• Bericht
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  • Bente Flittiger
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  • 09.10.2006

Famulatur in der Gynäkologie in Szeged

Für mich war die Zeit gekommen, mir ein anderes Land und dessen medizinische Versorgung anzusehen. Deshalb absolvierte ich eine Famulatur in Szeged in Ungarn. Im Folgenden werde ich darüber berichten, wie ich diesen Aufenthalt vorbereitet habe und welche positiven und negativen Erfahrungen ich während des Aufenthaltes machen konnte.

Motivation und Vorbereitung

Anstatt mich direkt bei Krankenhäusern zu bewerben, habe ich den Weg über eine Organisation gewählt. Ich habe mich beim deutschen Famulantenaustausch (dfa) zunächst für einen Famulaturplatz in Norwegen beworben. Die Bewerbungen für die Famulaturen in den Sommersemesterferien müssen bis zum 15.12. des Vorjahres beziehungsweise für die Famulaturen in den Wintersemesterferien bis zum 15.07. des Vorjahres beim dfa eingegangen sein. Die Kosten für die Bewerbungen belaufen sich auf 100€. Da es sich dabei um einen bilateralen Austausch handelt, entstehen zumindest für die Unterbringung keine weiteren Kosten.
Da aus Norwegen eine Absage kam, habe ich mich in einem zweiten Anlauf beim dfa für Ungarn beworben. Mich interessierte Ungarn unter anderem, weil neben Ungarisch auch Englisch und Deutsch als Sprachen möglich waren. Außerdem waren heiße sommerliche Temperaturen zu erwarten. Also warum nicht Ungarn? Mein Wunsch war, in Budapest einen Platz zu bekommen. Da dies wohl der Wunsch von vielen ist, bin ich letztendlich in Szeged gelandet.

 

Anreise, Vorbereitungen

Da Ungarn Mitglied der EU ist, ist kein Visum erforderlich. Voraussetzung für die Famulatur ist der Nachweis einer Auslandskrankenversicherung, einer Haftpflichtversicherung und einer Unfallversicherung.

Die einfachste und günstigste Art nach Ungarn zu reisen, ist das Fliegen. Nach Budapest fliegen zahlreiche Billig-Fluglinien: WIZZ-Air ab Frankfurt, Easyjet ab Berlin, Air Berlin ab Berlin, Swiss Air ab Hamburg und mit Sicherheit noch zahlreiche andere. Es lohnt sich früh zu buchen beziehungsweise auf einen günstigen Preis abzuwarten. Ich bin also mit dem Flugzeug von Hamburg nach Budapest geflogen. Der Flughafen Ferihegy liegt etwa sechzehn Kilometer außerhalb Budapests. Die preiswerteste Option ist es, den Bus 200 (Rapter Busz) nach Köbanya-Kispest zu nehmen. Von dort aus hat man sowohl die Möglichkeit in die Metro Richtung Budapest-Zentrum, als auch in den Zug nach Szeged zu steigen. Eine weitere Transfermöglichkeit bietet der teurere Minibus.
Auf dem Weg nach Szeged fiel mir ein, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, ob mich jemand abholen würde. Außerdem hatte ich nicht mal die Adresse der Jugendherberge dabei. Aber die Sorge war vollkommen unbegründet, denn am Bahnhof erwartete mich Gabor mit einem Schild, auf dem mein Name stand.

 

Unterkunft, Geld, Lebenshaltungskosten

Gabor brachte mich zum Janos-Kollegium in der Semmelweisstraße. Er erledigte die Formalitäten mit dem Pförtner und händigte mir einen Schlüssel aus. Das Zimmer war etwa 15 m² groß. Darin befanden sich vier Betten, ein Kühlschrank und ein Waschbecken. Es sammelte sich der Staub von Monaten in den Ecken und das Zimmer machte insgesamt einen sanierungsbedürftigen Eindruck. Da die Ungarn für uns exchange-students gekocht hatten, hatte ich nicht viel Zeit, mich mit dem Zustand der Unterkunft zu beschäftigen. Meine Zimmergenossinnen, zwei Spanierinnen und eine Rumänin, waren unkompliziert und nett.

Unterkunft und Mittagessen in der Kantine sind umsonst. Man erhält zusätzlich zu dem Kantinenessen ein Dinner-Paket mit zwei Weißbroten und Wurst. Ich war von dem Essen nicht besonders begeistert. In dem Kollegium gab es eine Küche, in der man sich selbst Mahlzeiten zubereiten konnte. Duschen und Toiletten, die einigermaßen sauber waren, waren ebenfalls vorhanden. Die Waschmaschinen standen umsonst zur Verfügung. Die Unterkunft war für einen überschaubaren Zeitraum absolut in Ordnung. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie man so während des gesamten Studiums leben und lernen kann. Dies scheint jedoch in Szeged üblich zu sein. Manchmal kam ich mir deshalb ein bisschen verwöhnt vor.

 

Kantine - alle Fotos: B. Flittiger

 

In Ungarn soll der Euro voraussichtlich 2010 eingeführt werden, sofern die Inflation sich in einem angemessenen Rahmen bewegt. Zurzeit ist die Währung der ungarische Forint (HUF). Der Wechselkurs ist ungefähr 1€ zu 265-275 HUF. Geld in Deutschland zu tauschen ist nicht nötig, da am Flughafen und auch an anderen Orten sowohl Wechselstuben als auch ausreichend EC-Automaten vorhanden sind.
Das Preisniveau ist in Ungarn außer in Budapest im Verhältnis zu Deutschland wesentlich niedriger. So kann man beispielsweise für einen Euro einen Kaffee oder ein Bier trinken. Eine Kugel Eis erhält man für 30 Cent. In günstigen Restaurants bezahlt man 1200 HUF (4,50€) für ein Gericht und ein Getränk. Auch das Reisen mit Bus und Bahn ist sehr viel günstiger. Ich kann nur empfehlen, die 2000 HUF für einen ungarischen Studentenausweis zu bezahlen, da man damit 65% Rabatt in Bussen und Bahnen erhält und nur den halben Eintrittspreis für Museen und Sehenswürdigkeiten bezahlt.

Insgesamt gesehen kann man also recht gut von wenig Geld leben.

 

Famulatur in Ungarn

Die Austauschstudenten haben alle am Albert Szent-Györgyi-Universitätsklinikum in Szeged famuliert. Die medizinische Fakultät in Szeged ist eine der größten Ungarns. Sie verfügt über siebzehn vorklinische und siebzehn klinische Abteilungen. In Szeged werden Mediziner in drei Sprachen ausgebildet: ungarisch, deutsch und englisch. Für ein Semester im deutschsprachigen Studiengang an der medizinischen Fakultät fallen Studiengebühren von 5600€ an.

Die Famulatur war fachlich ziemlich enttäuschend. Ich hatte mich für die Abteilung Gynäkologie beworben und wurde von einer Kontaktperson am ersten Tag dorthin begleitet. Ich wurde mit Kittel, Hemd und Hose im Krankenhaus ausgestattet. Der für mich zuständige Arzt war zwar nett und höflich, musste aber aufgrund der Urlaubszeit im Monat August sehr viel arbeiten. Er hatte nur ein begrenztes Interesse, mich um sich zu haben. Einfach nur mitlaufen bringt nichts, wenn man kein Wort versteht. Ich hätte jemanden gebraucht, der sich Zeit für mich nimmt, um beispielsweise eine Anamnese zu übersetzen. Bis auf wenige Ausnahmen sprachen die Patienten fast durchgehend weder Englisch noch Deutsch.

Theoretisch sollen die Famulanten jede Woche auf eine andere Station. Dies ließ sich in der Realität meistens nicht umsetzen, da sich auf den Stationen keiner zuständig fühlt. Um mich nicht zu langweilen, habe ich mich meist dort aufgehalten, wo es für mich interessant war oder wo ein Arzt Zeit hatte, mir etwas zu erklären. Ich bin bestimmt so manch einem mit meinen Fragen auf die Nerven gegangen. Ich wurde aber nur einmal von einem Arzt abgewiesen.Da in Ungarn jeder Mediziner vor seinem letzten Examen einen Sprachtest in Englisch oder Deutsch nachweisen muss, sprechen die meisten Ärzte auch ein verständliches Englisch oder erstaunlich gutes Deutsch. Glücklicherweise traf ich in der zweiten Woche auf eine sehr hilfsbereite, deutsch sprechende, junge Ärztin, die sich wirklich viel Zeit für mich nahm und sich auch nach der Arbeit mit mir in der Stadt traf, um mir die schönsten Seiten von Szeged zu zeigen.

Morgens um halb acht begann der Tag für mich ziemlich sinnlos. Visite, Morgenbesprechung sowie Übergabe fanden nämlich auf ungarisch statt. Es ist vorgesehen, dass der Famulant fünf Stunden im Krankenhaus verbringt. In Ausnahmefällen bin ich schon mal bis drei geblieben, an anderen Tagen durfte ich um zwölf Uhr gehen. Der für mich zuständige Arzt war für viele Operationen verantwortlich und hat mich gleich am zweiten Tag zum Assistieren mitgenommen. So kam es, dass ich von da an jeden Tag für mindestens eine Operation eingeteilt war.

Das Medizinstudium in Ungarn dauert wie bei uns sechs Jahre, wovon das letzte Jahr dem praktischen Jahr entspricht. Praktische Tätigkeiten sind vor diesem Jahr nicht üblich. Selbst im praktischen Jahr tragen die Studenten kaum Verantwortung.

 

Gesundheitssystem in Ungarn

Im Vergleich zu anderen Ländern in Osteuropa geht es Ungarn wirtschaftlich noch ganz gut. Die Finanzierung des Gesundheitssystems gestaltet sich dennoch schwierig. Die Kliniken bezahlen den Ärzten nur einen geringen Lohn. Ein Facharzt verdient ungefähr 400 € im Monat. Dennoch können sich Ärzte zusätzliches Geld verdienen, indem sie Patienten auf privater Basis behandeln. Manche Patienten "kaufen" sich seinen persönlichen Arzt, der für sie zuständig ist. Pro Behandlung wird dann ein bestimmter Betrag fällig. Zum Beispiel bezahlt eine Frau etwa 1000 € für die Begleitung bis zur Geburt direkt an den Arzt. Dieses Procedere wird wohl besonders häufig in der Gynäkologie angewendet. Ich war über diese Vorgehensweise etwas schockiert. Eine polnische Austauschstudentin berichtete jedoch von einer ähnlichen Vorgehensweise in Polen. Ein Ungar verglich diese Art der Bezahlung von Ärzten mit der privaten Krankenversicherung in Deutschland. Meiner Meinung nach sind die beiden Systeme nicht vergleichbar. Es ist zwar illegal, aber ein offenes und geduldetes Geheimnis. Ich habe mir das sowohl von Ärzten als auch von Patienten erklären und erläutern lassen. Die Patienten waren bereit, das eingeforderte Geld zu bezahlen. Sie waren überzeugt, dass die Ärzte von ihren Kliniken unterbezahlt seien.
Und was ist, wenn man keinen Doktor kauft? Ja, dann dürfen die Assistenzärzte üben. Auch diese Patienten erhalten eine Behandlung, aber die Bezahlenden haben eine eindeutige Vorteilsposition.

Ein weiteres Beispiel im Operationssaal illustriert die finanziellen Engpässe.
Mir wurde erzählt, dass die Klimaanlage im Operationssaal kaputt sei. An den Tagen mit 35°C Außentemperatur plus dem Wärme spendenden Strahler im OP kam jeder ins Schwitzen. Zwischendurch tupfte uns eine Schwester die Stirn ab und legte uns kalte Tücher in den Nacken. Erst später wurde ich über den wahren Hintergrund der abgeschalteten Klimaanlage aufgeklärt. In einer anderen Klinik war ein Professor an Leishmaniose gestorben. Der Keim wurde in dem Filter der Klimaanlage nachgewiesen. Es mussten daraufhin alle Filter gewechselt und alle Klimaanlagen gewartet werden. Da kein Geld für Wartungsaufgaben an der Universität verfügbar war, mussten die Klimaanlagen abgeschaltet werden.
Eine Ärztin erzählte mir, dass es in kleineren Krankenhäusern sein könne, dass um fünf Uhr keine Spritzen mehr da seien. Es würden ab dieser Uhrzeit dann eben keine Injektionen mehr verabreicht.

 

Medizinische Behandlung in Ungarn

Das medizinische Niveau in Ungarn gleicht weitgehend dem in Deutschland. Es gibt dennoch einige Unterschiede was beispielsweise die technische Ausstattung betrifft. Ein Laser, der in Deutschland beispielsweise zur Entfernung einer Vulvadysplasie verwendet wird, ist nicht vorhanden. Im Vergleich zu Deutschland werden viel mehr Amnioskopien durchgeführt. Frappierend war die große Anzahl von Abtreibungen. Der Grund könnte möglicherweise an der bis zur Auflösung der Sowjetunion mangelhaften sexuellen Aufklärung und an dem erschwerten Zugang zu Verhütungsmitteln liegen. So erschienen viele Patienten zu einer wiederholten Abtreibung. Auf deren Anamnesebogen wurde als Verhütungsmethode der Coitus interruptus vermerkt.

 

Die Kontaktpersonen und die Exchange-Gruppe

Fünf ungarische Medizinstudenten fühlten sich für uns 25 Austauschstudenten verantwortlich. Jederzeit und bei jedem Anliegen konnte man jemanden finden, der einem die Fragen beantwortete. Alle waren extrem hilfsbereit und engagiert. Beispielsweise haben sie für uns herumtelefoniert, um ein Jugendherbergszimmer in einem anderen Ort ausfindig zu machen.
Für jedes Wochenende war ein Ausflug organisiert: Einmal zum Plattensee, einmal nach Budapest, einmal nach Debrecen und in die Puszta. Wenn man teilnehmen wollte, hat man zwischen 11000 und 13000 HUF (40-50 €) für Zugfahrt, Jugendherberge, Eintritt zu Sehenswürdigkeiten und zum Teil Essen für ein Wochenende bezahlt. Die ungarischen Studenten hatten zusätzlich Unternehmungen wie Weinproben arrangiert.
Die vielen anderen Austauschstudenten und die netten Kontaktpersonen waren ein absolutes Plus in Szeged.

 

Sehenswertes in Ungarn

Szeged ist für Paprika und Pick-Salami bekannt. Die Stadt hat 175.000 Einwohner, davon sind 30.000 Studenten. Es ist eine nette und gemütliche Stadt an der Theiß. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen der Dom, die Synagoge, ein Zoo, ein botanischer Garten und eine große Universität. Gleichzeitig hat Szeged viele schöne Plätze wie den Klauzal-ter mit Cafes, auf denen man die Seele baumeln lassen kann.
Würdige Ausflugsziele in Ungarn sind auf jeden Fall der Plattensee, die Puszta und die Städte Pecs, Eger, Debrecen und natürlich Budapest. Budapest ist eine fantastische Stadt.
Meine Erwartungen auf heiße sommerliche Temperaturen sind enttäuscht worden, da es (bis auf die erste Woche) in Szeged nicht wärmer war als in Deutschland.
Fremdsprachenkenntnisse sind den akademisch Gebildeten vorbehalten. Dennoch kommt man mit Deutsch, gerade in einigen westlichen Städten Ungarns wie Pecs oder Sopron, mit Deutsch ganz gut hin. Gründe dafür sind die deutschen Immigranten und die Grenznähe zu Österreich.

 

Zusammenfassend..

..möchte ich sagen, dass ich die Zeit in Ungarn nicht missen möchte. Vor allem liegt dies an den netten anderen Austauschstudenten, den superengagierten Kontaktpersonen sowie den vielen Reisen, die ich in der Zeit unternommen habe. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich es interessant fand, dieses doch etwas andere Krankenhauswesen kennen zu lernen. Fachlich medizinisch hat es mich wenig vorangebracht, aber das konnte ich bei den vielen anderen positiven Erlebnissen leicht verschmerzen!

 

Gruppenfoto mit exchange-students

 

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