- Interview
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- Alisha Qamar
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- 12.01.2022
Authentisch auf Instagram?
„MedFluencer“ nennt man Influencer, die rund ums Medizinstudium berichten. Vom täglich penibel aufgeräumten Schreibtisch bis hin zum pausenlosen Lernen ist alles dabei. Vieles davon ist nicht echt und sorgt für jede Menge Druck bei Medizinstudierenden. Umso schöner, dass Vishali Gangadarans Instagram Account @medstudent.dream durch Authentizität glänzt. Was außerdem hinter der Arbeit als MedFluencerin steckt, erzählt sie Alisha im Interview.
Vishali Gangadaran, auch bekannt als Shali, ist 20 Jahre alt und studiert im 3. Semester Humanmedizin an der Ruhr-Universität Bochum. Neben ihrem Studium pflegt Shali seit fast drei Jahren den Account @medstudent.dream auf Instagram und lässt mittlerweile fast 4.500 Leute an ihrem Medizinstudium, den Hürden und Erfolgen teilhaben.
> Vishali, deinen Account @medstudent.dream gibt es seit fast drei Jahren. Was waren deine Beweggründe, den Account zu erstellen?
Den Account habe ich damals während meinem Bundesfreiwilligendienst im Krankenhaus erstellt mit der Intention eines „digitalen Tagebuches“. Ich wollte etwas haben, worauf ich in ein, zwei Jahren zurückschauen kann und meine persönliche Entwicklung nachverfolgen. Auch nach fast drei Jahren ist es mir wichtig, dass ich den Account für mich führe. Es gab viele Tage, an denen ich nichts gepostet habe, weil ich mich nicht danach gefühlt habe. Mittlerweile ist es so, dass ich viele Fragen zu spezifischen Themen wie dem TMS oder dem HAM NAT bekomme. Ich fühle mich verantwortlich, Infos zu teilen und auch Schattenseiten und Misserfolge des Studiums offen zu zeigen. Inzwischen möchte ich mit dem Account auch anderen helfen, trotzdem ist meine Absicht, nach wie vor, meinen Fortschritt festzuhalten um später eine Erinnerung an die Zeit zu haben.
> Ich kann mir gut vorstellen, dass man in drei Jahren viel dazugelernt hat. Was konntest du in den letzten drei Jahren persönlich für dich mitnehmen?
Durch den Account bin ich offener geworden, weil man mit fremden Menschen schreibt, die offen ihre eigene Geschichte teilen. Dabei habe auch ich mich geöffnet und persönliche Erfahrungen geteilt. Außerdem habe ich durch den Account gelernt, das Medizinstudium noch mehr zu schätzen. Ich habe lange auf den Platz hingearbeitet, es ist mein absoluter Traum. Aber im Studium vergisst man das häufig. Durch den Account und der Interaktion mit der Community wird mir immer wieder vor Augen geführt, wie viele Leute auf einen Studienplatz warten und welche Umwege sie dafür gehen. Dabei erinnere ich mich immer wieder daran, wie es bei mir war.
> Du gehst offen mit den Struggles und Hindernissen im Studium um und teilst sie mit deiner Community. Diese Offenheit ist gerade im Medizinstudium, sowohl online als auch offline, sehr selten. Woher kommt dieser Mut, öffentlich zu zeigen, dass du z.B eine Prüfung nicht bestanden hast?
Für mich ist der persönliche Bezug zu den Followern wichtig, weil sie mir ja auch ihre Geschichte mit Misserfolgen erzählen. Für mich gehören Misserfolge dazu. Das Leben besteht aus Up’s und Down’s. Ich fände es falsch, wenn andere Influencer nur positive Seiten zeigen würden, sei es in der Beautybranche oder eben im Bereich Medizin. Ich habe eine große Reichweite, da sind auch jüngere Menschen dabei. Ich finde es schwierig, vorzuspielen, dass alles super laufen würde. Ich will ehrlich sein!
> Viele Influencer inszenieren sich und ihr Leben, um ein großartiges Bild zu schießen. Wie stehst du zu gestellten Bildern?
Damals dachte ich, dass alle meine Bilder schön seien müssten und ich habe mir viel zu viele Gedanken gemacht. Das führte dazu, dass ich weniger aktiv war und den Spaß verlor. Ich führe den Account, weil es mir Spaß macht, ich habe keine Zeit, meine Bilder zu stellen. Ästhetik ist mir schon wichtig, aber gerade, wenn ich lerne, ist es unordentlich. Ich werde nicht meinen Schreibtisch und meine Stifte umstellen, damit ich ein schönes Bild machen kann. Das habe ich mit der Zeit dazugelernt. Mir ist es wichtig, authentisch zu sein! Ich selbst folge auch viel lieber Leuten, die das "echte Leben" zeigen.
> Wie viel Arbeit steckst du in deinen Account? Führst du ihn alleine oder steht ein Team hinter @medstudent.dream?
Ich führe den Account allein, auch die Gestaltung der Stories und Bilder mache ich selbst. Die Stories erfordern tatsächlich weniger Arbeit, das dauert wenige Minuten. Da ist es mir wichtig, dass die Leute mit mir interagieren können. Ich nutze häufig Umfragen für eine Interaktion, weil mich interessiert, wie es den Followern geht und wie deren Tag war. Für einen Beitrag brauche ich im Schnitt eine halbe Stunde, ist es aber ein Gewinnspiel, z.B mit einem Verlag, kann es auch etwas länger dauern, weil man bestimmte Absprachen einhalten muss. Die meiste Zeit verwende ich, um auf direct messages (DM) zu antworten. Sollte mir über DM eine Frage gestellt werden, die ich nicht beantworten kann, teile ich sie in meiner Story mit der Community, da möglicherweise dort jemand eine Antwort darauf weiß. Zusätzlich schreibe ich in meiner Story kurz, was am heutigen Tag ansteht und teile meine To-Do Liste. Abends sitze ich eher länger am Handy, um Fragen, z.B zu größeren Themen wie dem TMS, ausführlicher zu beantworten, da diese Themen sich nicht in ein, zwei kurzen Sätzen beantworten lassen.
> Dir folgen fast 4.500 Menschen auf Instagram. Verspürst du einen Druck, jeder Person, die dir eine DM schreibt, auch zu antworten?
Mir ist es schon wichtig, jedem zu antworten, aber manchmal gehen DMs auch unter. Ich habe auch erlebt, dass Leute aufdringlich werden und eine Antwort verlangen. Aber da sage ich klar, dass der Account nicht mein Hauptberuf ist. Ich denke, ich gebe meiner Community schon das Gefühl, dass ich antworte, sobald ich Zeit habe. Ich verspüre aber keinen Druck, weil ich den Account freiwillig führe.
> Inwiefern unterstützen sich „Medfluencer“ untereinander? Gibt es eine Community?
Ja tatsächlich! Ich habe viele Freunde durch meinen Account gewonnen. Wenn ich Fragen habe oder unsicher bin, schreibe ich ihnen und frage nach. Man unterstützt sich schon, aber dadurch, dass der Großteil mitten im Studium ist, fehlt oft die Zeit, auf jede Story zu reagieren. Aber es ist eigentlich schon so, dass man auf die Community zählen kann. Die Interaktionen finden ohne Druck statt, man schreibt sich ab und zu, aber es ist auch Verständnis da, wenn es mal weniger ist.
> Es gibt viele Meme-Seiten auf Instagram, die ab und an gegen „MedFluencer“ sticheln. Wie gehst du damit um? Und wie gehst du mit Kritik aus deiner Community um?
Die Memes finde ich teilweise sehr witzig und erkenne mich manchmal sogar wieder. Aber bisher habe ich keine Kritik bekommen. Ich hatte Angst, dass ich im Semester kritisch wahrgenommen werde. Aber das ist nicht passiert, die meisten finden es cool. Kritik nehme ich an von Freunden und meiner Familie, aber nicht von Fremden, da sie mich nicht kennen. Ich bekomme aber auch nicht viel Kritik. Ich glaube das liegt daran, dass ich versuche, Rückschläge offen und ehrlich zu kommunizieren. Ich habe in der Hinsicht auch viel Lob erhalten, weil viele „MedFluencer“ nur Erfolgserlebnisse teilen und sich die Follower dann unter Druck gesetzt fühlen.
> Gibt es etwas, worauf du mit dem Account hinarbeitest?
Mich würde es freuen, wenn ich Mythen über das Medizinstudiums aufklären kann, wie z.B. dass das Studium nur aus Lernen besteht oder alle Medizinstudierenden denken, sie wären etwas Besseres. Außerdem möchte ich zeigen, dass man auch ohne ein 1,0 Abi Medizin studieren kann. Ich fände es schön, ein Umdenken zu bewirken. Und ich würde mich freuen, wenn Leute durch mich den Mut zum Studium finden und durch die Infos einen Studienplatz erlangen können.
> Du bist der erste Account, der über das Medizinstudium berichtet und von einer Woman of Color bzw. einer Frau mit Migrationshintergrund geführt wird. Inwiefern spielt deine Migrationsgeschichte ein Thema auf deinem Account und in deinem Leben?
Für mich hat es in meinem Leben keine übergreifende Rolle gespielt. Natürlich trifft man hin und wieder Menschen, die einen mit den Sätzen wie „Du sprichst aber gut deutsch“ und weiteren begegnen, aber das nehme ich nicht böse auf. Dadurch, dass ich keine größeren Erfahrungen mit Rassismus machen musste, stand das Thema selten im Fokus für mich. Es würde mich aber umso mehr freuen, wenn sich Menschen mit mir aufgrund meiner Hautfarbe und meines Geschlechts mit mir identifizieren können und Mut zum Studium fassen!
> Und wurdest du schonmal erkannt?
Bei einem Ersti Treffen meinte jemand „Shali, hier weiß jeder, dass du @medstudent.dream“ bist. Ich war total verwundert, weil ich nicht damit gerechnet habe, aber die meisten fanden das echt cool. Mittlerweile wissen ja viele, wer hinter dem Account steckt. Vor kurzem wurde ich sogar von einer Followerin in der Uni angesprochen, mit der ich auch schreibe! Das fand ich total cool.
> Was war dein schönstes Erlebnisses als @medstudent.dream?
Das schönste Erlebnis war, als ich meine Zulassung zum Medizinstudium bekam. Ich habe es schnell online geteilt und so viele fremde Leute haben mir gratuliert und mir geschrieben, dass sie sich für mich freuen und mir die Daumen gedrückt haben! Das hat mich total berührt. Ich fand es total verrückt, dass sich so viele Leute für mich gefreut haben, obwohl sie mich gar nicht kannten und sich die Zeit genommen haben, mir zu schreiben.
> Was würdest du Leuten mitgeben, die ihren Weg zum Medizinstudium auch online teilen möchten?
Sei du selbst! Das ist superwichtig. Ich kann mir vorstellen, dass man schnell dazu neigt, sich zu verstellen, wenn man die anderen MedFluencer sieht und im Vergleich steht. Ich habe es damals gemacht, weil ich es für mich machen wolle. Ich glaube, wenn man mit einer ähnlichen Motivation herangeht, macht es umso mehr Spaß, wenn man wirklich das macht, worauf man Lust hat. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass viele Nachrichten kommen von Leuten, die um Rat fragen und man sich schnell verantwortlich fühlt. Du kannst immer Ratschläge geben, aber du bist nicht verantwortlich für das Glück anderer.