- Bericht
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- Miriam Wilms, Aachen
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- 23.10.2006
Praktikum im Regionalkrankenhaus Tambacounda, Senegal
Als ich den roten Ascheweg zu dem größten der vier Pavillions hinaufging, schlug mir nicht gerade eine Krankenhaus-Atmosphäre entgegen. Um mich herum liefen Menschen geschäftig hin und her, als wäre dies ein Marktplatz. Im Schatten der Bäume campierten in bunte Stoffe gehüllte Frauen und Männer, einige beteten. Eine kleine Traube von Menschen hatte sich um einen weißen Pickup gebildet, das einzige Auto weit und breit, das sich später als Krankenwagen herausstellte. An den Eingängen zu den Pavillions hatten sich Reihen gebildet in denen sich immer mehr Menschen geduldig anstellten obwohl sich nichts bewegte.
Die ersten Tage
Drei Tage nach meiner Ankunft im Senegal hatte ich mich bereits daran gewöhnt, eine der wenigen Toubabs ("weißer Mensch" in der Landessprache Wolof) zu sein und als solche überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit erkannt zu werden. So überraschte es mich nicht sehr, als mich in all dem Getümmel jemand fragte ob ich etwas suche und mich hilfsbereit zum Büro des Krankenhausdirektors geleitete.
Papa Massar Gaye empfing mich höflich und mit offizieller Miene. Ich war froh um die zwei Sätze Wolof, die ich mir kurz vorher angeeignet hatte, da sie ihn scheinbar amüsierten und das Gespräch auf diese Weise schnell freundlicher wurde. Ich versuchte ihm zu erklären was ich hier eigentlich wollte und merkte sehr bald, dass ich es mir selber noch mal erklären musste: "Medizinstudentin im 4. Semester, nein noch keine Ärztin, auch keine Spezialisierung, der Kittel und das Stethoskop täuschen, nein operieren kann ich nicht, mein Aufenthalt dient der eigenen Ausbildung und dem kulturellen Austausch, mit dem Französisch: ca va…"
Meine romantische Vorstellung von der idealistischen angehenden Medizinerin, die im afrikanischen Busch die Welt rettet, wich der bitteren Realität und ich war sehr dankbar als Monsieur Gaye mir ein warmes Lächeln gab: "Komm, ich stell dir erstmal die Ärzte vor".
In Deutschland hatte ich über den Verein Freundeskreis Tambacounda e.V. in Hannover erfahren. Unter der Leitung von Karim Sane, gebürtiger Tambacounderaner, macht sich der Verein seit 15 Jahren den kulturellen Austausch zwischen der Stadt Tambacounda im Senegal und verschiedenen Deutschen Städten zur Aufgabe. Weiterhin unterstützt er verschiedene Projekte und Institutionen in Tamba, vor allen Dingen das Solar- und Hygienezentrum, verschiedene Schulen und das Regionalkrankenhaus von Tambacounda. So hatte Karim das vierwöchige Praktikum im Krankenhaus für mich organisiert und den Kontakt zu den Mitgliedern des Freundeskreis Tambacoundas im Senegal hergestellt, die sich sehr herzlich um mich kümmerten.
Chirurgie
Die erste Woche verbrachte ich auf der Chirurgie. Für diese Station mit 13 Betten gib es zwei Ärzte. Sowohl die Arbeit auf Station sowie die Assistenz bei den Operationen wird von Krankenpfleger übernommen. Die Patienten kommen aus einem Umkreis von 200 km, was aufgrund der schlechten Infrastruktur eine Tagesreise bedeutet. Die Krankheitsbilder sind immer weit fortgeschritten, neben Frakturen sind Hernien sehr häufig. Nachdem ich abermals erläutert hatte, dass ich keine Operationen übernehmen könne, fanden die Ärzte und Schwestern gefallen daran, mir jede Einzelheit zu erklären. Selbst im OP brachten sie mir die außerordentliche senegalesische Gastfreundschaft entgegen, und wenn ich gerade keine Fragen stellte wurden mir einfache Handgriffe und Techniken gezeigt.
Ein typischer OP-Saal - Fotos von M. Wilms
Innere Medizin
Anschließend verbrachte ich eine Woche auf der Inneren. Dr. Diop, dem ich auf Schritt und Tritt folgte, macht am Tag ca. 20 Konsultationen und mittags die Visite. Die Morgen waren besonders spannend, lernte ich doch hier ein wenig von dem, wofür es sich für jeden Mediziner einmal lohnt in Afrika zu lernen: Für das gesamte Krankenhaus gibt es ein Röntgengerät, ein EKG und ein Labor in desolatem Zustand. Die sicherste und meist einzige Diagnosestellungsoption beruht folglich auf Anamnese und körperlicher Untersuchung, auf die sehr viel Wert gelegt wird. Aus der Sicht des Medizinstudenten kam hinzu, dass die Befunde meist so weit fortgeschritten waren, dass sie als perfekte Lernbeispiele dienten: Herzgeräusche musste ich mir nicht nur einbilden und Hepatosplenomegalie bekam ganz neue Ausmaße.
Im Gegensatz zu der traurigen Wahrheit in anderen Afrikanischen Ländern ist im Senegal die HIV-Prävalenz mit offiziel 0,8% relativ gering, mit 35% Mortalitätsrate stellt Malaria das größte Problem dar. Aufgrund der weit verbreiteten Chloroquin Resistenz sind Sulphadoxin-Pyrimethamin und Quinine die Mittel der Wahl. Jedoch beklagte Monsieur Diop, dass die Generika, die das Krankenhaus erhält, nicht so wirksam sind, und dass sich auch Resistenzen gegen Quinine einstellen. Ob das nun der Grund für das Therapieversagen ist oder aber eventuelle Fehldiagnosen oder mangelnde Patientencompliance, ist schwer zu sagen, denn es gibt keine Krankenakten (ein Zettel auf den der Arzt seine Anweisungen und die Krankenhausrechnung kritzelt ist alles was an Formalitäten zu erledigen ist) und die wenigsten Patienten kommen nach der Therapie erneut ins Krankenhaus. Der Mangel an epidemiologischen Daten und an Kontrolle des Therapieerfolgs durch fortlaufende Gespräche mit den Patienten erschwerte die Arbeit enorm.
Pädiatrie
Die letzten beiden Wochen verbrachte ich in der Pädiatrie. Dort war jeder Tag hektisch - wahrscheinlich war es nur der ganz normale Wahnsinn in einem afrikanischen Krankenhaus, in dem es einfach an allem mangelt. Ich gab mir beste Mühe, etwas von der afrikanischen Gelassenheit anzunehmen…
Die Mehrzahl der Kinder, die neu aufgenommen wurden, befanden sich in einem komatösen Zustand und hatten schon seit mehreren Wochen oder Monaten Beschwerden. Trotzdem reihten sich ihre Mütter geduldig in die Schlange der Wartenden ein, was mir schwer fiel zu verstehen. Ich versuchte die vermeintliche Lethargie als kulturelle Besonderheit aufzufassen: wahrscheinlich hätte es auch niemandem geholfen in Hysterie auszubrechen.
Folgende Zeilen von Rudolf Seiters Präsident (DRK, FAZ 17.03.05) beschreiben sehr treffend, was den Alltag auf der Pädiatrie bestimmt:
- "Jeden Monat sterben auf der Welt so viele Menschen an den Folgen von verschmutztem Wasser wie durch die Tsunami-Katastrophe"
- "In den vergangenen zehn Jahren starben mehr Kinder an Diarrhöe, als es Opfer in bewaffneten Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg gab"
Durchfallerkrankungen zu vermeiden ist weniger eine Frage der Bildung, es ist einfach nahezu inpraktikabel: in Tamba gibt es nur Grundwasser, das aus Brunnen neben den Häusern kommt. Da es keine Kanalisation gibt und das meiste Abwasser versickert, kann man sich leicht vorstellen, dass das Wasser nicht der nötigen Hygiene entspricht. Es ist utopisch zu denken, dass sich jeder vor dem Essen immer die Hände an dem einzigen Wasserhahn im Innenhof wäscht; der Spielplatz der Kinder ist nun mal auf der Strasse, die staubig ist und voller Tiere.
Ein weiteres Problem stellt die Meningokokken-Meningitis dar. Senegal ist als Teil des "Meningitis-Gürtels" ein Endemie-Gebiet, das sich von der Westküste bis zum Sudan entlang des gesamten Breitengrades erstreckt. Wird die Therapie früh und konsequent durchgeführt, ist die Prognose relativ gut. Jedoch war dies selten der Fall. Eines der Kinder mit Meningitis bekam nach 5 Tagen keine Antibiotika mehr, weil sein Vater sie nicht mehr bezahlen konnte. So wurde es mit Fieberkrämpfen und im Koma liegend entlassen, der Vater erhoffte sich jetzt Hilfe von einem traditionellen Heiler….
Warum ich trotzdem jederzeit wieder nach Westafrika gehen würde? Senegal ist kein Land im Ausnahmezustand, meine Erfahrungen sind Alltag in vielen Afrikanischen Ländern. Vielleicht ist die Krankenversorgung im l'Hopital Regional de Tambacounda nur der Kompromiss zwischen den Bemühungen der Medizin und dem fast schon fatalistischen Akzeptieren des Unbeherrschbaren, jedoch ist es auch die Kunst Akzeptanz in Bemühungen zu wandeln und zu zeigen, wie viel das Leben wert ist.
Zusätzliche Infos
Das LPA erkennt weder Famulatur noch PJ im Senegal an, daher ist es bisher noch nicht zu einem regen Austausch unter Medizinstudenten gekommen. Ein Aufenthalt lohnt sich trotzdem sehr: Der Freundeskreis Tambacounda bietet einen sehr familiären Austausch und beste Betreuung und zeigt besondere Möglichkeiten, sich über die Tätigkeit im Krankenhaus hinaus zu engagieren und Land und Leute lieben zu lernen. Wem es also nicht nur um das Zeugnis geht, dem sei ein Auftenthalt empfohlen.
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