• Bericht
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  • Anna Vinarskaja
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  • 14.08.2009

Famulatur in der Karibik

Durch Zufall ergab sich für mich die Gelegenheit, eine halbmonatige Pädiatrie-Famulatur auf Sint Maarten in der Karibik zu absolvieren. Wichtigste Lektion: „Poko, poko! – Immer mit der Ruhe!“

Fantastischer Ausblick aufs Karibische Meer - alle Fotos: A. Vinarskaja

 

Sprache

Die französisch-niederländische Insel gehört zu den Niederländischen Antillen in der Karibik und beherbergt als ehemaliger „Sklavenumschlagplatz“ über 180 verschiedene Nationalitäten auf weniger als 100 km².

Dies prägt den Sprachenmix, den man auf beiden Seiten aufschnappt. Die offiziellen Amtssprachen sind Französisch auf der französischen und Niederländisch sowie Englisch auf der niederländischen Seite.

Obwohl ich nur des Englischen wirklich mächtig bin, war dies überhaupt kein Problem – abgesehen von missverstandenen Bestellungen im französischen Restaurant.

Bezahlung

So kosmopolitisch wie die Bevölkerung sind übrigens auch die Zahlungsmöglichkeiten: Dollar, Euro, Antillen-Gulden sind akzeptiert, sogar in den großen Supermärkten im amerikanischen Stil (selbst das Trinkgeld für die „Tüten-Packer“ eingeschlossen).

Tourismus

Besonders beliebt ist die Insel bei nordamerikanischen Touristen auf ihrer Kreuzfahrtroute, was extrem deutlich wird. So besteht die Hauptstadt Philipsburg hauptsächlich aus Juweliergeschäften und Casinos und alle Museen schließen um 16.00 Uhr, denn dann müssen die Passagiere wieder auf die Schiffe. Ab dann wirkt die Stadt fast wie ausgestorben.

Sightseeing

 

Der weltberühmte Strand: Jets beinahe zum Anfassen

Die mit Abstand berühmteste Attraktion ist der Flughafen. Die landenden Flugzeuge schweben nur wenige Meter über den Köpfen der Sonnenanbeter hinweg, die am Strand direkt vor der Landebahn liegen. Ein atemberaubendes und Respekt einflößendes Gefühl!
Nicht nur Jumbojets fliegen mehrmals am Tag, sondern auch kleine Propellerflugzeuge, mit denen man die Nachbarinseln besuchen kann.

Besonders empfehlenswert sind St. Eustasius mit viel Geschichte und Saba mit dem kleinsten kommerziellen Flughafen der Welt.

Aber auch auf St. Martin selbst kann man einige Ausflüge zu alten Militäranlagen machen, lange Strandspaziergänge genießen, gut essen gehen oder in einem der zahlreichen Clubs tanzen. Ganz groß wird natürlich der Wassersport geschrieben, genauso wie die vielen teuren Yachten, die in der Hochsaison anlegen.

Doch genug zu den Sehenswürdigkeiten, schließlich bin ich vor allem zum Famulieren dorthin gekommen.

Das Krankenhaus

Das „Sint Maarten Medical Center“ ist die einzige Klinik auf der holländischen Seite und beherbergt auch den einzigen Kinderarzt dort. Etwa ein Mal im Monat kommt eine zusätzliche Kinderärztin von einer Nachbarinsel für wenige Tage um zu helfen.

Die Kinderstation hat knapp ein Dutzend Zimmer, die jedoch recht spärlich belegt waren - hauptsächlich mit Magen-Darm-Infekten und damit verbundenen Dehydratationen.

Außerdem gab es einen abgetrennten Bereich für Säuglinge, die liebevoll von den Schwestern rund um die Uhr gepflegt wurden.

 

Die Kinderstation

Die Architektur ist sehr unterschiedlich von der hiesigen. Das Gebäude ist komplett offen gebaut, d.h. die nach innen gehenden Wände lassen sich zusammen schieben und der Innenhof bzw. der Eingangsbereich ist nicht überdacht und beinhaltet einen kleinen Garten mit Palmen.

Somit weht ein ständiger Durchzug durch die ohnehin schon klimatisierten Räume. Das „verweht die Bazillen" angeblich, weshalb man auch keine Probleme mit nosokomialen Infektionen habe!

 

Einladende Eingangshalle mit Palmen und Sonnenschein inmitten der Klinik

 

Die Ausstattung der Klinik ist zwar recht gut, entspricht aber doch nicht einem Zentrum der Maximalversorgung.

Dadurch müssen viele schwer Kranke mit jeweils einem Elternteil nach Aruba oder Curaçao fliegen, um sich im dortigen, besser ausgestatteten Krankenhaus behandeln zu lassen. Ohne gültige Papiere gestaltet sich dies jedoch fast unmöglich und abenteuerlich.

Der Arbeitsalltag

Tagesablauf

Mein Tag begann stets pünktlich (!) um 7.30 Uhr. Dienstags und donnerstags war bereits am Nachmittag Schluss, an den übrigen Tagen blieb ich jedoch bis mindestens 17.00 Uhr. Zwischendurch gab es eine strikt eingehaltene Mittagspause für ein bis zwei Stunden, je nachdem wie lang die Vormittagssprechstunde ging.

Das Arbeitsklima war merklich entspannter und entschleunigter als ich es von deutschen Kliniken her kenne. Eine nette Erfahrung, an die man sich wohl besser nicht zu sehr gewöhnen sollte.

Morgens fing es mit der Visite der Station an. Dabei tauschten sich Arzt, Studenten und Schwestern auf einem sehr kollegialen Niveau aus.
Danach ging es in die im Krankenhaus eingebundene Praxis, wo bereits die ersten kleinen Patienten warteten.

Die Gespräche wurden fast alle auf Englisch geführt, nur teilweise auf Niederländisch. In Ausnahmefällen sprach man aber genauso Französisch oder kreolische Dialekte.

Ich durfte die körperliche Untersuchung durchführen mit Auskultation, Perkussion, in Ohren und Rachen schauen etc. Für die Blutentnahmen waren spezielle Laborärzte verantwortlich.

Alle Kinder wurden standardmäßig gewogen und gemessen, um alles in einen „Kinderpass“ einzutragen. Dieser muss beispielsweise bei der Einschulung vorgezeigt werden, um alle Impfungen zu belegen – ansonsten darf man nicht zur Schule.

Erkrankungen

Die meisten Beschwerden waren allergischer Natur wie Atemwegsprobleme, Ausschläge, Asthma. Ausgerechnet während meines Aufenthaltes brach eine Windpockenepidemie aus, obwohl diese Krankheit normalerweise gar nicht auf der Insel vorkommt.

Besondere Erfahrungen

Abgesehen vom "Tagesgeschäft" gab es auch sehr außergewöhnliche Fälle, die man nicht unbedingt in Deutschland zu Gesicht bekäme.

So musste eine HIV-positive Mutter zur Vernunft gebracht werden, die aus schlechtem Gewissen ihr Baby überfütterte.

Ein anderes 12-jähriges Mädchen mit einem äußerst seltenen neurologischen Syndrom mit geistiger Retardierung hatte einen sehr stark ausgeprägten Hydrozephalus, den sie nicht mehr selbst halten konnte – obwohl dies mit mehr elterlichem Engagement eigentlich nicht hätte so weit kommen müssen.

Besonders waren auch einige Sichelzellanämie-Patienten mit und ohne Beschwerden.

Eine 14-jährige Schülerin brachte bei sich zu Hause ein geistig und körperlich behindertes Kind zur Welt, weil die Sauerstoffversorgung während Geburtskomplikationen zu lange unterbunden war. Deshalb wurden nicht nur die Großeltern der Mutter, sondern die gesamte Gemeinde mobilisiert, um zu helfen.

Solche Fälle bleiben einem noch lange im Gedächtnis. Genauso wie rechtliche und ökonomische Probleme, denen man in der Heimat einfach nicht bewusst ist. Kinder tauchen ständig unter verschiedenen Namen in der Praxis auf, weil die Familie illegal im Lande ist, keine oder gleich mehrere Krankenversicherungen besitzt. Es ist traurig, wenn man wichtige Diagnoseschritte nicht anordnen kann, weil sich die Eltern diese nicht leisten können.

Die Kollegen

Die Belegschaft im Krankenhaus ist vom sozialen Background ziemlich zweigeteilt. Auffällig war, dass die Mehrheit der Ärzte weiß, fast alle Pflegeangestellten dunkelhäutig waren, abgesehen von den holländischen Pflege-/Schwesternschülern, die einen Teil ihrer Ausbildung dort absolvieren.

Das können auch Studenten. Das niederländische Medizinstudium besteht im klinischen Abschnitt aus je zweimonatigen Praktika in allen Fachabteilungen, also bleiben sie dementsprechend länger.

Organisation

Da ich etwas außerplanmäßig dazu gestoßen bin, war noch ein anderer Praktikant dabei. Ich habe nämlich direkt beim entsprechenden Doktor angefragt und habe somit das „offizielle Ausbildungsbüro“ umgangen, da dort nur Aufenthalte von mindestens zwei Monaten bewilligt werden.

Fazit

Auch wenn das Krankenhaus fast auf europäischem Niveau ausgestattet ist, merkt man doch, dass man sich in einem Entwicklungsland befindet.

Während man hierzulande beharrlich über die ausufernde Bürokratie meckert, hat man auf Sint Maarten ganz andere Probleme. Es ist belastend zu wissen, dass durch vergleichsweise einfache Maßnahmen schwerwiegenden Krankheiten vorgebeugt werden kann – und die Eltern es sich einfach nicht leisten können.

Ich lernte essentiellere Probleme kennen und weiß unser viel kritisiertes Gesundheitssystem mehr zu schätzen.

Die zwar kurze, aber wertvolle Zeit bleibt mir noch lange erhalten!

 

Gipfelstürmen auf St. Eustasius

 

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