- Bericht
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- Yvonne Kollrack
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- 16.03.2009
Besuch in einer ukrainischen Antarktisstation
Gerade hat Dr. Vadim L. beim zwölften und damit letzten Überwinterungsmitglied einer ukrainischen Antarktisstation seine monatliche Untersuchungsserie abgeschlossen. Es handelt sich um eine der regelmäßigen Aufgaben des Arztes. Die Chirurgin Yvonne Kollrack hat Vadim besucht.
"Useless" Doctor
Neben einer eingehenden körperlichen Untersuchung gehören auch ein EEG, ein EKG und verschiedene laborchemische Blutuntersuchungen zur monatlichen Untersuchungsserie. Während der Doktor die bunte Farbtafel, die der Proband während des EEGs betrachten musste, zurückstellt, erklärt er: "Die verschiedenen Tests sollen Aufschlüsse darüber geben, wie sehr eine Überwinterung in der Dunkelheit des antarktischen Winters den menschlichen Körper beeinflusst. Beispielsweise steigt die Zahl der weißen Blutkörperchen regelmäßig an, wahrscheinlich eine stressbedingte Reaktion, die durch einen erhöhten Cortisol-Spiegel zurückzuführen ist. Aber das müssen wir noch genauer untersuchen."
Dr. L. ist eigentlich gelernter Chirurg, aber in der Antarktis ist er dem Polarfieber verfallen und möchte nach seiner Rückkehr in die Zivilisation seine hier begonnenen Studien fortsetzen. Am liebsten allerdings nicht zuhause in der Ukraine, sondern in einem westeuropäischen Land.
Bis dahin kümmert sich um alle medizinischen Belange der Stationsbesatzung. Doch da die Überwinterer vor der Abreise gründlich medizinisch durchgecheckt und auch "aussortiert" werden, hat er neben seinen Routineuntersuchungen meist nicht viel zu tun. Ein Umstand, den der Stationsleiter Roman zum Anlass nimmt, seinen Doktor als "useless" , also "nutzlos" zu bezeichnen, als er ihn vorstellt.
Der Arzt bestätigt sein geruhsames Dasein, indem er zugibt, sich vorwiegend um kleinere Verletzungen der Forscher oder Verbrennungen des Koches kümmern zu müssen. "Ich könnte hier zwar durchaus eine Appendektomie oder andere kleine bis mittlere Eingriffe durchführen, aber glücklicherweise konnte ich einen Stationsingenieur mit einer inkarzeriereten Hernie noch rechtzeitig ausfliegen lassen."
Ausufernder Konsum selbstgebrauten Wodkas
Während meines Besuches erweist sich der Arzt aber als sehr nützlich: Durch die Unterhaltung und die Führung durch sein kleines Hospital bleibt es mir erspart, an der ausufernden Party der anderen Besucher an einer berühmten Bar teilzunehmen. Dort fliegen, unter Mithilfe rauer Mengen selbstgebrauten Wodkas, bald T-Shirt und sogar BHs beim wilden Tanz durch den Raum. Die "Tradition" will es, dass jeder weibliche Gast, der seinen BH an der Bar hinterlässt, einen Wodka umsonst erhält. Und so hängen an der Wand beachtliche Exemplare.
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Dabei hat Dr. L., den ich bald Vadim nennen darf, in seinem Hospital extra ein Poster aufgehängt, das vor übermäßigem Alkoholgenuss warnt. "Ich habe für den Wodka eine andere Verwendung", berichtet er augenzwinkernd. "Wenn bei einem Kollegen ein Infekt im Anzug ist, schicke ich ihn mit einer Flasche Wodka in die Sauna. Das hilft immer! Es wirkt wie ein Sterilisator."
Ein Chirurg arbeitet als Zahnarzt
Vadim hat tatsächlich einen kleinen Sterilisator in seinem Hospital stehen.
Gefüllt ist er mit zahnärztlichen Instrumenten. "Mein Hauptproblem hier ist der schlechte Zahnstatus, so muss ich viel fachfremd arbeiten. Aber es macht trotzdem Spaß!"
Stolz präsentiert der Arzt mir auch sein Röntgengerät. "Damit führe ich jeweils am Beginn und am Ende der Überwinterung eine Osteodensitometrie durch. Wir erhoffen uns Aufschlüsse für die Pathogenese und Therapiemöglichkeiten der Osteoporose. Die Knochenstruktur der Stationsbesatzung weist gegen Ende des Aufenthaltes eine deutlich schwächere Mineralisation auf. Zum einen führen wir das auf den Sonnen- und damit Vitamin D-Mangel während der Polarnacht zurück, zum anderen auf einen Vitaminmangel durch die fehlende Obstversorgung. Auch externe Vitamin- und Mineralgaben in Tablettenform können diesen Mangel nicht ausgleichen."
Depression und Streit in der Dunkelperiode
Allerdings ist offensichtlich, dass der Röntgenapparat sonst nicht viel in Betrieb ist. Momentan dient er als Gitarrenständer.
Vadim erläutert, dass es wichtig sei, die Truppe bei Laune zu halten. " Sonst verfällt man bei der monatelangen Dunkelperiode in Depressionen und Streit." Das sei auch ein Grund dafür, dass die diesjährige Besatzung nur aus Männern bestünden. Im Jahr davor hatte es bei einer Gruppe aus sechs Frauen und sieben Männern soviel Zwist und Streit gegeben, dass es zu richtiggehenden Zerrüttungen gekommen sei. "Am Ende der Saison wohnte hier nicht mehr eine Gruppe, sondern drei!"
Vadims kleines Reich lässt dagegen keine Depressionen zu. Hell und freundlich eingerichtet besteht es wie ein typisches Arztzimmer noch aus einer Untersuchungsliege und einem Schreibtisch, sowie einem Medikamenten- und Geräteschrank. Auffällig dagegen sind die vielen Ikonenbilder und Schutzheiligen. Doch am meisten stich ein Holzhammer an der Wand ins Auge.
Irgendein Witzbold hat "Anestezy equiment" darauf geschrieben und Vadim beharrt vehement darauf, dass es einer seiner Vorgänger war.
Dann muss ich zum Abschied doch noch den hiesigen Wodka testen.