- Bericht
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- Marie-Violet Hawkridge
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- 09.06.2017
PJ Chirurgie am Severance Hospital in Seoul
Marie-Violet hat zwei Monate ihres Chirurgie Tertials in Seoul an der Yonsei Universität verbracht. Hier berichtet sie über die Zeit im Krankenhaus, Land und Leute und gibt wertvolle Tipps für Interessierte.
Motivation
Ich habe mir Südkorea ausgesucht, weil dort die größte Rate an plastischen Eingriffen weltweit durchgeführt werden und ich an dieser Fachrichtung interessiert bin. Somit ist es ein idealer Ort, um sich die Techniken anzusehen. Leider konnte ich allerdings nicht an eine Klinik mit plastischer Chirurgie, diese sind nämlich meist privat und daher wird ein Praktikum dort in Deutschland nicht angerechnet.
Bewerbung
Da Yonsei eine Partner-Uni der Goethe-Universität ist, gestaltete sich die Bewerbung problemlos. Alle Informationen erhielt ich von Christina Völker vom International Office in Niederrad (Medizin Campus Frankfurt), die Bewerbungsunterlagen wurden von ihr weitergegeben. Laut Frau Völker ist eine Bewerbung auch relativ kurzfristig noch erfolgsversprechend. Sie war eine riesen Hilfe und stets sehr schnell mit ihren Antworten.
Anreise
Da ich meinen Flug schon ein gutes halbes Jahr im Voraus gebucht hatte, kostete der Hin- und Rückflug zusammen nur ca. 500€. Ich flog mit Air China und hatte somit einen Stopover in Beijing. Wenn man länger als 6 Stunden Aufenthalt hat, lohnt sich ein Trip in die Stadt. Ein Visum ist hierfür nicht notwendig. Einfach bei dem Transfer and den kleinen Schalter FAST ganz links in der Halle gehen und man bekommt problemlos ein 24h Visum vor Ort. Die Verbotene Stadt hat montags geschlossen, in die Snack Street würde ich erst gehen, nachdem man gegessen hat. Sonst vergeht einem der Appetit ziemlich gründlich.
AirChina ist ein Star Alliance Member und soll einigermaßen sicher sein. Die Sitzplätze sind an asiatische Größen angepasst, was für mich kein Problem war, aber für große Jungs empfehle ich einen Platz am Ausgang mit mehr Fußraum. Man erhält leider keine Schlafmaske, Zahnbürste oder Socken. Filme und persönliche Bildschirme sind vorhanden. Das Essen an Bord ist grauenhaft. Mit Gepäck und Transfer hatte ich keinerlei Probleme.
In Seoul gibt es zwei Flughäfen: Incheon ist der größere, er ist weiter außerhalb gelegen. Gimpo ist nur 14 km von der Innenstadt entfernt und bei meiner Ankunft ging alles wie geschmiert. Kaum Schlange stehen und mein Gepäck kam auch sofort. Vom Flughafen fährt der Bus 601 ab Haltestelle 4 direkt bei der Arrival Ausgangstür ohne Umsteigen zur Yonsei Universität.
Mit Diebstahl scheint es in Korea nicht so viele Probleme zu geben, die Fahrräder, die ich hier gesehen habe, wären in Frankfurt schon zehnmal geklaut worden. Auch in der OP Umkleide (ich hatte leider keinen eigenen Spind) schien niemand Diebe zu erwarten. Viele Schwestern ließen den Spindschlüssel immer stecken. Ich hatte mir eine Reiserücktrittsversicherung besorgt, hauptsächlich wegen der politischen Situation um Nordkorea.
Formalitäten
Meine Kontaktperson in Seoul war Frau Kim, Soojung (Kim ist der Nachname). Auch als ich im Land war habe ich meine Fragen möglichstes via E-mail (KSJ1@yuhs.ac) an sie gerichtet, da ihr Akzent sehr sehr unverständlich ist. Am ersten Tag erhielt ich eine Studenten-ID, einen Zugangsscan (Vascular Pattern Recognition!!!) zum OP und eine Führung übers Klinikgelände. Stempel und Unterschriften vom Vice Dean erhielt ich auch über Frau Kim.
Wohnsituation und –tipps
Die Yonsei Universität bietet Wohnplätze im Studentenwohnheim an. Da Seoul und vor allem diese Gegend sehr teuer ist, habe ich mir nur ein Bett in einem 2-er Zimmer gemietet. Das hat trotzdem 500 € pro Monat gekostet. Das Studentenwohnheim (Chejung House) liegt 5 Minuten vom Klinikum entfernt und ist erst im März 2017 eröffnet worden. Die Zimmer sind sehr klein aber modern. Es gibt keinerlei Kochmöglichkeiten sondern nur einen Aufenthaltsraum mit Mikrowelle und kaltem sowie kochendem Wasserspender. Bettwäsche und Bettzeug ist vorhanden. Waschmaschinen, Trockner und Bügeleisen gibt es auf jedem Stockwerk.
Mittags bin ich immer auf dem Klinikgelände in die Cafeteria gegangen. Ein Essen in der normalen Mensa kostete ca. 3 €, in einer extra Mensa im OP Bereich war es umsonst. Rund um das Wohnheim gibt es günstige Restaurants (ca. 4 € pro Mahlzeit), merkwürdigerweise kostet ein Kaffee oder ähnliches im Coffeeshop ca 7 €! Auch andere Lebensmittel sind recht teuer. Milch und Müsli kosten doppelt so viel wie in Deutschland. Da es kaum gescheites Brot, keine Teller und erst recht keine Messer in Südkorea gibt, habe ich mich ansonsten von Müsli und Fertigsuppen ernährt. Einigermaßen vernünftiges Müsli gibt es im großen Supermarkt Homeplus, der nächste ist bei der Metrostation Hapjeong.
Die nächste Bushaltestelle beim Wohnheim ist „Ewha Womens University, Back Gate“ (이대후문 spricht sich „Ih-dä Hu-mun“). Dort hält der Bus 601 vom Flughafen und von dort kommt man einfach in die Innenstadt.
Die Gastinstitution/Praktikumsstelle
Die Yonsei Universität ist eine von vielen Unis in Seoul, das ihr angeschlossene Severance Hospital ist das „erste und beste“ Krankenhaus in Südkorea und damit eines der drei großen Krankenhäuser von Seoul. Es wurde 1885 von einem Briten gegründet. Technisch ist das Severance Hospital hervorragend ausgestattet, es stehen acht Da Vinci Roboter parat! Das Krankenhaus und diverse medizinische Institute befinden sich auf dem Campus der Yonsei Universität. Gar nicht weit davon liegt ein Stadtviertel namen Ih-dae – voll mit Geschäften, Cafés und Restaurants für Studenten und alle, die Trubel suchen.
Klinikleben
Mein zweimonatiges Praktikum verbrachte ich in zwei Bereichen: einen Monat in Intensive Care & Trauma Surgery, den zweiten in Breast Surgery. Die Tage auf der Intensivstation begannen um 8 Uhr mit einer ca. 1-stündigen Besprechung mit Präsentation der Patienten, Analyse von MRT und Röntgenbildern und Therapieplanung. Kurven gibt es nur digital, alles wird per Beamer an die Wand geworfen. Zwar war alles auf Koreanisch, aber die medizinischen Fachbegriffe und OP-Berichte sind auf Englisch, daher bekommt man schon mit, um was es geht. Anfangs wurde extra für mich übersetzt, dies wurde aber mit der Zeit reduziert. Dann folgte die Visite. Statt wie in Deutschland durch die Zimmer zu hetzen, schien man hier sehr viel Zeit zu haben; zwar nicht unbedingt für Patientenkontakt, aber dafür zum Besprechen. Dabei erklärte der Prof häufig sehr ausführlich für immer anwesende Studenten und mich.
Da die Patienten auf mehreren Stockwerken in verschiedenen Stationen verteilt waren, nahmen die Wege und Aufzugwartezeiten auch recht viel Zeit in Anspruch. Gegen Mittag war die Visite fertig und ich wurde in die Mittagspause entlassen. Nachmittags fanden regelmäßig Journal Clubs und Fortbildungen statt, an denen ich immer teilnahm. OPs gab es recht selten. Leider konnte ich nur zusehen und nicht mit an den Tisch. Einmal nahm mich der Prof ins „Simulation Center“ zum studentischen Nahtkurs mit. Da ich schon einige OP Erfahrung hatte und auch keine Probleme mit Nähen, war der Anfängerkurs leider etwas langweilig.
Die Kollegen und auch der Professor waren alle sehr nett und bemühten sich mit Erklärungen, allerdings sind Koreaner auch wenn sie einigermaßen Englisch sprechen häufig nur schwierig zu verstehen. Da manche Konsonanten in ihrer Sprache nicht vorkommen, werden sie auch im Englischen einfach mit anderen ersetzt. Beispielsweise wird aus „severe wound“ ein „seber ound“. An mehreren Gelegenheiten gingen alle Kollegen mit dem Professor essen und er bezahlte für alle. In Korea ist es Sitte, dass der Älteste oder der der einlädt bezahlt.
© Marie-Violet Hawkridge
Eines Abends sind wir traditionell koreanisch Seafood essen gegangen. Als eine riesen Schüssel voller Muscheln mitten im Tisch auf die Flamme gesetzt wurde, war ich beeindruckt. Aber der richtige Schock kam, als der Kellner einen LEBENDEN Oktopus hineinsetzte!
Während das Tier zu entkommen versuchte (und mich dabei nass gespritzt hat), priesen meine begeisterten Kollegen an, dass das Essen wirklich frisch sei! Deckel drauf, 15 Minuten köcheln und guten Appetit! Ich habe auch alles probiert und es war köstlich! Oktopus schmeckt allerdings selbst frisch nicht nach besonders viel, hauptsächlich nach der scharfen Soße.
Ein paar Sachen sind mir auf den Stationen aufgefallen: Röntgenaufnahmen im Bett werden in jedem Krankenzimmer gemacht, ohne dass Mitpatienten oder Besuch das Zimmer verlassen oder auch nur Röntgenschutz tragen müssen. Einige der MTAs hatten nicht mal eine Bleiweste an! Auf der Intensivstation waren 20-40% der Patienten an Armen und/oder Beinen fixiert, egal ob sie bei Bewusstsein waren oder nicht. Wer zappelte oder sich vor Schmerzen wand und somit die Kabel und Schläuche in Gefahr brachte, wurde festgebunden.
Der zweite Teil bei den Brustchirurgen enthielt für mich zwar mehr Klinik bezogene Action, allerding waren die Kollegen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und haben eigentlich gar nicht mit mir gesprochen. Der Tagesablauf in der Breast Surgery war von OPs bestimmt. Wiederum ab morgens 8 Uhr schaute ich entweder zu oder hielt als 3. Assistentin Haken oder Sauger. Das Repertoire umfasste Lumpectomy, Partial Mastectomy, Modified Radical Mastectomy, Sentinel Lymph Node Biopsy und Axillary Lymph Node Dissection. Der Professor dieser Abteilung unterhielt sich regelmäßig mit mir und empfahl mir Artikel für meine Research Tage. Dienstags und donnerstags fanden für ihn keine OPs statt, daher wurde entschieden, dass ich besser auch nicht kommen brauchte und stattdessen Research machen konnte.
Das kam mir sehr entgegen, da ich so an meiner Dissertation weiterschreiben konnte. Die vorgeschlagenen Paper besprach ich regelmäßig mit dem Prof. Er nahm sich wirklich mehrfach eine Stunde Zeit, um mir in seinem Büro einen Vortrag über diverse Brustchirurgische Themen zu halten. Am Ende eines jeden Abschnitts lud der jeweilige Prof mich und die Kollegen zum Essen ein.
Dresscode und Manieren
In Südkorea tragen Ärztinnen und Ärzte häufig keine langen Kittel, sondern eher weiße Sackos aus Baumwolle. Darunter tragen manche schicke Kasacks aus Kunststoff. Die meisten und vor allem die Studenten tragen sehr formelle Kleidung: Hemd und Krawatte, Bluse und Pumps. Ich hatte auf Nachfrage Kittel mitgebracht. Die Länge fiel nicht so auf, einige Koreaner hatten auch lange Kittel. Auch die Tatsache, dass ich als einzige Jeans und Poloshirt trug war kein Problem. Was mir allerding WIRKLICH PEINLICH war, waren die Krankenhauskittel! Da ich nur einen einzigen eigenen habe, hatte ich ein paar Kittel zum Wechseln aus meinem deutschen PJ Krankenhaus mitgebracht.
Allerdings ist in Deutschland XS immer noch so groß, dass ich aussah, als hätte ich den Kittel von meinem Vater ausgeliehen! Das liegt wohl daran, dass deutsche Krankenhäuser nicht in Damenkittel investieren, sondern einfach Herrengröße XS einer Damengröße 38 gleichsetzen. In Deutschland mag es nicht so auffallen, wenn die meisten Ärztinnen in übergroßen Kitteln mit hochgekrempelten Ärmeln herumlaufen, aber umringt von Koreanern in perfekt sitzenden Kittel-Sakkos war das nicht sehr angenehm.
In Südkorea schüttelt man sich nicht die Hand, man verbeugt sich. Vor allem die Studenten verbeugen sich vor jedem mit weißem Kittel. Vor allem Älteren und hierarchisch Höhergestellten wird sehr viel Respekt gezollt. Die Interns auf der Intensiv waren z.B. hauptsächlich damit beschäftigt, dem Prof die Türen aufzumachen. An Ausländer hat man allerdings keine großen Erwartungen und mich hat auch nie ein Prof oder Arzt von oben herab behandelt.
Bibliotheken und Fachbereichs-Infos
Am ersten Tag erhielt ich eine Studenten ID mit der ich Zutritt zur Bibliothek und zu den dort vorhandenen Computern mit Internet hatte. In meiner Mittagspause verbrachte ich dort viel Zeit mit Research. Während des Teils in der Intensiv, fand montags um 7 Uhr morgens immer eine einstündige Vorlesung statt, an der ich auch teilnahm. Ansonsten hatte ich keine Seminare oder Vorlesungen für Studenten. An Konferenzen hätte ich teilnehmen können, da diese aber meist am Wochenende und größtenteils auf Koreanisch waren, entschied ich mich dagegen.
Internet und Google
In Seoul gibt es in fast allen Coffeshops Free WiFi, ebenso im Wohnheim. Allerdings verwendet man dort nicht Google sondern Naver oder Daum als Suchmaschinen. Daher sind Google Suchergebnisse häufig spärlich oder veraltet. Google Maps ist sehr ungenau und ebenfalls veraltet. Open Street Map oder Karten der oben genannten Suchmaschinen sind wesentlich präziser.
Transportmittel
Die öffentlichen Transportmittel in Seoul sind supergünstig. Egal ob Bus oder Metro, mit ca. 1,10 € kann man 15 km fahren, umsteigen so oft man will und wenn man seinen Einkauf innerhalb von 30 Minuten schafft, kostet die Weiterfahrt nichts. Allerdings ist die Anzahl an Bussen und Abwesenheit von Karten sehr verwirrend. Ich empfehle die App „Kakao Map“, ansonsten kommt man nie mit den Bussen klar. Allerdings braucht man dafür die Koreanische Tastatur. Aber: Koreanisch ist einfach! Das Alphabet hat nur 26 Buchstaben und sobald man weiß wie sie ausgesprochen werden, kann man es superleicht lesen und schreiben, es lohnt sich echt! Man muss nicht wissen was es heißt, die Namen der Bushaltestellen erkennen reicht schon.
Ich habe mir am Flughafen direkt im 7eleven eine T-moneycard gekauft. Damit bezahlt man im Bus und es kostet weniger, lohnt sich!
Freizeit
Seoul ist eine Großstadt, dafür ist sie zwar recht sauber, aber die Luftqualität ist eher schlecht. Es hängt permanent eine Dunstglocke über Südkorea, was wohl von den chinesischen Fabriken kommt. Leider gibt es auch kaum Mülleimer, darum liegt in jeder Ecke Abfall rum. Ansonsten ist alles bunt, blinkt und blüht. Korea gibt echt Geld für Blüten aus! Es gibt eine offizielle koreanische Touristenwebsite, die findet man sofort, genauso wie die Ecken, die man unbedingt sehen sollte. Mir hat Insadong am besten gefallen. Kleiner Tipp für Leute die gerne Basteln: Das Untergeschoss vom Ssamziegil!!!
Was man in Korea auf jeden Fall machen muss, ist essen gehen. Seafood in allen Varianten, Fried Chicken und Bier, unbedingt die Köstlichkeiten auf den zahllosen Märkten an den Fressbuden probieren und natürlich das Korean Barbecue mit Tischgrill! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Meeresfrüchte gegessen wie hier, mittlerweile kommen mir die Tentakel zu den Ohren raus.
Die koreanischen Studenten sind ziemlich zurückhaltend. Häufig wegen der Sprachbarriere aber vermutlich auch wegen der ausgeprägten Hierarchie im Klinikum, die sich wohl auch auf ihr Privatleben auswirkt. Da im Studentenwohnheim viele ausländische Studenten untergebracht sind, habe ich eher mit ihnen Ausflüge unternommen.
Ich war im Frühjahr in Südkorea und das ist auch die allerbeste Zeit. Nicht zu heiß, nicht zu kalt und man bekommt das Kirschblütenfest mit! Was sich echt lohnen soll, ist ein Ausflug nach Jeju Island im Süden von Südkorea. Eine wunderschöne Insel, chinesische Touristen dürfen wohl nicht mehr dort Urlaub machen - Beijing hats verboten.
Finanzielle Aufwendungen
Flug: siehe oben
Im Vergleich mit Deutschland ist..
..Essen gehen günstiger bis gleich teuer.
..im Supermarkt einkaufen doppelt so teuer.
..sind öffentliche Verkehrsmittel wesentlich billiger.
..Wohnen teurer.
Fazit
Die Ausbildung der koreanischen Studenten ist hauptsächlich theoretisch. Davon bekommt man als Ausländer leider nicht viel mit weil alles auf Koreanisch ist. Natürlich ist es interessant zu sehen wie ein Gesundheitssystem in einem anderen Land ist, aber ich hatte mir eher vorgestellt vor allem im OP einen aktiveren Part zu haben. Die Menschen allerdings sind sehr nett und bemühen sich alles zu erklären. Kultur, Land und Leute, das Essen, die Märkte und Sehenswürdigkeiten sind alle absolut einen Trip wert!
Viel Spaß!
Marie-Violet Hawkridge