• Interview
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  • Diana Fechner
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  • 03.05.2022

Das Wichtigste ist, sich Vorbilder zu suchen

Wie wird man zu einem der besten Neurochirugen der Welt? Herr Prof. Dr. Vajkoczy, Leiter aller drei neurochirurgischen Klinken der Charité in Berlin, Campus Mitte, Virchow und Benjamin Franklin, erzählt, wie er zu den Besten seines Faches wurde.

 

Prof. Vajkoczy

 

 

Einen schönen guten Abend, Prof. Vajkoczy, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns Studierende nehmen.
Immer gern – ich freue mich, wenn das Gespräch den Studierenden einen Mehrwert bieten kann.

Wieso haben Sie sich damals dafür entschieden, Humanmedizin zu studieren?
Zum einen hatte ich eine familiäre „Vorbelastung“ – mein Vater war Thoraxchirurg und hat später als Allgemeinmediziner in einer Praxis gearbeitet. Meine Mutter war als technische Assistentin für das Labor in seiner Praxis verantwortlich und die Kombination aus beiden – „Herzblutmediziner“ quasi – prägte mich für die Medizin.
Zum anderen war ich naturwissenschaftlich und mathematisch interessiert und konnte mir eine Karriere in der Forschung, zum Beispiel in der Biologie oder Medizin, vorstellen. Da der letzte Fall allerdings die Möglichkeit der klinischen Patientenversorgung in Kombination mit der Forschung bietet, habe ich mich für die Humanmedizin entschieden.

Wieso haben Sie sich gerade für die Facharztausbildung der Neurochirurgie entschieden?
Mein Weg in die Neurochirurgie war tatsächlich ganz und gar nicht vorbestimmt – die Neuroanatomie fiel mir als Student immer schwer. Durch meine Promotion hatte ich allerdings ein Interesse für Transplantations- und Allgemeinchirurgie entwickelt, wodurch das Interesse an der Chirurgie sichtbar wurde. Im PJ absolvierte ich dann meine drei Tertiale in der Traumatologie, Viszeralchirurgie und Neurologie in den USA, wobei mir die Neurologie selbst als nicht-chirurgisches Teilfach zu wenig Handwerk und oft auch therapeutischen Direkterfolg bietet. Als ich mich dann, zurück in Deutschland, für die Facharztausbildungen bewarb, entschied ich mich Neurochirurgie. Diese Entscheidung hatte weniger fachliche als persönliche Gründe: Ich entschied mich aufgrund meines damaligen Mentors, der mich als Menschen persönlich auf vielen Ebenen beeinflusste, für die Weiterbildung in Mannheim. Dies ist auch eine wichtige Message an die Studierenden: Es ist wichtig, gute Mentoren zu haben, das Glück zu haben, Leute zu treffen, die einen emotional führen und beeinflussen.

 

Prof. Vajkoczy

 

Gehören Ihrer Meinung nach gewisse Fertigkeiten zu dem Beruf als Neurochirurg, die nicht jedem angehenden Arzt & angehenden Ärztin gegeben sind?
Ich glaube, dass es mehrere Aspekte braucht, um den Beruf als Neurochirurg auszuüben. Zum einen benötigt man das manuelle Geschick und die „ruhige Hand“, aber auch eine gewisse Ausdauer und eine physische sowie psychische Stärke. Die Operationen sind teilweise sehr lang und man steht aufgrund der gravierenden Konsequenzen bei Fehlern unter massivem Druck. Zum anderen benötigt man auch die richtigen Charaktereigenschaften wie Ehrlichkeit, Geduld, Disziplin und Fleiß. Die manuellen Geschicklichkeiten kann man eher lernen als die Charaktereigenschaften, weshalb ich letztere auch als wichtiger empfinde.
Nichtsdestotrotz geht es in der Neurochirurgie auch oft um die Millimeterarbeit. Hier muss man schon eine gewisse Handfertigkeit mitbringen. Aber auch wenn diese nicht gegeben ist, kann man sich innerhalb der Neurochirurgie noch gut auf andere Bereiche spezialisieren, das ist das Schöne an diesem Fachbereich.

2007, also vor 15 Jahren, sind Sie von Mannheim nach Berlin gewechselt und leiten seitdem die Neurochirurgie des CCM, CVK und CBF. Wie war es, plötzlich Chef einer eigenen Abteilung zu sein, noch dazu einer so großen wie in Berlin?
Tatsächlich habe ich mir vorher nicht ausgemalt, wie anspruchsvoll und fordernd es sein könnte. Ich war mit der Neurochirurgie eine der ersten, der den Fachbereich an mehreren Kliniken der Charité übernahm und hatte Glück, die Chance zu bekommen, als junger Arzt die Führung übernehmen zu dürfen. Ich kam aus einer kleinen Fakultät in Mannheim, das Klima war sehr freundlich und geschützt. Die Charité dagegen war ein Haifischbecken. Nach der Fusionierung aller drei Klinikstandorte gab es viele Situationen, wo es konkurrierendes Gerangel gab. Das war eine Herausforderung und mit 38 eine große Aufgabe, der ich mir nicht im Ganzen bewusst war – zum Glück.

Sie haben laut Ihrem Buch lange mit der Entscheidung, welche Fachrichtung es werden soll, gerungen. Welche Tipps können Sie Studierenden bei der Wahl der Fachrichtung geben?
Im Verlauf der medizinischen Ausbildung denkt man meistens immer in ca. 7-Jahres-Horizonten. Man geht 8 Jahre zur Schule, studiert 6 Jahre, hat 6 Jahre Assistenzarztzeit. Nach der Facharztausbildung steht man dann allerdings vor einem 30-Jahres-Horizont. Das überfordert sehr viele, da es schwierig ist, plötzlich so weit in die Zukunft zu sehen. Daher ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, ob man mit 50 als Traumatologe immer noch jede Nacht aufstehen möchte. Auch sollte man sich darüber Gedanken machen, ob man in ein Fach mit Zukunft geht. Man muss ein wenig über den 7 – Jahres – Horizont hinwegsehen und nicht ein Fach wählen, das man gerade cool findet, weil man jemanden getroffen hat, der einem das gerade schmackhaft gemacht hat.

 

Diana Fechner

 

Wie Sie, zum Beispiel.
(Lacht) Wie ich, zum Beispiel. Auch wenn ich natürlich jedem erzählen würde, dass die Neurochirurgie eine unglaublich große Zukunft hat.

Wo wir gerade beim Thema sind – was sind Ihre beruflichen Ziele für die nächsten Jahre?
Zu meiner Anfangszeit hatte ich noch andere Ziele als jetzt – an der Charité überleben, die BCN (Berlin Charité Neurosurgery) zu einer der besten Kliniken der Welt zu machen. Das ist mir auch gelungen, was ein tolles Etappenziel ist. Nun erkenne ich aber, dass ein sehr wichtiges Ziel ist, den akademischen Nachwuchs der Neurochirurgie zu fördern und in den Leitungspositionen Deutschlands unterzubringen. Wenn man in Rente geht, interessiert nämlich niemanden, ob man 600 oder 800 Paper publiziert hat – das Entscheidende ist, wie viele Nachfolger und Nachfolgerinnen man platziert hat. Dies ist eins meiner größeren Ziele.
Ein weiteres Ziel ist, eine größere Bedeutung für die Neurochirurgie zu schaffen. Ich träume zum Beispiel von einem Brain Tower, einem neurochirurgischen Zentrum in Berlin, was in einer eigenen Immobilie sitzt und alle Neurofächer vereint.

Was ist die größte Errungenschaft in der neurochirurgischen Forschung der letzten Jahre?
Das, was den Patienten am Ehesten zugutekommt, ist die Entwicklung in der Funktionslokalisierung des Gehirns und der Vermeidung von Komplikationen in den Operationen. Das Verständnis mit innovativer Bildgebung und Digitalisierung, wie der transkraniellen Magnetstimulation, oder der präoperativen Funktionslokalisierung und intraoperativen Funktionsüberwachung waren die Game Changer der Neurochirurgie in den letzten Jahren.

Gibt es in der modernen Wissenschaft einen zufriedenstellenden Erklärungsansatz für das menschliche Bewusstsein?
Ich glaube, den gibt es nicht. In der Bewusstseinsfrage braucht es ja nicht nur Mediziner, sondern auch Psychologen, Ethiker oder Theologen. So ein komplexes Themenfeld muss man von verschiedenen Seiten beleuchten und ich glaube nicht, dass wir ausreichend Informationen haben, um von der biologischen Seite zu sagen, was das Menschsein ausmacht.

Und neuroanatomisch gesehen?
Im limbischen System. Ich bin mir sicher, dass das Bewusstsein irgendwo in einem sehr alten Gebiet des Gehirns verortet ist, und dass es eine komplexe Verschaltung darstellt zwischen Emotionalität, Gedächtnis, Erfahrungen und Stimmung.

 

Prof. Vajkoczy

 

Sie beschreiben in ihrem Buch im Kapitel „Smalltalk unterm Messer“ detailliert, wie sehr sich Peter Schmiedek, der damalige Leiter der Uniklinik in Mannheim, sowohl auf der fachlichen wie auch auf der menschlichen Ebene seinen Schülern zugewandt war. Orientiert sich Ihre Vorstellung der Ausbildung der jungen Mediziner und Medizinerinnen an der Lehre Ihres ehemaligen Lehrers?
Ja. Ich habe mich ihm damals anvertraut, da wir uns menschlich sehr ähnlich waren, weshalb ich auch glaube, dass wir dasselbe Verständnis von Führung haben.
Er hatte einen sehr emotionalen Führungsstil, genau wie ich. Mein Credo war es immer, sehr nah an den Assistenzärztinnen und Assistenzärzten zu sein und deren Ansprechpartner zu darzustellen. Ich versuche die Klinik wie eine Familie zu leiten und daher glaube ich auch, dass wir uns da ähneln.

Wann ist es möglich zu erkennen, ob jemand das Talent oder das Geschick für die Neurochirurgie besitzt?
Sicherlich nicht beim Bewerbungsgespräch. Als Chef zu sehen, ob jemand Eigenschaften wie die manuelle Geschicklichkeit, aber auch die charakterlichen Eigenschaften für den Beruf des Neurochirurgen besitzt, dauert ungefähr zwei Jahre.

Ich möchte verstehen, wie Sie so ein herausragender Spezialist geworden sind. Was unterscheidet Sie - menschlich? fachlich? - von anderen Gehirnchirurgen und Gehirnchirurginnen?
Das ist natürlich eine Frage, die mich etwas nervös macht. Hier beziehe ich mich lieber auf mein Team. Zum einen ist die Charité ein großer Name, hier sammeln sich viele komplexe Fälle. Das schafft Übung und Erfahrung für das ganze Team. Am Ende ist es auch nicht (nur) der Chirurg oder die Chirurgin im OP mit dem herausragendem Training, sondern das Zusammenspiel des gesamten Teams.

Sie sagen also, es liegt nicht daran, dass Sie im Studium nie auf Partys waren und immer nur lernend in der Bibliothek saßen?
(Lacht) Ich war ein Streber, das gebe ich zu, bin aber auch auf Partys gegangen. Mein Motto ist work hard, party hard – das spiegelt sich auch in unserem Team, zum Beispiel, wenn wir zusammen Sport machen oder zusammen das Oktoberfest besuchen.
Ich bin auch nicht der Meinung, dass sich im Studium zeigt, ob man eine gute klinische Ärztin oder ein guter klinisch tätiger Arzt wird. Dies entscheidet sich eher in der Assistenzarztzeit. Wir in der Neurochirurgie arbeiten sehr viel, da darf man meiner Meinung nach dann auch mal feiern und ausgelassen sein.

Das Studium der Medizin ist sehr hart, die Weiterbildungszeit wird noch härter und als Oberarzt/Oberärztin ist man sowieso nur noch am Rotieren. Die Anstrengung hört nie auf. Würden Sie denn nach allen Operationen und Erfahrungen, die Sie bereits absolviert haben, immer noch denselben Beruf erlernen oder etwas anderes machen wollen?
Ich hoffe zwar, dass ich mit viel Fleiß und Disziplin auch in einem anderen Beruf erfolgreich gewesen wäre, denke aber, dass ich in dem Beruf, den ich derzeit ausübe, meine Fähigkeiten und Talente sinnvoll anbringen kann.
Es gibt nichts, was erfreulicher ist, wenn man etwas Spannendes gemacht hat, es jemandem zugutekommt und man am Ende des Tages mit einem guten Gefühl nach Hause fährt. Daher ist die Chirurgie schon etwas Einmaliges, wie ich finde – und möchte deshalb nichts anderes machen.

Was war im Studium damals das Fach, welches Ihnen am meisten Schwierigkeiten bereitet hat?
Virologie bzw. Mikrobiologie. Physiologie und Biochemie fand ich super, Anatomie war in Ordnung und die Mikrobiologie fand ich gar nicht interessant.

Würden Sie denn den Gang ins Ausland in der Famulatur, PJ empfehlen?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe keine Famulatur an meinem Studienort absolviert, war in meinem Studium in Edinburgh, Sydney, Newark unterwegs und später als Assistenzarzt in Phoenix, Utrecht und Chicago. Meine Philosophie war schon immer, viel im Ausland zu sein, viel Wissen zusammenzusuchen und am Ende meinen eigenen Stil entwickelt zu haben. Meine Empfehlung an die Studierenden ist also: So viel wie möglich ins Ausland!

Möchten Sie uns Studierenden einen letzten Tipp geben?
Ich glaube der wichtigste Tipp ist, dass man sich Rollenmodelle suchen und an Vorbildern orientieren sollte. Es ist essenziell zu verstehen, wie wichtig es ist, Persönlichkeiten zu finden, die einen prägen und inspirieren – so wie ich damals für die Neurochirurgie entschieden habe, weil mein Chef so ein toller Mentor für mich war. Zusammengefasst gibt es vier wichtige Leute in meinem Leben, die mich bis heute geprägt haben und ohne ich nicht das geworden wäre, was ich jetzt bin. Danach sollte man streben – nach der Menschlichkeit, nicht nach dem Fach.

Vielen Dank für das lehrreiche und sehr interessante Interview, Herr Prof. Dr. Vajkoczy!

 

Zur Person:

Prof. Dr. Vajkoczy, geboren 1968, studierte Humanmedizin in München und setzte seine Facharztausbildung als Neurochirurg in Mannheim fort. Dort wurde er 2001 Oberarzt und wechselte 2007 als jüngster Chefarzt nach Berlin, wo er die Berlin Charité Neurochirurgie zu einer der besten Zentren für Neurochirurgie der Welt beförderte (Charité Neurosurgery Top 5). Im April 2022 veröffentlichte Prof. Dr. Vajkoczy sein erstes Buch, „Kopfarbeit“, wo er von außergewöhnlichen Fällen sowie seinem Alltag als Neurochirurg im OP berichtet.

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