- Bericht
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- Anika Wolf
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- 17.10.2013
Famulatur in Karlskrona – Välkommen i Sverige
Eine Famulatur im Land der Elche, Michel aus Lönneberga und Pippi Langstrumpf. Ob die Schweden wirklich so freundlich und die Arbeitsbedingungen so gut sind wie oft gehört – Anika hat den Selbstversuch gewagt.
Warum um Himmels Willen Schweden und nicht in den warmen, sonnigen Süden? Die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen. Vor einigen Jahren war ich schon als Tourist begeistert von diesem Land. Sehr freundliche Menschen, viel Natur und eine Menge Platz. Außerdem hört man immer wieder davon, dass viele deutsche Ärzte nach Schweden auswandern, weil dort die Arbeitsbedingungen besser sind. Also wollte ich mich selbst davon überzeugen. Und warum Karlskrona? Das war ganz einfach: Ich habe im Fernsehen eine Doku darüber gesehen, dass Karlskrona als sehr gut geplante und erhaltene Marinestadt als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Ein Blick ins Internet: Nicht nur die Stadt ist sehr schön, es ist auch überall Meer rundherum! Also habe ich schnell geschaut, ob es dort ein Krankenhaus mit Kinderstation gibt – und tatsächlich, hier ist das Blekinge-Sjukhus! Ein paar E-Mails später war klar: Ich werde meinen nächsten Sommer in Südschweden verbringen.
Die Stadt Karlskrona
Karlskrona liegt in der südschwedischen Provinz Blekinge an der Ostsee. Die Stadt besteht aus mehreren Inseln, die über Brücken miteinander verbunden sind. Vor Karlskrona liegen noch viele weitere kleine Inseln, die zusammen den Schärengarten bilden. Früher diente die Stadt der Verteidigung Schwedens: weit genug südlich, damit der Hafen nicht bis ins Frühjahr hinein vereist ist und mit natürlichem Schutz durch die Schären. Die Marine ist heute noch der größte Arbeitgeber und es existiert auch noch eine Werft, die Kriegsschiffe baut.
Schwedisch für Anfänger
Weil ich die schwedische Sprache verstehen wollte, habe ich ungefähr ein Jahr vorher angefangen, selbstständig schwedisch zu lernen. Die Verständigung in der Klinik hat von Anfang an super funktioniert. Sicher hätten die Ärzte auch englisch gekonnt, aber wenn man selbst schwedisch spricht, kann man, denke ich, viel mehr lernen. Die Besprechungen, Visiten und Patientengespräche sind genauso wie die Gespräche beim Mittagessen auf schwedisch und ich hätte es wirklich blöd gefunden, immer dabei zu sitzen und kein Wort zu verstehen.
Die Schweden sind sehr freundlich und geduldig, erklären auch gerne zweimal und freuen sich riesig, wenn ein ausländischer Student ihre Sprache kann. Außerdem ist schwedisch sehr schön und auch gar nicht so schwer zu lernen, da viele Wörter im deutschen ähnlich sind. Und die Rechtschreibung ist einfach herrlich: In Schweden kann man nämlich nach der „terapi“ ins „restaurang“ gehen und „gratäng“ essen!
Die Kollegen auf der Kinderstation – freundlich und nett
Bald war es dann auch so weit, dass ich meine Schwedisch-Kenntnisse auf die Probe stellen konnte. An einem sonnigen Montagmorgen im August machte ich mich auf zur Kinderstation. Wie war nochmal mein Text? Ach ja: „Hej, jag är Anika, studenten från Tyskland!“ – „Hallo, ich bin Anika, die Studentin aus Deutschland.“ Tatsächlich haben das auch alle verstanden und wussten sogar etwas damit anzufangen.
Und noch etwas überraschte mich positiv: Man rufe sich eine typisch deutsche Famulatur in Erinnerung: der erste Morgen, man taucht auf der Station auf und… „Ein Student? Davon weiß ich nichts.“ Die Begrüßung fällt dann meistens in etwa so aus: „Oh, ein Famulant! Äääh, du kannst ja mal gucken wo du heute hingehen kannst.“ Umso erstaunter war ich, als ich in Schweden zur Tür hereinspazierte und vom Chefarzt persönlich begrüßt wurde. Dazu wurde ich jedem, der vorbei kam, als Studentin aus Deutschland vorgestellt. Ich bekam sofort ein Namensschild - übrigens das erste Mal bei drei Famulaturen - und Dienstkleidung.
Keine Kittel für Ärzte
Im Gegensatz zu deutschen Ärzten tragen die Schweden keine Kittel, sondern nur weiße Hosen und einen blauen Kasack. Die Schwestern tragen das gleiche. Rein äußerlich sind Ärzte und Schwestern also nur am Aufdruck auf dem Namensschild zu unterscheiden. Und, wo wir schon dabei sind, diese Gleichheit setzt sich auch in den ganzen Arbeitsalltag fort. In Schweden wird viel mehr im Team gearbeitet als in Deutschland, Hierarchien sind kaum vorhanden. Angenehm ist auch, dass in Schweden generell geduzt wird, ob es die Kassiererin im Supermarkt ist oder der Chefarzt. Allein das macht ein Arzt-Patienten-Verhältnis viel schöner. Da heißt es eben nicht: „Herr Doktor Ohlsson, können Sie mir helfen?“, sondern „Martin, ich habe noch eine Frage an dich.“ Außerdem wird einfach jeder ernst genommen, ob es der Chefarzt ist, die Schwester oder der Student. Ich war manchmal wirklich überrascht, völlig ernsthaft gefragt zu werden, welche Laborwerte ich noch abnehmen würde oder ob ich die Diagnose des Arztes für richtig halte oder noch andere Ideen habe. Auch ganz ungewöhnlich: bei meinen Vorbereitungen hat mir auf wirklich jede E-Mail der Chefarzt persönlich geantwortet, statt mich an eine Sekretärin zu verweisen.
Ein eigener Arbeitsplatz und elektronische Akten
In Schweden hatte ich zum ersten Mal in meinem Krankenhaus-Leben einen eigenen Arbeitsplatz. Den hat dort jeder Arzt und ich habe ganz selbstverständlich auch einen zugeteilt bekommen. Und so hatte ich mein eigenes Zimmer mit Computer. Wenn nichts zu tun war, konnte ich im Internet die gesehenen Krankheitsbilder nachlesen oder im Intranet der Klinik die Leitfäden für verschiedene Krankheiten anschauen. Außerdem sind die Krankenakten in Schweden komplett elektronisch. Also musste ich nicht wie gewohnt zur Schwester rennen und um Akten bitten, die garantiert immer wenn man sie braucht entweder bei der Narkoseaufklärung, beim OP-Vorgespräch oder sonst irgendwo liegen, aber für den Studenten auf keinen Fall zu haben sind.
In den schwedischen Akten sind alle Arztbesuche gespeichert. Gerade bei Kindern hat man also die gesamte Krankheitsgeschichte seit Geburt an auf einen Blick, inklusive Wachstums- und Gewichtskurven, Laborergebnisse und Röntgenbilder.
Der Arbeitsalltag – sehr angenehm
Es kann wohl ruhigen Gewissens behauptet werden, dass die schwedischen Ärzte ihre Arbeit deutlich lockerer nehmen. Da wird auch schon mal die Visite unterbrochen, um Frühstückspause zu machen. Viele unkomplizierte Aufgaben werden außerdem nicht von den Ärzten erledigt. Blut abnehmen, Zugänge legen oder Verbände wechseln gehört zur Arbeit des Pflegepersonals. Arztbriefe und Akteneinträge werden von den Ärzten nur diktiert und dann von speziell geschulten Sekretärinnen aufgeschrieben.
In Schweden gibt es sowieso Berufsgruppen in der Klinik, die ich in Deutschland noch nie getroffen habe. Jedes Kind geht zur Spieltherapeutin, um sich vom Klinikalltag abzulenken. Es ist streng verboten, im Spielzimmer über Medizin zu reden oder Kinder zu untersuchen, damit die Kinder dort einen Rückzugsort haben. Zum Spielen dürfen die Ärzte aber gerne vorbeikommen. Außerdem gibt es eine Urotherapeutin, die sich um alle Kinder kümmert, die nachts ins Bett machen, mehrere Harnwegsinfekte hatten oder sonstige Probleme rund ums Pipimachen haben. Und das sind viel mehr, als ich gedacht hätte.
Die gemütliche Kinderstation
Die Kinderstation ist hübsch und gemütlich eingerichtet und sieht gar nicht so sehr nach Krankenhaus aus. Die Zimmer sind nach den Inseln Karlskronas benannt. Also keine Angst, wenn ihr ein Kind in Tjärö oder Tjurkö besuchen sollt, das ist gar nicht so weit. Auf der „Gelben Seite“ liegen Kinder mit Infektionskrankheiten, sie ist durch zwei gelbe Türen vom Rest der Station abgetrennt.
Jeder Tag beginnt mit einer Morgenbesprechung, wo der Nachtdienst über Vorkommnisse der Nacht berichtet. Oft werden auch sonstige Probleme der kleinen Patienten auf der Station besprochen.
Ich hatte meinen eigenen Dienstplan und war auf der Kinderstation, der Neonatologie und in der Kinder- Notaufnahme eingeteilt.
Auf der Kinderstation liegen Kinder mit einem riesigen Spektrum an Krankheiten. Von Diabetes, Herzfehlern und Leukämie über Lungenentzündungen bis zu Epilepsie gibt es alles, sogar ein magersüchtiges Mädchen war dabei. Richtig schwer kranke Kinder gibt es hier allerdings nicht, sie werden in die Uniklinik nach Lund geschickt.
Zeit für die Patienten
Vor allem hat mich auf der Station begeistert, dass die Ärzte sich sehr viel Zeit für die Patienten genommen haben. Bei der Visite zum Beispiel werden zuerst alle Kinder mit der jeweils zuständigen Schwester besprochen. Dann besucht man die Patienten selbst und auch hier werden geduldig alle Fragen, Probleme und Vorgehensweisen diskutiert. So kann eine Visite für zehn Kinder durchaus einmal drei Stunden dauern.
Auf der neonatologischen Station hat mir die Arbeit besonders gut gefallen. Hier liegen viele Frühchen und Neugeborene, die beispielsweise ihren Blutzuckerspiegel noch nicht aufrecht erhalten können oder eine Gelbsucht entwickeln. Auch hier findet jeden Tag eine ausführliche Visite statt. Besonders toll waren die Baby-Untersuchungen jeden Morgen. Hier werden die Babys untersucht, die vor ein oder zwei Tagen geboren wurden und jetzt von Kopf bis Fuß durchgecheckt werden sollen, in etwa so wie in Deutschland die U2. Das durfte ich unter Aufsicht eines Arztes sogar alleine machen. Übrigens habe ich schnell gemerkt, warum man sich dazu Plastikschürzen überzieht: wenn man ein Baby auf die Füße stellt, wird ein Reflex ausgelöst und die Beine nacheinander angezogen, sodass es aussieht, als würde das Baby laufen. Und das wollte ich testen. Allerdings hatte ich bei dem kleinen Jungen vorher die Genitalregion untersucht und die Windel nicht wieder angezogen. Und genau in dem Moment, als ich ihn vor mich stellte, um den Reflex zu überprüfen… Ihr könnt es euch ja denken. An dieser Stelle geht ein großer Dank an die Plastikschürze!
Die Notaufnahme
Spannend war es auch in der Notaufnahme. Dazu ein kurzer Exkurs zur Organisation der ärztlichen Versorgung in Schweden. Wenn man krank ist, wendet man sich zuerst an die zuständige Vårdcentral, das ist so etwas Ähnliches wie eine Hausarzt-Gemeinschaftspraxis, die es für jeden Stadtbezirk gibt. Sonst gibt es nahezu keine niedergelassenen Fachärzte in Schweden, also alle Patienten, die etwas kompliziertere Sachen haben, kommen direkt ins Krankenhaus. Deshalb gibt es in einer schwedischen Notaufnahme also viele Fälle, die in Deutschland in einer Facharztpraxis und nicht in der Klinik landen würden. Die Vårdcentral macht stattdessen einen Termin in der Notaufnahme aus. Zusätzlich gibt es dort aber auch wirkliche Notfälle, die direkt kommen oder mit dem Rettungswagen gebracht werden.
Es gibt also eine Menge zu sehen in so einer Notaufnahme. Vieles sind gewöhnliche Krankheiten wie Kinder mit Fieber und Husten, Babys mit Durchfall oder junge Mädchen mit Harnwegsinfekten. Manchmal gibt es aber auch wirklich spannende Sachen zu sehen. Ein Baby mit einem großen Hämangiom, ein Kind mit Ketoazidose bei neu aufgetretenem Diabetes, ein kleiner Junge, der keine feste Nahrung essen will, ein vierjähriges Mädchen mit zusammengewachsenen Schamlippen, ein Kind mit Cri-du-chat-Syndrom (das Schreien klingt wirklich wie eine Katze!),Kinder mit Fieberkrämpfen oder allergischen Reaktionen.
Meist schaut sich der zuständige Arzt der Notaufnahme zuerst die Krankenakte an, bevor er zum Patienten geht. Das ist sehr praktisch, denn so weiß man gleich über Vorerkrankungen Bescheid oder ob die Krankheit schon einmal aufgetreten ist. Manchmal durfte ich zuerst alleine losziehen und Anamnese und Untersuchung machen und am Ende auch selbst den Untersuchungsbericht in die Akte schreiben. Eine sprachliche Herausforderung, aber sehr lehrreich.
Notfallübung für den Ernstfall
Ein Highlight war die Notfallübung auf der Station. Einen Morgen lang gab es für eine Ärztin, zwei Pfleger und mich eine Übung in Advanced Pediatric Life Support, also Kinderleben retten für Fortgeschrittene. Nach einer kurzen Einführung über die Besonderheiten bei Kindern und Kindernotfällen ging es an die praktischen Übungen mit Puppen. Besonders die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegepersonal sollte hier geschult werden. Der zuständige Arzt hatte sich spannende Fälle ausgedacht: ein Kind mit schwerem Asthmaanfall. Ein Baby, das grau und schlapp eingeliefert wird. Und schließlich ein schwer krankes Kind, das plötzlich reanimiert werden muss. Eine super gute Fortbildung. Übrigens: Bei einer Reanimation soll das Herz ja mit einer Frequenz von 100 pro Minute komprimiert werden. Als Merkhilfe kannte ich bisher nur „Staying alive“ von den BeeGees. Aber wisst ihr, wie die Schweden reanimiert werden? Im Takt von „Här kommer Pippi Långstrump“!
Land und Leute
Auch die Wochenenden in Karlskrona waren nicht langweilig. Es gibt viel zu sehen. Eine Bootstour um die Hauptinsel oder in den Schärengarten sollte man auf keinen Fall verpassen. Boote fahren auch zu Kungsholms Fort, dem früheren Marinehafen, der zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Empfehlenswert ist auch ein Trip mit der Fähre auf die Insel Aspö. Hier gibt es viel Natur, Wald, wunderschöne Stellen am Meer und das Kastell Drottningskär. Interessant sind auch das Marinemuseum und die davor schwimmenden alten Marineschiffe. Und wenn einem nichts mehr einfällt: einfach am Meer sitzen ist immer schön.
Tolle Famulatur an der Ostsee
Ihr seht also: eine herrliche Famulatur hatte ich, da oben an der Ostsee. Falls ihr euch jetzt fragt: Wie kommt man denn nun in diese schöne Stadt? Es ist gar nicht schwer! Nach Karlskrona führen viele Wege. Mit dem Auto sind es von Gießen aus rund 1000 Kilometer, also etwa 12 bis 13 Stunden. Schneller geht es mit dem Flugzeug. Wenn man sich ein wenig von Schweden anschauen möchte, ist die beste Möglichkeit, erst nach Stockholm zu fliegen. Von dort aus gibt es Inlandsflüge nach Ronneby, etwa 30 Kilometer von Karlskrona entfernt. Man kann auch mit dem Zug Richtung Süden fahren, das dauert allerdings mehrere Stunden und ist auch nur unwesentlich billiger als fliegen. Plant man keinen Aufenthalt in Stockholm, ist es fast praktischer, nur bis Kopenhagen zu fliegen und von dort aus drei bis vier Stunden mit dem Zug, dem Öresundståg nach Karlskrona zu fahren.
Die Wohnungssuche ist ein wenig kompliziert. Die Klinik kann keine Wohnung zu Verfügung stellen. Das Studentenwohnheim und die meisten privaten Vermieter bieten ihre Zimmer erst ab mindestens drei Monaten an. Es gibt ein wenig außerhalb der Stadt den Gullberna-Park, der Zimmer mit Gemeinschaftsbad und –küche vermietet. Von dort aus sind es allerdings etwa drei Kilometer zur Klinik und weitere drei Kilometer ins Stadtzentrum. Im Stadtzentrum selbst gibt es die Möglichkeit, über das Hotell Conrad Firmenwohnungen zu mieten, die als Appartements hergerichtet sind. Vom Stadtzentrum aus gibt es gute Busverbindungen zum Krankenhaus.
Ein wunderbarer Sommer
Kurzgefasst: ich hatte einen wunderbaren Sommer. Und viel gelernt habe ich außerdem – abgesehen von gutem Schwedisch. Von den Arbeitsbedingungen für schwedische Ärzte können sich die deutschen Kliniken eine große Scheibe abschneiden. Weniger gestresste Ärzte und trotzdem gut versorgte Patienten - es funktioniert ja offensichtlich. Ich kann jedem Schweden-Fan nur empfehlen, den Schritt in den hohen Norden zu wagen.
Und damit es gut klappt, fangen wir gleich mit der ersten Sprachlektion an: ein Arzt ist ein „läkare“ und ein Krankenhaus heißt in Schweden „sjukhus“. Also, traut euch, damit es bald heißen kann: „Hej, välkommen i Sverige!“