich das Leben der Ruandesen auf der Straße abspielt. Überall in Kigali lief Jung und Alt umher: quatschten, lachten, tanzten. Ein sehr gelungener erster Eindruck, neben den warmen frühsommerlichen Temperaturen. Am nächsten Tag sollten mich Mitarbeiter des Kirinda Hopitals abholen, angekündigt war 9Uhr. Da war mir natürlich schon klar, dass es später werden würde. Und tatsächlich wurde es dann 16Uhr nachmittags ehe die Fahrt nach Kirinda begann. Wir fuhren eine Stunde auf der asphaltierten Straße bis nach Gitarama und danach noch eine gute Stunde über unzählige der "Tausend Hügel Ruandas". Letzten Endes war Kirinda größer, als ich es mir vorgestellt hatte: sehr viele Häuser für unzählige Bewohner und auch hier überall Menschen, die auf dem Weg irgendwohin waren. Viele Menschen, die in Kirinda leben sind noch nie in Kigali gewesen und sehr viele haben noch nie einen "Muzungu" (weißer Mensch) gesehen.

 

Sprachkenntnisse

Es ist sehr sinnvoll wenigstens ein paar Französischkenntnisse zu haben. Auch wenn die offizielle Landessprache neben Kinyarwanda mittlerweile Englisch ist, spricht außerhalb Kigalis (Hauptstadt) kaum jemand gut genug Englisch. Vor allem bei der Verständigung im Krankenhaus kommt man nur mit Französisch weiter

 

Unterkunft

Es gab noch einen dänischen Medizinstudenten, der ebenfalls ein Praktikum im Krankenhaus absolvierte. Wir beide waren im Gästehaus des Krankenhauses untergebracht: jeder hatte ein Zimmer, das mit einem Bett und einem Nachttisch recht einfach ausgestattet war. Manche Zimmer hatten eine Möglichkeit Kleidung irgendwo zu lagern, das hatte ich nicht. Unterkunft und Verpflegung kosteten im Gästehaus monatlich knapp 400€. Wir hatten drei Househelper, die für uns kochten. Auf Wunsch hätten sie auch unsere Wäsche gewaschen, das wollte ich aber nicht in Anspruch nehmen. Warmwasser wurde morgens gekocht, fließendes kaltes Wasser und Strom hatten wir immer mal wieder… und auch mal wieder nicht.

 

Krankenhaus

Das Krankenhaus selbst ist ein Distrikt-Krankenhaus, d.h. es ist an sich relativ klein, bezieht aber Patienten aus sechs umliegenden Gesundheitszentren. Das System in Ruanda ist so, dass ein Kranker zunächst in ein Centres de Sainté gehen muss. Dort wird entschieden, ob er gleich behandelt und wieder nach Hause geschickt wird, oder ob er ins Krankenhaus muss. Im Krankenhaus in Kirinda gibt es folgende Stationen: Innere Medizin, Chirurgie, Pädiatrie, Gynäkologie, Außenambulanz und zwei OP-Säle. Außerdem besitzt das Krankenhaus ein Röntgengerät, ein Labor (was momentan erneuert wird) und mehrere Ultraschallgeräte, so dass die Basisdiagnostik relativ gut betrieben werden kann. Während meiner 6-wöchigen Famulatur habe ich zwei Wochen in der Inneren, eine Woche in der Pädiatrie, zwei Wochen in der Gynäkologie sowie eine Woche in der Außenambulanz verbracht. Sobald eine OP anstand (meist Kaiserschnitte) oder irgendwo ein spannender Fall zu sehen war, wurde wir angerufen und konnte zusehen oder mithelfen.

 

Arbeitsalltag

Der Arbeitstag begann um halb 8 Uhr. Davor fand allerdings immer das Morgengebet statt. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, denn die Gesänge waren wunderschön. Auch wenn ich die Predigten in Kinyarwanda nicht verstand, fand sich immer jemanden, der mir das Ganze auf Französisch oder Englisch übersetzt hat. Der Arbeitstag ging bis 17Uhr. Mittagspause durften wir bis zu zwei Stunden machen. Ich habe es immer davon abhängig gemacht, ob viel los war oder nicht. OP-Materialien waren steril, Medikamente waren auch vorhanden, wenn auch nicht im Überfluss. Wie viel man machen darf, hängt sehr stark von einem selbst ab. Ich habe die ersten zwei Wochen sehr viel zugesehen, um Eindrücke zu sammeln. Danach habe ich aber immer mehr selbst gemacht: alleine Visiten durchgeführt (zwar mit einer Schwester fürs Übersetzen, aber ohne Arzt), bei Kaiserschnitten assistiert und genäht, Frakturen eingegipst und Patienten für die OP vorbereitet (Zugang und Blasenkatheter legen usw.). Die Ärzte (übrigens alle Kongolesen) sind nicht sehr gestresst: sie machen morgens während ca. zwei Stunden die Visite und sofern sie nicht operieren müssen oder in der Außenambulanz sind, warten sie den Rest des Tages im Prinzip nur auf Notfälle. Es gab aber auch ein paar Dinge, die ich nicht so gut fand: Nachmittags war es oft sehr ruhig, da musste ich mir meistens Beschäftigung (z.B. was zum Lesen) mitbringen. Häufig wurden OPs auch beendet, obwohl die Patienten bereits wieder Schmerzen gespürt haben. Selten gab es für Eingriffe sogar gar keine Betäubung. Da musste ich schon sehr um meine Beherrschung kämpfen. Auch haben die Ärzte den dänischen Studenten gerne bevorzugt, da er männlich war. Mehrfach musste ich auf mich aufmerksam machen und sagen: "Jetzt möchte ich auch mal, das kann ich auch!" Sehr beeindruckt war ich von den gebärenden Frauen: es gehört zur ruandischen Kultur, dass Frauen keinen Ton von sich geben, wenn sie Wehen haben. Manchmal beteten sie leise oder es kullerten Tränen, ansonsten war es im Kreissaal still.

 

Freizeit

Nach 17 Uhr begann für mich die Freizeit. Zwei Wochen vor meiner Abreise wurde ein Englisch-Club für das Krankenhauspersonal gegründet. Dort habe ich täglich unterrichtet. Ansonsten wurde bis zum Sonnenuntergang Tischtennis-, Volley- oder Fußball gespielt und es gab auch einen Krankenhauschor. Auf der "Hauptstraße" Kirindas befinden sich ein paar kleine Bars, wo man sich ein Mützig oder Primus (lokales Bier) genehmigen konnte. An Champions-League-Abenden haben im Versammlungssaal des Krankenhauses Soldaten, Kindern aus Kirinda, Patienten und das medizinische Personal gemeinsam die Spiele auf einem der wenigen Fernseher im Dorf geschaut.Eine schöne Gelegenheit Land und Leute besser kennen zu lernen war "Umuganda". Jeden letzten Samstag im Monat sollen alle in Ruanda-lebenden Menschen bei Straßenverschönerungsprojekten mitarbeiten. Ich nutzte diese Gelegenheit gleich eine Woche nach meiner Ankunft und half mit. Alle, die mich dort kennen gelernt haben, waren beeindruckt, dass auch "Muzungus" in der Lage sind, sich die Hände schmutzig zu machen.

 

Menschen und Kultur

Vom Genozid ist prinzipiell nicht mehr viel zu spüren. Hutu und Tutsi leben auch heute Tür an Tür. Am äußeren Erscheinungsbild kann man nicht erkennen, wer zu welcher Gruppe gehört. Höchstens die Berufe lassen es erahnen. Offen darüber gesprochen werden, kann aber auch heute noch nicht. Im April finden überall in Ruanda Gedenkwochen statt. Viele Menschen trauern und die Atmosphäre ist emotional sehr angespannt. Es gibt keine offen ausgetragenen Konflikte. Mir ist jedoch aufgefallen, dass Ende März immer mehr Patienten, die ihre Familie 1994 verloren haben, mit der Diagnose "Psychose" ins Krankenhaus kamen. Die Menschen in Ruanda sind sehr lieb, offen, wissbegierig (ich kann die Stunden nicht zählen, in denen Pfleger und Ärzte mit meinem Herold gelernt haben) und neugierig. Sie nehmen einen sofort überall hin mit und versuchen zu helfen, wo sie nur können. Es hat mich sehr beeindruckt, wie glücklich die Menschen leben, obwohl sie nicht viel besitzen. In meinen sechs Wochen ist es mir sehr gut gelungen mich in die Gesellschaft in Kirinda zu integrieren. Auch muss man keine Bedenken haben alleine zu reisen. Das Schlimmste, das einem passieren kann ist dass man mehr bezahlt als die lokale Bevölkerung.

 

Fazit

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich beeindruckt war, wie gut das Krankenhaus ausgestattet war. Ich hatte mir Schlimmeres vorgestellt. Ich fand es sehr lehrreich zu sehen, wie viel Diagnostik man auch ohne moderne Geräte betreiben kann. Es hat mir so gut gefallen, dass ich bereits jetzt Flugtickets für den Sommer gebucht habe, um wieder nach Kirinda zu gehen!

* Hinweis: Die "Vereinten Evangelischen Mission" bietet keine Famulatur und keine Praktika mehr an.


 

Aline hat es in Ruanda so gut gefallen, dass sie für ihre zweite Famulatur wieder hingeflogen ist. Lest hier ihren zweiten Bericht:

Famulatur auf der Gynäkologie in Kirinda

Mehr zum Thema

Bericht: Famulatur im Kirinda Hospital

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