• Bericht
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  • Benjamin Senst
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  • 07.01.2013

Eine Famulatur in Adana, Türkei

Auf der Grenze zwischen Okzident und Orient liegt die Türkei. Ein Land, das sich vom Rest Europas abhebt. Im Sommer 2012 habe ich in Adana gearbeitet, weil ich Medizin in einem anderen Kontext erleben wollte - eine andere Sprache lernen, eine andere Kultur erfahren und Gesundheitsversorgung von einer anderen Warte aus betrachten.

Diese erste Auslandsfamulatur organisierte ich über die AMSA, die österreichische Vereinigung der Medizinstudierenden. Im Stress des laufenden Semesters habe ich erst spät begonnen zu suchen. Glücklicherweise vergibt die AMSA Famulaturen auch noch nach dem eigentlichen Bewerbungsschluss sogenannte Restplätze. Da mein Entschluss in die Türkei zu gehen schon vorher feststand, hat sich das restliche Bewerbungsverfahren einfach und unkompliziert gestaltet - Bewerbungsformular ausfüllen, Dokumente sammeln und alles in den AMSA/IFMSA Online Dienst hochladen. Wenn man sich in ein anderes Land aufmacht, muss man sich außerdem noch mit anderen Angelegenheiten befassen.
Da ist die Frage nach den nötigen Impfungen. Neben den Impfungen, die jeder Medizinstudent vorweisen sollte, werden die Impfungen gegen Tollwut und sogar das Malaria Sofort Kit empfohlen. Ich habe auf weitere Impfungen und Vorkehrungen verzichtet. Die bei uns bekannten Impfungen reichen vollkommen aus. Jedoch sollte man eine gewisse Lebensmittel und Trinkwasserhygiene nicht vergessen.

 

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Wie sieht es mit der Sprache aus?

Als Vorbereitung auf meine Famulatur habe ich während des Semesters Türkisch gelernt. Und wie ich später feststellen sollte, hat es sich gelohnt. Denn nur wenige Ärzte sprechen Englisch. Es ließen sich schnell diejenigen ausfindig machen, die gerne ihre Fremdsprachkenntnisse anwenden. Und schließlich gab es sogar einen Professor, dem es offensichtlich auch noch Freude bereitet hat in Englisch zu kommunizieren. Für den Kontakt zu den Patienten und den Alltag außerhalb des Spitals war ich alleine auf meine elementaren Türkischkenntnisse gestellt. Und es hat funktioniert. Der Small Talk mit dem Busfahrer, Einkaufen im Bazar, bestellen im Restaurant - eine große Freude. Zum Lernen empfehlen sich busuu.com und das Thieme Buch und Audio Deutsch-Türkisch für Gesundheitsberufe. Ich habe zusätzlich die Möglichkeit eines Sprachtandems an meiner Uni genutzt.

Das Reisen in die Türkei ist ohne bürokratischen Hürden möglich gewesen. Die Formalitäten werden im Handumdrehen bei Einreise und Ausreise erledigt. Es wird empfohlen, eine Zusatzversicherung oder Reiseversicherung abzuschließen.
Wer in diese Region der Welt reist, sollte offen sein für eine der westlichen Kultur verschiedenen Lebensweise und Religion
. Die Türkei habe ich als weitestgehend liberal in wirtschaftlichen und religiösen Punkten kennengelernt. Diese Unterschiede zu entdecken und zu erfahren, sind für mich eine der Motivationsgründe für die Famulatur gewesen. Millionenstädte, Moscheen, die Rufe des Muezzin. Als Beispiel für den Einfluss der Religion: Es ist uns häufig passiert, dass wir - nachdem wir uns vorgestellt hatten - Erklärungen zu unseren Vornamen erhalten haben. Dem christlichen/jüdischen Hintergrund der Namen wurden dann die arabischen/islamischen Entsprechungen gegenübergestellt. Interessant, welche Verbindungen zwischen den verschiedenen Religionen mit ihren beeindruckenden Historien bestehen - und darüber hinaus gibt es sehr viele Gemeinsamkeiten.

 

 

Leider muss man sich auch der Sicherheitslage im Vorfeld bewusst sein. Das Auswärtige Amt beschreibt für den Aufenthalt in der Türkei keine größeren Gefahren, weist aber auf die Gefahr durch Terror hin. In diesem Sommer ist es wiederholt zu Anschlägen durch die PKK gekommen (eine kurdische Arbeiterorganisation mit dem Ziel einen Staat Kurdistan zu errichten).
In Adana angekommen, lernte ich meinen Arbeitsplatz kennen. Das Balcali Universitätsklinikum Adana beherbergt alle medizinischen Disziplinen. Mit seinen 1200 Betten ist es eines/ ist es das größte Spital im Südosten der Türkei. Das Patientengut ist sehr vielfältig - Schussverletzungen, schwere Infektionen, Tumoren in späten Stadien. Seit der Einführung der Green Card besitzt jeder türkische Bürger Zugang zum Gesundheitssystem. Neben der öffentlichen Versorgung gibt es eine ausgeprägte private Gesundheitswirtschaft, die sich durch internationale Spitzenmedizin auszeichnet und Gesundheitstourismus anzieht.
Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit wunderte ich mich über die vielen Menschen, die sich im Umfeld des Krankenhauses befinden. Die Familie ist von großer Bedeutung dort. Sobald ein Familienmitglied ins Spital muss, folgen ihm meist die anderen. Das hat auch einen organisatorischen Sinn. Die Familie übernimmt pflegerische Tätigkeiten und erledigt Patiententransporte, so auch Hol- und Bringdienste (Labor etc.). Auf den Grünflächen um das Krankenhaus herum trifft man meist viele Menschen an. Während ihr Verwandter im Krankenhaus liegt, verbringen sie Tag und Nacht in seiner Nähe vor dem Krankenhaus.

Ich arbeitete in der allgemeinchirurgischen Abteilung und zusätzlich in der Notaufnahme. In der Türkei hat man mit der Einführung der Spezialisierung zum Notfallmediziner auch die Organisation der Notaufnahmen neu gestaltet. Als eigene Station stellt sie die erste Anlaufstelle für akute Erkrankungen und Notfälle dar. Ein Prinzip ähnlich dem angloamerikanischen System. Das Emergency Department umfasste neben mehreren Kabinen zur Ersteinschätzung eigene Überwachungsbetten, Intensivbetten und Notfallradiologie. Patienten können dort mehrere Tage betreut werden, andere Abteilungen werden für Konsilien hinzugezogen und schließlich teilt man Patienten auf entsprechende Stationen zu.
Gleich darüber befindet sich das große Operationszentrum für alle operativen Disziplinen, oftmals bin ich zwischen den beiden Etagen gependelt. Im Hauptgebäude liegt die allgemeinchirurgische Bettenstation, die aus zwei Seiten mit je ca. 24 Betten besteht. Im Neubau gibt es die Poliklinik für Tagespatienten.
Türkische Ärzte beschaffen sich ihre Ausrüstung und Kleidung selbst.
Dadurch ist ihr Erscheinungsbild sehr heterogen. Jedoch ist das Stethoskop - natürlich um den Hals gehängt - ein absolutes Muss. Und auch ich habe mich entsprechend "verkleidet".

 

Mein Tagesablauf in der Klinik

Mein Tagesablauf gestaltete sich in etwa folgendermaßen:

8:30 Operationsbeginn
10:30 Visite und Bedside-teaching im Emergency Department
12:00 Mittagspause
12:30 Operationen
15:00 Dienstschluss

Wie waren Unterkunft und Verpflegung?

Unsere Unterkunft war ziemlich modern, sauber, ordentlich und sicher. Das Research Assistants Home ist das Heim für Erasmusstudenten und uns Famulanten. Wir waren zu zweit in Appartements untergebracht. Sehr wichtig zum Leben in Adana ist eine Klimaanlage; denn während des Hochsommers kühlt es sich sogar in der Nacht nur auf 25 Grad ab.
Das Leben in der Türkei ist verhältnismäßig günstig. Alle Kosten für die vier Wochen habe ich in der Tabelle zusammengestellt:

AMSA (Unterkunft, Mittag- und Abendessen) 395€
Flug und Reiseversicherung 300€
Lebenskosten (Bus, Lebensmittel, Freizeit) Ca. 80€
Summe 775€

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