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- Diana Fechner
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- 19.08.2024
Die SMPP – das Physikumsäquivalent an der Charité
Nach der Vorklinik folgt das Physikum – nicht immer! An der Charité in Berlin haben die Studierenden ein Physikumsäquivalent zu absolvieren. Was da genau auf die Vorkliniker zukommt, erzählt Diana.
Neben der Frage nach der favorisierten Fachrichtung ist die Frage nach dem bestandenen Physikum definitiv die am häufigsten gestellte, die angehende Mediziner*innen beim alljährlichen Familientreff über sich ergehen lassen müssen. Obgleich diese Frage an den meisten medizinischen Fakultäten in Deutschland mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ geklärt ist, gibt es ein paar Studienorte in Deutschland, an denen anstatt eines Physikums ein Physikumsäquivalent absolviert werden muss. Die Charité ist einer dieser Orte. Trotzdem herrscht am Ende des vierten Semesters eine ähnliche Anspannung unter den Studierenden wie bei den Kollegen und Kolleginnen im Regelstudiengang: die „strukturierte mündlich-praktische Prüfung“, kurz SMPP, steht an.
Genau diese Prüfungen raubten auch mir vor etwa einem halben Jahr sämtlichen Schlaf. Wähnte ich mich nach der großen Anatomieprüfung des dritten Semesters in Sicherheit – an der Charité wird übrigens fast die gesamte Anatomie des menschlichen Körpers in einem Semester abgefertigt und geprüft – folgt zugleich der nächste große Schrecken. Acht Prüfungen, allesamt einzeln vor einem Prüfer abzuleisten, teils praktisch, teils theoretisch.
Es geht um Glaukome, Goniometer und Glykosidintoxikationen; man rotiert von Station zu Station, von Patient zu Patientin. (Un)glücklicherweise ist jede Station nur von kurzer Dauer. Man lernt, wie lang eine Minute sein kann, wenn man nach den Einzelheiten der Harnkonzentrierung gefragt wird, und dass bei der orthopädischen Untersuchung jede Sekunde zählt.
Ich befand mich aufgrund verschiedener Umstände allerdings in einer besonderen Situation: Mitten im Freisemester, frisch aus dem Ausland zurückgekehrt, drei lange Monate zum Lernen zur Verfügung. Perfekt, dachte ich – genug Platz für Freizeit, Freunde und Faulenzen, auch neben dem Lernen. Keine abendlichen Schichten in der Bibliothek nach dem acht-Stunden-Unitag, keine Überforderung, kein Stress. Ich arbeitete in aller Ruhe die Themenkomplexe durch, studierte die kleinsten Details des Fetalkreislaufs und las die Altprotokolle gründlich. Endlich fühlte sich das Studium befriedigend an – Inhalte, für die sonst keine Zeit war, konnten sorgfältig gelesen und verstanden werden, Stunden, die sonst für die Bibliothek reserviert waren, konnten in soziale Interaktionen investiert werden.
Jedoch verhielt es sich nach anfänglicher Freude auch hier wie bei vielen meiner vorigen Klausurvorbereitungen: Anfangs begeistert über die Masse an Zeit, merkte ich bald, dass mein Plan so nicht aufging. Ich wurde schnell übermütig, nahm mir zu viel Zeit für kleine Details und zog einzelne Themen tagelang in die Länge. Das war im Nachhinein zu erwarten: Unter Zeitdruck arbeite ich einfach effizienter; eine gewisse Grundanspannung ist für ein Lernpensum wie dieses nahezu unabdingbar. „Genug Zeit“ ist nie, man kann nicht jede Frage perfekt beherrschen, es nicht jedem Prüfer recht machen. Nach der Prüfung ist man immer schlauer; weiß, was hätte priorisiert werden sollen, weiß, was getrost hätte übersprungen werden können.
Für das Physikumsäquivalent zu lernen, war für mich eine Klausurenphase mit mehr Zeit als sonst – doch gerade das machte es mir schwerer als jemals zuvor. Vier Wochen lang zu ackern war für mich nie eine große Hürde; immer war die Ziellinie und ein darauffolgender Urlaub nicht weit. Für diese drei Monate musste ein neuer Blickwinkel eingenommen werden, um nicht im Stress zu versinken; den Ball gerade so flach zu halten, damit die Prokrastination nicht überhandnahm.
Kommilitonen sah ich nun wieder öfter, unternahm sogar einen kleinen Urlaub, wechselte die Lernkulisse. „Das Gefühl, wenn es vorbei ist, wirst du nie wieder vergessen“, versicherte mir eine Freundin, und als ich drei Wochen später glücklich vor dem Anatomiegebäude stand, wurde mir die Wahrhaftigkeit dieser Worte bewusst. Ich hatte es geschafft; und obwohl die Freude über die neu gewonnene freie Zeit überwog, war ich fast ein wenig traurig bei dem Gedanken, nie wieder die Grundlagen des menschlichen Körpers so zu beherrschen wie im Moment der Prüfung. Dieses Wissen würde zweifellos in den nächsten Semestern durch klinische, relevante(re) Inhalte ersetzt – und dennoch hatten mich all die schlaflosen Nächte, verständnislosen Blicke auf den Laptop und Rückenschmerzen von den Stühlen des Lesesaals näher zu meinem Ziel der Approbation geführt als je zuvor.