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  • Ugai Omar
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  • 21.06.2021

Chefärztin in der Plastischen Chirurgie mit 35 – Dr. med. Mehrnoosh Akhavanpoor

Dr. med. Mehrnoosh Akhavanpoor ist Mutter zweier Kinder und mit 35 eine junge Chefärztin. Im Interview erzählt sie, wie sie es schafft, Familie und Karriere erfolgreich zu managen.

 

Dr. Mehrnoosh Akhavanpoor und ihre Familie

 

Laut Angaben der Gleichstellungsbeauftragten der Universitätsmedizin Göttingen sind 65% aller Göttinger Medizinstudierenden weiblich. An den anderen deutschen Medizin-Unis dürfte der Prozentsatz ähnlich sein. Schaut man sich hingegen die Führungspositionen der Kliniken an, sucht man Ärztinnen häufig vergebens. Gerade in der Chirurgie, wo anteilsmäßig auf vier Männer eine Frau kommt, schaffen es nur etwa 6% der Ärztinnen an die Spitze. Eine von ihnen ist Dr. med. Mehrnoosh Akhavanpoor, Plastische Chirurgin in der Abteilung für Plastische, Rekonstruktive, Ästhetische und Handchirurgie in den Agaplesion Diakonie-Kliniken Kassel. Sie ist 35 Jahre alt, verheiratet und hat einen dreieinhalbjährigen Sohn und eine drei Monate alte Tochter. Aufgewachsen ist sie mit zwei Brüdern, der ältere ist leitender Oberarzt in der Kardiologie und der jüngere Pharmazeut. Geboren ist sie im Iran und erst mit neun Jahren nach Deutschland gekommen. Hier angekommen, hat sie nach der Grundschule direkt den Sprung aufs Göthe-Gymnasium in Kassel geschafft und dort auch 2005 ihr Abitur gemacht. Noch im selben Jahr hat sie ihr Medizinstudium in Göttingen begonnen.


>Wie sind Sie zur Medizin gekommen?
Der Wunsch war schon seit meiner Kindheit da, vor allem mit dem Hintergrund, Menschen helfen zu können. Zwischendurch habe ich auch überlegt, Anwältin zu werden mit demselben Hintergrund, letztendlich ist es aber die Medizin geworden und ich bin sehr glücklich, mich so entschieden zu haben.

>Warum haben Sie sich für die Plastische Chirurgie entschieden?
Das ist ein wenig meinem älteren Bruder geschuldet, der mich aufgrund meiner sehr präzisen und künstlerischen Art in der Plastischen Chirurgie sah. Ich habe mich anfangs nicht wirklich in diesem Fach gesehen. Letztendlich bin ich fürs PJ nach Marburg gewechselt, um als Wahltertial Plastische Chirurgie belegen zu können und nach anfänglichen Zweifeln habe ich mich tatsächlich absolut in dem Fach gesehen. Denn Plastische Chirurgie ist nicht – wie viele denken – nur Ästhetik, sondern deckt mehrere Säulen ab; die rekonstruktive Chirurgie, die Verbrennung und die Handchirurgie und diese Vielfalt begeistert mich. Mein ehemaliger Chef Prof. Dr. Noah hat – wie er gerne sagt – „mein Talent schon früh entdeckt“ und mich direkt als Assistenzärztin bei ihm anfangen lassen.

 

Dr. Mehrnoosh Akhavanpoor im OP

 

>Wie empfinden Sie ein chirurgisches Fach als Frau?
Die Chirurgie ist nach wie vor ein von Männern dominiertes Fach. Man hört anfangs oft entmutigende Sprüche wie „Geh doch lieber in die Anästhesie“. Aber man muss eben doppelt so viel leisten, um sich zu beweisen und letztendlich zahlt sich Fleiß am Ende des Tages aus.


>Und wie empfinden Sie die Chirurgie als Mutter zweier kleiner Kinder?
Als Frau in der Chirurgie wird man oft dargestellt wie eine tickende Zeitbombe, jederzeit kann man schwanger werden und ausfallen. Den richtigen Zeitpunkt, Mutter zu werden, gibt es nicht. Auch zeitlich ist man gerade als Assistenzärztin mit den Diensten, teilweise 15 im Monat, wirklich ausgelastet. Genauso kann man auch die Dauer einiger Operationen schlecht einschätzen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass eine glückliche Mutter eine gute Mutter ist. Nach einem Arbeitstag bin ich mit voller Energie für meine beiden Kinder da und genieße jede Minute mit ihnen – egal ob Schwimmen, Musikschule oder auf den Spielplatz toben. Ich muss aber auch sagen, dass ich eine sehr unterstützende Familie habe, ohne die das so nicht möglich wäre. Ich habe bei beiden Kindern bis sechs Wochen prepartum gearbeitet und nach acht Wochen postpartum wieder Vollzeit angefangen. Jede Frau muss das natürlich selbst für sich entscheiden, ich finde es aber falsch, eine Frau, sobald sie Mutter ist, sie „nur als Mutter“ zu sehen. Diese Frau ist auch berufstätig und hat auch ihre Interessen und sollte daher genau wie ein Mann – der ja auch oft Vater ist – Mutter sein können und gleichzeitig eine Karriere haben.
Ich wünsche mir, dass dieser Gedanke zur Normalität wird, sodass sich meine Tochter eines Tages nicht rechtfertigen muss, warum sie Kind und Karriere möchte.

>Manche Ärztinnen wählen ein Fach nicht unbedingt nach Interesse, sondern nach der Möglichkeit, sich in diesem schnell niederlassen zu können – ist das richtig so?
Absolut nicht! Zum einen heißt Niederlassung nicht unbedingt weniger Arbeit. Und zum anderen sollte man das wählen, was man gerne tut. Denn natürlich bin ich gerne bei meiner Familie zuhause, aber ich bin auch gerne und leidenschaftlich an der Arbeit und das motiviert mich tagtäglich mit voller Energie für meine Familie – aber auch für meine Patienten – da zu sein.

>Wie kam es dazu, dass Sie so jung Chefärztin geworden sind?
Chefärztin zu werden war von Anfang an mein Ziel, dass es so schnell passiert, hätte ich nie gedacht. Ich habe als Assistenzärztin schon darauf hingearbeitet und dafür alle Sprechstunden meines Chefs mitgemacht, freiwillig zusätzliche Dienste absolviert, nach Feierabend unter dem Mikroskop die mikrochirurgischen Techniken an Schweineherzen geübt und mich vor jeder OP bestens vorbereitet. Zudem war ich in meiner Freizeit auf Kongressen, an der BG Klinik Frankfurt und Ludwigshafen tätig. Zur Aneignung weiterer OP-Techniken bin ich in Amerika und Großbritannien gewesen. Damit war mein eigentlich zu erfüllender OP-Katalog während der Assistenzarztzeit schon zwei Jahre eher fertig, sodass ich direkt nach der Facharztprüfung Oberärztin wurde. Seit Oktober 2020 bin ich Chefärztin, nachdem die Agaplesion Diakonie-Kliniken Kassel Interesse bekundete und die Gespräche gut liefen.

>Bereuen Sie etwas in Ihrer Karriere?
Ehrlicherweise ist alles gut gekommen, so wie es ist. Vermutlich hätte ich es bereut, während meiner Assistenzarztzeit ein Kind zu bekommen, denn ich war zeitlich sehr ausgelastet.

>Wie kriegt man mehr Frauen in die Chirurgie und würden Sie als Chefärztin dahingehend etwas verändern wollen?
Grundsätzlich muss eine Umstrukturierung erfolgen, die eine bessere Work-Life-Balance ermöglicht. Dazu eignen sich Arbeitszeitmodelle wie Teilzeit als auch Gleitzeit, die vermehrt angeboten werden sollten. Auch eine hauseigene Kindertagesstätte sehe ich als sehr sinnvoll und versuche daher, dieses Vorhaben an unserem Standort umzusetzen. Denn nicht jeder hat das Glück, bei der Kinderbetreuung von seiner Familie unterstützt zu werden. Die Lösung sollte ja nicht sein, dass sich plötzlich Frauen die Eizellen einfrieren lassen.


>Haben Sie noch motivierende Worte, die Sie jungen Medizinerinnen auf ihrem Weg mitgeben können?
Glaubt an euch und steht für eure Träume und Ziele! Wenn ihr mit blöden Sprüchen konfrontiert werdet, zieht sie ins Lächerliche und lacht mit. Und glaubt mir, Fleiß zahlt sich am Ende aus.

 

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